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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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bekommen dadurch bei der Messung der Zeiten verhältnis-
mässig grössere, leichte Reihen verhältnismässig kleinere Zahlen
als bei Bestimmung der Wiederholungen. Allein bei grösseren
Gruppen von Reihen darf man offenbar ein leidlich gleich-
artiges Vorkommen der schwierigen und leichten Reihen vor-
aussetzen, sodass sich für jede Gruppe die Abweichungen von
der Proportionalität in derselben Weise kompensieren würden.

Als für bestimmte Versuche das direkte Abzählen der
Wiederholungen dennoch notwendig wurde, habe ich mich
folgenden Verfahrens bedient. Kleine hölzerne Kugelkappen
von ca. 14 mm Durchmesser und 4 mm grösster Dicke, die in der
Mitte durchbohrt waren (sogenannte Knopfformen), wurden
auf eine so starke Schnur gezogen, dass sie sich an derselben
noch bequem verschieben liessen, aber nicht von selbst hin-
und hergleiten konnten. Jedes zehnte Holzstückchen war
schwarz, die übrigen hatten ihre Naturfarbe. Während des
Lernens wurde die Schnur in den Händen gehalten und bei
jeder neuen Wiederholung ein Holzstückchen um einige Centi-
meter von links nach rechts verschoben. Konnte die Reihe
hergesagt werden, so genügte, bei der dekadischen Einteilung
der Holzstückchen, ein Blick auf die Schnur, um die Anzahl
der erforderlich gewesenen Wiederholungen zu erfassen. Die
Manipulation erforderte so wenig Aufmerksamkeit, dass an den
Mittelwerten der (immer gleichzeitig notierten) gebrauchten
Zeiten keine Verlängerung gegen früher wahrzunehmen war.

Durch diese gleichzeitige Messung der Zeit und der
Wiederholungen wurde beiläufig Gelegenheit gegeben, das,
was über das Verhältnis der beiden zu einander vorauszusehen
war und soeben angedeutet wurde, zu bestätigen und genauer
zu präcisieren. Bei genauer Innehaltung des vorgeschriebenen
Rhythmus von 150 Schlägen auf die Minute müsste auf jede
Silbe eine Zeit von 0,4 Sekunden entfallen, und bei Unter-

bekommen dadurch bei der Messung der Zeiten verhältnis-
mäſsig gröſsere, leichte Reihen verhältnismäſsig kleinere Zahlen
als bei Bestimmung der Wiederholungen. Allein bei gröſseren
Gruppen von Reihen darf man offenbar ein leidlich gleich-
artiges Vorkommen der schwierigen und leichten Reihen vor-
aussetzen, sodaſs sich für jede Gruppe die Abweichungen von
der Proportionalität in derselben Weise kompensieren würden.

Als für bestimmte Versuche das direkte Abzählen der
Wiederholungen dennoch notwendig wurde, habe ich mich
folgenden Verfahrens bedient. Kleine hölzerne Kugelkappen
von ca. 14 mm Durchmesser und 4 mm gröſster Dicke, die in der
Mitte durchbohrt waren (sogenannte Knopfformen), wurden
auf eine so starke Schnur gezogen, daſs sie sich an derselben
noch bequem verschieben lieſsen, aber nicht von selbst hin-
und hergleiten konnten. Jedes zehnte Holzstückchen war
schwarz, die übrigen hatten ihre Naturfarbe. Während des
Lernens wurde die Schnur in den Händen gehalten und bei
jeder neuen Wiederholung ein Holzstückchen um einige Centi-
meter von links nach rechts verschoben. Konnte die Reihe
hergesagt werden, so genügte, bei der dekadischen Einteilung
der Holzstückchen, ein Blick auf die Schnur, um die Anzahl
der erforderlich gewesenen Wiederholungen zu erfassen. Die
Manipulation erforderte so wenig Aufmerksamkeit, daſs an den
Mittelwerten der (immer gleichzeitig notierten) gebrauchten
Zeiten keine Verlängerung gegen früher wahrzunehmen war.

Durch diese gleichzeitige Messung der Zeit und der
Wiederholungen wurde beiläufig Gelegenheit gegeben, das,
was über das Verhältnis der beiden zu einander vorauszusehen
war und soeben angedeutet wurde, zu bestätigen und genauer
zu präcisieren. Bei genauer Innehaltung des vorgeschriebenen
Rhythmus von 150 Schlägen auf die Minute müſste auf jede
Silbe eine Zeit von 0,4 Sekunden entfallen, und bei Unter-

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[42/0058] bekommen dadurch bei der Messung der Zeiten verhältnis- mäſsig gröſsere, leichte Reihen verhältnismäſsig kleinere Zahlen als bei Bestimmung der Wiederholungen. Allein bei gröſseren Gruppen von Reihen darf man offenbar ein leidlich gleich- artiges Vorkommen der schwierigen und leichten Reihen vor- aussetzen, sodaſs sich für jede Gruppe die Abweichungen von der Proportionalität in derselben Weise kompensieren würden. Als für bestimmte Versuche das direkte Abzählen der Wiederholungen dennoch notwendig wurde, habe ich mich folgenden Verfahrens bedient. Kleine hölzerne Kugelkappen von ca. 14 mm Durchmesser und 4 mm gröſster Dicke, die in der Mitte durchbohrt waren (sogenannte Knopfformen), wurden auf eine so starke Schnur gezogen, daſs sie sich an derselben noch bequem verschieben lieſsen, aber nicht von selbst hin- und hergleiten konnten. Jedes zehnte Holzstückchen war schwarz, die übrigen hatten ihre Naturfarbe. Während des Lernens wurde die Schnur in den Händen gehalten und bei jeder neuen Wiederholung ein Holzstückchen um einige Centi- meter von links nach rechts verschoben. Konnte die Reihe hergesagt werden, so genügte, bei der dekadischen Einteilung der Holzstückchen, ein Blick auf die Schnur, um die Anzahl der erforderlich gewesenen Wiederholungen zu erfassen. Die Manipulation erforderte so wenig Aufmerksamkeit, daſs an den Mittelwerten der (immer gleichzeitig notierten) gebrauchten Zeiten keine Verlängerung gegen früher wahrzunehmen war. Durch diese gleichzeitige Messung der Zeit und der Wiederholungen wurde beiläufig Gelegenheit gegeben, das, was über das Verhältnis der beiden zu einander vorauszusehen war und soeben angedeutet wurde, zu bestätigen und genauer zu präcisieren. Bei genauer Innehaltung des vorgeschriebenen Rhythmus von 150 Schlägen auf die Minute müſste auf jede Silbe eine Zeit von 0,4 Sekunden entfallen, und bei Unter-

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/58>, abgerufen am 19.04.2024.