Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

der nach rückwärts ganz ebenso wie nach vorwärts. Die-
selben äusserten sich dadurch, dass Reihen, welche aus der-
artig verknüpften Gliedern zusammengesetzt waren, leichter
gelernt wurden als gleichlange Reihen, deren Glieder an sich
ebenso bekannt waren, aber vorher nicht in dieser Weise
mit einander verknüpft wurden. Die Stärke der so ge-
schaffenen Prädispositionen war wiederum eine abnehmende
Funktion der Entfernung der Glieder von einander in der
ursprünglichen Reihe. Nur war sie bei gleichen Entfernungen
für die Verknüpfungen rückwärts erheblich geringer als für
diejenigen vorwärts. Bei durchschnittlich gleich häufiger Wie-
derholung einer Reihe wurde jedem Glied das ihm unmittel-
bar vorangegangene nicht sehr viel fester verbunden als das
zweitfolgende, das zweitvorangegangene -- soviel sich aus den
wenigen Versuchen überhaupt schliessen lässt -- kaum so fest
als das drittfolgende.

Könnte man für dieses, hier zunächst bei Silbenreihen
gefundene Verhalten eine allgemeinere Geltung voraussetzen,
so würden, wie ich glaube, die soeben angeführten, sich ent-
gegenstehenden Erfahrungen ganz wohl verständlich. Wo
eine Reihe nur aus zwei Gliedern besteht
-- wie
bei der Verbindung einer einfachen Bewegungsvorstellung mit
der Vorstellung eines Lustgefühls -- da wird allerdings durch
häufige Wiederholung das Endglied eine so starke Tendenz
erlangen können, das Anfangsglied nach sich zu ziehen, dass
dieses thatsächlich eintritt. Denn hier ist für das zweite Glied
die Herbeiführung des ihm vorangegangenen ersten das ein-
zige, wofür es durch die häufigen Wiederholungen überhaupt
eine Disposition hat empfangen können. Niemals aber wird,
nach noch so häufiger Wiederholung einer längeren Reihe,
bei Erzeugung eines mittleren Gliedes die Reihe nach rück-
wärts ablaufen können. Denn wie leicht auch an das wieder-

der nach rückwärts ganz ebenso wie nach vorwärts. Die-
selben äuſserten sich dadurch, daſs Reihen, welche aus der-
artig verknüpften Gliedern zusammengesetzt waren, leichter
gelernt wurden als gleichlange Reihen, deren Glieder an sich
ebenso bekannt waren, aber vorher nicht in dieser Weise
mit einander verknüpft wurden. Die Stärke der so ge-
schaffenen Prädispositionen war wiederum eine abnehmende
Funktion der Entfernung der Glieder von einander in der
ursprünglichen Reihe. Nur war sie bei gleichen Entfernungen
für die Verknüpfungen rückwärts erheblich geringer als für
diejenigen vorwärts. Bei durchschnittlich gleich häufiger Wie-
derholung einer Reihe wurde jedem Glied das ihm unmittel-
bar vorangegangene nicht sehr viel fester verbunden als das
zweitfolgende, das zweitvorangegangene — soviel sich aus den
wenigen Versuchen überhaupt schlieſsen läſst — kaum so fest
als das drittfolgende.

Könnte man für dieses, hier zunächst bei Silbenreihen
gefundene Verhalten eine allgemeinere Geltung voraussetzen,
so würden, wie ich glaube, die soeben angeführten, sich ent-
gegenstehenden Erfahrungen ganz wohl verständlich. Wo
eine Reihe nur aus zwei Gliedern besteht
— wie
bei der Verbindung einer einfachen Bewegungsvorstellung mit
der Vorstellung eines Lustgefühls — da wird allerdings durch
häufige Wiederholung das Endglied eine so starke Tendenz
erlangen können, das Anfangsglied nach sich zu ziehen, daſs
dieses thatsächlich eintritt. Denn hier ist für das zweite Glied
die Herbeiführung des ihm vorangegangenen ersten das ein-
zige, wofür es durch die häufigen Wiederholungen überhaupt
eine Disposition hat empfangen können. Niemals aber wird,
nach noch so häufiger Wiederholung einer längeren Reihe,
bei Erzeugung eines mittleren Gliedes die Reihe nach rück-
wärts ablaufen können. Denn wie leicht auch an das wieder-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="155"/>
der nach rückwärts ganz ebenso wie nach vorwärts. Die-<lb/>
selben äu&#x017F;serten sich dadurch, da&#x017F;s Reihen, welche aus der-<lb/>
artig verknüpften Gliedern zusammengesetzt waren, leichter<lb/>
gelernt wurden als gleichlange Reihen, deren Glieder an sich<lb/>
ebenso bekannt waren, aber vorher nicht in dieser Weise<lb/>
mit einander verknüpft wurden. Die Stärke der so ge-<lb/>
schaffenen Prädispositionen war wiederum eine abnehmende<lb/>
Funktion der Entfernung der Glieder von einander in der<lb/>
ursprünglichen Reihe. Nur war sie bei gleichen Entfernungen<lb/>
für die Verknüpfungen rückwärts erheblich geringer als für<lb/>
diejenigen vorwärts. Bei durchschnittlich gleich häufiger Wie-<lb/>
derholung einer Reihe wurde jedem Glied das ihm unmittel-<lb/>
bar vorangegangene nicht sehr viel fester verbunden als das<lb/>
zweitfolgende, das zweitvorangegangene &#x2014; soviel sich aus den<lb/>
wenigen Versuchen überhaupt schlie&#x017F;sen lä&#x017F;st &#x2014; kaum so fest<lb/>
als das drittfolgende.</p><lb/>
          <p>Könnte man für dieses, hier zunächst bei Silbenreihen<lb/>
gefundene Verhalten eine allgemeinere Geltung voraussetzen,<lb/>
so würden, wie ich glaube, die soeben angeführten, sich ent-<lb/>
gegenstehenden Erfahrungen ganz wohl verständlich. <hi rendition="#g">Wo<lb/>
eine Reihe nur aus zwei Gliedern besteht</hi> &#x2014; wie<lb/>
bei der Verbindung einer einfachen Bewegungsvorstellung mit<lb/>
der Vorstellung eines Lustgefühls &#x2014; da wird allerdings durch<lb/>
häufige Wiederholung das Endglied eine so starke Tendenz<lb/>
erlangen können, das Anfangsglied nach sich zu ziehen, da&#x017F;s<lb/>
dieses thatsächlich eintritt. Denn hier ist für das zweite Glied<lb/>
die Herbeiführung des ihm vorangegangenen ersten das ein-<lb/>
zige, wofür es durch die häufigen Wiederholungen überhaupt<lb/>
eine Disposition hat empfangen können. Niemals aber wird,<lb/>
nach noch so häufiger Wiederholung einer <hi rendition="#g">längeren</hi> Reihe,<lb/>
bei Erzeugung eines <hi rendition="#g">mittleren</hi> Gliedes die Reihe nach rück-<lb/>
wärts ablaufen können. Denn wie leicht auch an das wieder-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0171] der nach rückwärts ganz ebenso wie nach vorwärts. Die- selben äuſserten sich dadurch, daſs Reihen, welche aus der- artig verknüpften Gliedern zusammengesetzt waren, leichter gelernt wurden als gleichlange Reihen, deren Glieder an sich ebenso bekannt waren, aber vorher nicht in dieser Weise mit einander verknüpft wurden. Die Stärke der so ge- schaffenen Prädispositionen war wiederum eine abnehmende Funktion der Entfernung der Glieder von einander in der ursprünglichen Reihe. Nur war sie bei gleichen Entfernungen für die Verknüpfungen rückwärts erheblich geringer als für diejenigen vorwärts. Bei durchschnittlich gleich häufiger Wie- derholung einer Reihe wurde jedem Glied das ihm unmittel- bar vorangegangene nicht sehr viel fester verbunden als das zweitfolgende, das zweitvorangegangene — soviel sich aus den wenigen Versuchen überhaupt schlieſsen läſst — kaum so fest als das drittfolgende. Könnte man für dieses, hier zunächst bei Silbenreihen gefundene Verhalten eine allgemeinere Geltung voraussetzen, so würden, wie ich glaube, die soeben angeführten, sich ent- gegenstehenden Erfahrungen ganz wohl verständlich. Wo eine Reihe nur aus zwei Gliedern besteht — wie bei der Verbindung einer einfachen Bewegungsvorstellung mit der Vorstellung eines Lustgefühls — da wird allerdings durch häufige Wiederholung das Endglied eine so starke Tendenz erlangen können, das Anfangsglied nach sich zu ziehen, daſs dieses thatsächlich eintritt. Denn hier ist für das zweite Glied die Herbeiführung des ihm vorangegangenen ersten das ein- zige, wofür es durch die häufigen Wiederholungen überhaupt eine Disposition hat empfangen können. Niemals aber wird, nach noch so häufiger Wiederholung einer längeren Reihe, bei Erzeugung eines mittleren Gliedes die Reihe nach rück- wärts ablaufen können. Denn wie leicht auch an das wieder-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/171
Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/171>, abgerufen am 29.03.2024.