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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Das Fahrzeug war vor etwa einer halben Stunde aus
Naukratis 3), dem einzigen hellenischen Hafenplatze im
damaligen Aegypten, abgesegelt. Der graue, düstere Mann
hatte auf der ganzen Fahrt kein Wort gesprochen, und
der andere, jüngere, ihn seinen Gedanken überlassen. Als
sich jetzt die Barke dem Ufer näherte, richtete sich der un-
ruhigere Fahrgast auf und rief seinem Genossen zu: "Gleich
werden wir am Ziele sein, Aristomachos. Dort drüben,
links, das freundliche Haus in dem Garten voller Palmen,
der die überschwemmten Fluren überragt 4), ist die Woh-
nung meiner Freundin Rhodopis. Jhr verstorbener Gatte
Charaxos hat es bauen lassen, und all' ihre Freunde, ja
selbst der König, beeifern sich, dasselbe in jedem Jahre mit
neuen Verschönerungen zu versehen. Unnöthige Mühe! Dieses
Hauses beste Zierde wird, und wenn sie alle Schätze der Welt
hineintragen wollten, seine herrliche Bewohnerin bleiben!"

Der Alte richtete sich auf, warf einen flüchtigen Blick
auf das Gebäude, ordnete mit der Hand seinen dichten
grauen Bart, der Kinn und Wangen, aber nicht die Lip-
pen 5) umgab, und fragte kurz: "Welches Wesen, Phanes,
machst Du von dieser Rhodopis? Seit wann preisen die
Athener alte Weiber?" Der also Angeredete lächelte und
erwiederte selbstgefällig: "Jch glaube, daß ich mich auf
die Menschen, und ganz besonders auf die Frauen sehr
wohl verstehe; versichere Dich aber nochmals, daß ich nichts
Edleres in ganz Aegypten kenne, als diese Greisin. Wenn
Du sie und ihre holde Enkelin gesehen und Deine Lieb-
lingsweisen von einem Chor vortrefflich eingeübter Sklavin-
nen gehört haben wirst, so dankst Du mir sicher für meine
Führung!" -- "Dennoch," antwortete mit ernster Stimme der
Spartaner, "wäre ich Dir nicht gefolgt, wenn ich nicht den
Delphier Phryxos allhier zu treffen hoffte."

Das Fahrzeug war vor etwa einer halben Stunde aus
Naukratis 3), dem einzigen helleniſchen Hafenplatze im
damaligen Aegypten, abgeſegelt. Der graue, düſtere Mann
hatte auf der ganzen Fahrt kein Wort geſprochen, und
der andere, jüngere, ihn ſeinen Gedanken überlaſſen. Als
ſich jetzt die Barke dem Ufer näherte, richtete ſich der un-
ruhigere Fahrgaſt auf und rief ſeinem Genoſſen zu: „Gleich
werden wir am Ziele ſein, Ariſtomachos. Dort drüben,
links, das freundliche Haus in dem Garten voller Palmen,
der die überſchwemmten Fluren überragt 4), iſt die Woh-
nung meiner Freundin Rhodopis. Jhr verſtorbener Gatte
Charaxos hat es bauen laſſen, und all’ ihre Freunde, ja
ſelbſt der König, beeifern ſich, daſſelbe in jedem Jahre mit
neuen Verſchönerungen zu verſehen. Unnöthige Mühe! Dieſes
Hauſes beſte Zierde wird, und wenn ſie alle Schätze der Welt
hineintragen wollten, ſeine herrliche Bewohnerin bleiben!“

Der Alte richtete ſich auf, warf einen flüchtigen Blick
auf das Gebäude, ordnete mit der Hand ſeinen dichten
grauen Bart, der Kinn und Wangen, aber nicht die Lip-
pen 5) umgab, und fragte kurz: „Welches Weſen, Phanes,
machſt Du von dieſer Rhodopis? Seit wann preiſen die
Athener alte Weiber?“ Der alſo Angeredete lächelte und
erwiederte ſelbſtgefällig: „Jch glaube, daß ich mich auf
die Menſchen, und ganz beſonders auf die Frauen ſehr
wohl verſtehe; verſichere Dich aber nochmals, daß ich nichts
Edleres in ganz Aegypten kenne, als dieſe Greiſin. Wenn
Du ſie und ihre holde Enkelin geſehen und Deine Lieb-
lingsweiſen von einem Chor vortrefflich eingeübter Sklavin-
nen gehört haben wirſt, ſo dankſt Du mir ſicher für meine
Führung!“ — „Dennoch,“ antwortete mit ernſter Stimme der
Spartaner, „wäre ich Dir nicht gefolgt, wenn ich nicht den
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[3/0021] Das Fahrzeug war vor etwa einer halben Stunde aus Naukratis 3), dem einzigen helleniſchen Hafenplatze im damaligen Aegypten, abgeſegelt. Der graue, düſtere Mann hatte auf der ganzen Fahrt kein Wort geſprochen, und der andere, jüngere, ihn ſeinen Gedanken überlaſſen. Als ſich jetzt die Barke dem Ufer näherte, richtete ſich der un- ruhigere Fahrgaſt auf und rief ſeinem Genoſſen zu: „Gleich werden wir am Ziele ſein, Ariſtomachos. Dort drüben, links, das freundliche Haus in dem Garten voller Palmen, der die überſchwemmten Fluren überragt 4), iſt die Woh- nung meiner Freundin Rhodopis. Jhr verſtorbener Gatte Charaxos hat es bauen laſſen, und all’ ihre Freunde, ja ſelbſt der König, beeifern ſich, daſſelbe in jedem Jahre mit neuen Verſchönerungen zu verſehen. Unnöthige Mühe! Dieſes Hauſes beſte Zierde wird, und wenn ſie alle Schätze der Welt hineintragen wollten, ſeine herrliche Bewohnerin bleiben!“ Der Alte richtete ſich auf, warf einen flüchtigen Blick auf das Gebäude, ordnete mit der Hand ſeinen dichten grauen Bart, der Kinn und Wangen, aber nicht die Lip- pen 5) umgab, und fragte kurz: „Welches Weſen, Phanes, machſt Du von dieſer Rhodopis? Seit wann preiſen die Athener alte Weiber?“ Der alſo Angeredete lächelte und erwiederte ſelbſtgefällig: „Jch glaube, daß ich mich auf die Menſchen, und ganz beſonders auf die Frauen ſehr wohl verſtehe; verſichere Dich aber nochmals, daß ich nichts Edleres in ganz Aegypten kenne, als dieſe Greiſin. Wenn Du ſie und ihre holde Enkelin geſehen und Deine Lieb- lingsweiſen von einem Chor vortrefflich eingeübter Sklavin- nen gehört haben wirſt, ſo dankſt Du mir ſicher für meine Führung!“ — „Dennoch,“ antwortete mit ernſter Stimme der Spartaner, „wäre ich Dir nicht gefolgt, wenn ich nicht den Delphier Phryxos allhier zu treffen hoffte.“

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/21>, abgerufen am 28.03.2024.