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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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Die Zeit nach der ersten Einprägung, zu der die Konstatie-
rung der Arbeitsersparnis vorgenommen wird, kann man zu-
nächst natürlich beliebig bestimmen; ich habe dafür den Zeit-
raum von 24 Stunden gewählt.

Da es sich bei dieser Definition nicht um Fixierung eines
allgemeinen Sprachgebrauchs handelt, so kann man nicht
eigentlich fragen, ob sie richtig, sondern nur, ob sie zweck-
mässig sei, allenfalls noch, ob sie die ganz unbestimmten Vor-
stellungen treffe, die sich mit dem Gedanken an ein ver-
schieden starkes psychisches Festsitzen verbinden. Das letz-
tere wird man vielleicht zugestehen. Ueber die Zweckmässsig-
keit aber lässt sich von vornherein nichts sagen; man wird
sie erst beurteilen können nach Gewinnung umfassenderer
Resultate. Und zwar wird der Ausfall des Urteils wesentlich
davon abhängen, ob die mit Hülfe des definierten Masses ge-
wonnenen Ergebnisse die Grundforderung erfüllen, die wir an
ein zweckmässiges Mass zu stellen pflegen. Diese besteht da-
rin, dass bei beliebiger Aenderung der willkürlichen Bestim-
mungen, welche jedes Mass enthält, die mit dem geänderten
Mass gewonnenen Resultate durch Multiplikation mit ein und
derselben Konstanten auf die alten Masszahlen zurückgeführt
werden können. Man müsste in unserem Falle also z. B.
wissen, ob der Charakter der Resultate derselbe bleibt, wenn
statt der willkürlich festgesetzten Zeit von 24 Stunden für
die Bestimmung der Nachwirkung der Wiederholungen irgend
ein anderes Intervall eingeführt würde, oder ob dadurch die
ganze Gesetzmässigkeit der Resultate ebensowohl eine andere
würde, wie dies natürlich mit ihren absoluten Werten der Fall
ist. Darüber aber kann man selbstverständlich a priori nicht
diskutieren.

Für die Ermittelung des Abhängigkeitsverhältnisses zwi-
schen der zunehmenden Anzahl von Wiederholungen einer

Die Zeit nach der ersten Einprägung, zu der die Konstatie-
rung der Arbeitsersparnis vorgenommen wird, kann man zu-
nächst natürlich beliebig bestimmen; ich habe dafür den Zeit-
raum von 24 Stunden gewählt.

Da es sich bei dieser Definition nicht um Fixierung eines
allgemeinen Sprachgebrauchs handelt, so kann man nicht
eigentlich fragen, ob sie richtig, sondern nur, ob sie zweck-
mäſsig sei, allenfalls noch, ob sie die ganz unbestimmten Vor-
stellungen treffe, die sich mit dem Gedanken an ein ver-
schieden starkes psychisches Festsitzen verbinden. Das letz-
tere wird man vielleicht zugestehen. Ueber die Zweckmäſssig-
keit aber läſst sich von vornherein nichts sagen; man wird
sie erst beurteilen können nach Gewinnung umfassenderer
Resultate. Und zwar wird der Ausfall des Urteils wesentlich
davon abhängen, ob die mit Hülfe des definierten Maſses ge-
wonnenen Ergebnisse die Grundforderung erfüllen, die wir an
ein zweckmäſsiges Maſs zu stellen pflegen. Diese besteht da-
rin, daſs bei beliebiger Aenderung der willkürlichen Bestim-
mungen, welche jedes Maſs enthält, die mit dem geänderten
Maſs gewonnenen Resultate durch Multiplikation mit ein und
derselben Konstanten auf die alten Maſszahlen zurückgeführt
werden können. Man müſste in unserem Falle also z. B.
wissen, ob der Charakter der Resultate derselbe bleibt, wenn
statt der willkürlich festgesetzten Zeit von 24 Stunden für
die Bestimmung der Nachwirkung der Wiederholungen irgend
ein anderes Intervall eingeführt würde, oder ob dadurch die
ganze Gesetzmäſsigkeit der Resultate ebensowohl eine andere
würde, wie dies natürlich mit ihren absoluten Werten der Fall
ist. Darüber aber kann man selbstverständlich a priori nicht
diskutieren.

Für die Ermittelung des Abhängigkeitsverhältnisses zwi-
schen der zunehmenden Anzahl von Wiederholungen einer

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[73/0089] Die Zeit nach der ersten Einprägung, zu der die Konstatie- rung der Arbeitsersparnis vorgenommen wird, kann man zu- nächst natürlich beliebig bestimmen; ich habe dafür den Zeit- raum von 24 Stunden gewählt. Da es sich bei dieser Definition nicht um Fixierung eines allgemeinen Sprachgebrauchs handelt, so kann man nicht eigentlich fragen, ob sie richtig, sondern nur, ob sie zweck- mäſsig sei, allenfalls noch, ob sie die ganz unbestimmten Vor- stellungen treffe, die sich mit dem Gedanken an ein ver- schieden starkes psychisches Festsitzen verbinden. Das letz- tere wird man vielleicht zugestehen. Ueber die Zweckmäſssig- keit aber läſst sich von vornherein nichts sagen; man wird sie erst beurteilen können nach Gewinnung umfassenderer Resultate. Und zwar wird der Ausfall des Urteils wesentlich davon abhängen, ob die mit Hülfe des definierten Maſses ge- wonnenen Ergebnisse die Grundforderung erfüllen, die wir an ein zweckmäſsiges Maſs zu stellen pflegen. Diese besteht da- rin, daſs bei beliebiger Aenderung der willkürlichen Bestim- mungen, welche jedes Maſs enthält, die mit dem geänderten Maſs gewonnenen Resultate durch Multiplikation mit ein und derselben Konstanten auf die alten Maſszahlen zurückgeführt werden können. Man müſste in unserem Falle also z. B. wissen, ob der Charakter der Resultate derselbe bleibt, wenn statt der willkürlich festgesetzten Zeit von 24 Stunden für die Bestimmung der Nachwirkung der Wiederholungen irgend ein anderes Intervall eingeführt würde, oder ob dadurch die ganze Gesetzmäſsigkeit der Resultate ebensowohl eine andere würde, wie dies natürlich mit ihren absoluten Werten der Fall ist. Darüber aber kann man selbstverständlich a priori nicht diskutieren. Für die Ermittelung des Abhängigkeitsverhältnisses zwi- schen der zunehmenden Anzahl von Wiederholungen einer

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/89>, abgerufen am 20.04.2024.