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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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für den, der die Wirklichkeit nicht erst in der Zukunft zu fassen,
sondern schon in der Gegenwart anzugreifen sucht, zur uner-
lässlichen Handhabe werden muss. Kommt in die weibliche Be-
wegung bei uns hinreichende Energie, so wird die Kraft der
Vergesellschaftung für diejenige Ausbildung, die zum medicini-
schen und höhern Lehrerberuf gehört, die Mittel zu schaffen und
ein persönliches Contingent zu stellen vermögen. Ich traue den
betreffenden Gesellschaftselementen noch die Kraft zu, aus ihrem
Bereich heraus einen selbständigen Fortschritt zu machen und
die Befreiung von der gesellschaftlichen Geschlechtsvormundschaft
auf dem angezeigten praktischen Wege zu betreiben.

Durch das meist nur erheuchelte Wehgeschrei über die Ge-
fahren, die der Ehe und Familie von dem höhern praktischen
Berufsleben der Frauen drohen sollen, ist kaum ein Wort zu
verlieren. Selbst wenn es sich schon um jene Zukunftssocialität
handelte, in der die Ehe aus einer einseitigen Herrschaftsform
in eine verhältnissmässige Gegenseitigkeit verwandelt und die edlere
Form der natürlichen Familie vollständig entwickelt wäre, so
müssten die heute üblichen Einwendungen als thöricht gelten.
Vollends verkehrt sind aber diese Berufungen einem Bildungs-
entwurf gegenüber, der dazu führt, dass die Frauenwelt als
Ganzes eine grössere Summe von gesunden Kenntnissen und
Fertigkeiten in sich entwickelt und zur Anwendung bringt. Ein
Weib, welches den ärztlichen Beruf ausübt, kann mehr für das
Wohlergehen der Familie thun, als eine müssige Toilettenpuppe es
jemals können oder auch nur wollen wird. Uebrigens werden
aber auch nicht alle Frauen zu ausübenden Aerzten oder fun-
girenden Lehrerinnen werden; es ist genug, dass viele es können;
denn dies sichert ihre Unabhängigkeit schlimmsten Falls von,
und besten Falls in der Ehe. Auch ist noch keineswegs für
immer gesagt, dass die Arbeitstheilung zwischen Haus und Beruf
nicht harmonisch eingerichtet werden könne. Die Thätigkeit der
Frau nach Aussen braucht nicht so umfangreich zu sein, wie dies
jetzt bei dem Manne üblich ist, weil derselbe bei der Gestaltung
des Hauswesens unbetheiligt bleibt. Alle Gründe, die man gegen
zugleich philiströse und frivole d. h. gebrechliche Einwände dieser
Art aus dem Bereich der tiefern Volksschichten in das Feld
führen könnte, sind hier zur Seite gelassen worden; denn es war
hier überhaupt nicht die Absicht, von denjenigen Bedürfnissen zu
handeln, die sich grade im tiefsten Grunde der Gesellschaft so

für den, der die Wirklichkeit nicht erst in der Zukunft zu fassen,
sondern schon in der Gegenwart anzugreifen sucht, zur uner-
lässlichen Handhabe werden muss. Kommt in die weibliche Be-
wegung bei uns hinreichende Energie, so wird die Kraft der
Vergesellschaftung für diejenige Ausbildung, die zum medicini-
schen und höhern Lehrerberuf gehört, die Mittel zu schaffen und
ein persönliches Contingent zu stellen vermögen. Ich traue den
betreffenden Gesellschaftselementen noch die Kraft zu, aus ihrem
Bereich heraus einen selbständigen Fortschritt zu machen und
die Befreiung von der gesellschaftlichen Geschlechtsvormundschaft
auf dem angezeigten praktischen Wege zu betreiben.

Durch das meist nur erheuchelte Wehgeschrei über die Ge-
fahren, die der Ehe und Familie von dem höhern praktischen
Berufsleben der Frauen drohen sollen, ist kaum ein Wort zu
verlieren. Selbst wenn es sich schon um jene Zukunftssocialität
handelte, in der die Ehe aus einer einseitigen Herrschaftsform
in eine verhältnissmässige Gegenseitigkeit verwandelt und die edlere
Form der natürlichen Familie vollständig entwickelt wäre, so
müssten die heute üblichen Einwendungen als thöricht gelten.
Vollends verkehrt sind aber diese Berufungen einem Bildungs-
entwurf gegenüber, der dazu führt, dass die Frauenwelt als
Ganzes eine grössere Summe von gesunden Kenntnissen und
Fertigkeiten in sich entwickelt und zur Anwendung bringt. Ein
Weib, welches den ärztlichen Beruf ausübt, kann mehr für das
Wohlergehen der Familie thun, als eine müssige Toilettenpuppe es
jemals können oder auch nur wollen wird. Uebrigens werden
aber auch nicht alle Frauen zu ausübenden Aerzten oder fun-
girenden Lehrerinnen werden; es ist genug, dass viele es können;
denn dies sichert ihre Unabhängigkeit schlimmsten Falls von,
und besten Falls in der Ehe. Auch ist noch keineswegs für
immer gesagt, dass die Arbeitstheilung zwischen Haus und Beruf
nicht harmonisch eingerichtet werden könne. Die Thätigkeit der
Frau nach Aussen braucht nicht so umfangreich zu sein, wie dies
jetzt bei dem Manne üblich ist, weil derselbe bei der Gestaltung
des Hauswesens unbetheiligt bleibt. Alle Gründe, die man gegen
zugleich philiströse und frivole d. h. gebrechliche Einwände dieser
Art aus dem Bereich der tiefern Volksschichten in das Feld
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[63/0072] für den, der die Wirklichkeit nicht erst in der Zukunft zu fassen, sondern schon in der Gegenwart anzugreifen sucht, zur uner- lässlichen Handhabe werden muss. Kommt in die weibliche Be- wegung bei uns hinreichende Energie, so wird die Kraft der Vergesellschaftung für diejenige Ausbildung, die zum medicini- schen und höhern Lehrerberuf gehört, die Mittel zu schaffen und ein persönliches Contingent zu stellen vermögen. Ich traue den betreffenden Gesellschaftselementen noch die Kraft zu, aus ihrem Bereich heraus einen selbständigen Fortschritt zu machen und die Befreiung von der gesellschaftlichen Geschlechtsvormundschaft auf dem angezeigten praktischen Wege zu betreiben. Durch das meist nur erheuchelte Wehgeschrei über die Ge- fahren, die der Ehe und Familie von dem höhern praktischen Berufsleben der Frauen drohen sollen, ist kaum ein Wort zu verlieren. Selbst wenn es sich schon um jene Zukunftssocialität handelte, in der die Ehe aus einer einseitigen Herrschaftsform in eine verhältnissmässige Gegenseitigkeit verwandelt und die edlere Form der natürlichen Familie vollständig entwickelt wäre, so müssten die heute üblichen Einwendungen als thöricht gelten. Vollends verkehrt sind aber diese Berufungen einem Bildungs- entwurf gegenüber, der dazu führt, dass die Frauenwelt als Ganzes eine grössere Summe von gesunden Kenntnissen und Fertigkeiten in sich entwickelt und zur Anwendung bringt. Ein Weib, welches den ärztlichen Beruf ausübt, kann mehr für das Wohlergehen der Familie thun, als eine müssige Toilettenpuppe es jemals können oder auch nur wollen wird. Uebrigens werden aber auch nicht alle Frauen zu ausübenden Aerzten oder fun- girenden Lehrerinnen werden; es ist genug, dass viele es können; denn dies sichert ihre Unabhängigkeit schlimmsten Falls von, und besten Falls in der Ehe. Auch ist noch keineswegs für immer gesagt, dass die Arbeitstheilung zwischen Haus und Beruf nicht harmonisch eingerichtet werden könne. Die Thätigkeit der Frau nach Aussen braucht nicht so umfangreich zu sein, wie dies jetzt bei dem Manne üblich ist, weil derselbe bei der Gestaltung des Hauswesens unbetheiligt bleibt. Alle Gründe, die man gegen zugleich philiströse und frivole d. h. gebrechliche Einwände dieser Art aus dem Bereich der tiefern Volksschichten in das Feld führen könnte, sind hier zur Seite gelassen worden; denn es war hier überhaupt nicht die Absicht, von denjenigen Bedürfnissen zu handeln, die sich grade im tiefsten Grunde der Gesellschaft so

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/72>, abgerufen am 25.04.2024.