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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Charakter denken läßt, sagte er, ein entschiedener
Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden
Vergötterung, die man mit ihm trieb oder treiben
wollte. Als Kotzebue vorhatte, eine öffentliche Demon¬
stration zu seinem Ruhme zu veranstalten, war es ihm
so zuwider, daß er vor innerem Ekel darüber fast
krank wurde. Ebenso war es ihm zuwider, wenn ein
Fremder sich bei ihm melden ließ. Wenn er augen¬
blicklich behindert war, ihn zu sehen, und er ihn etwa
auf den Nachmittag vier Uhr bestellte, so war in der
Regel anzunehmen, daß er um die bestimmte Stunde
vor lauter Apprehension krank war. Auch konnte er
in solchen Fällen gelegentlich sehr ungeduldig und auch
wohl grob werden. Ich war Zeuge, wie er einst einen
fremden Chirurgus, der, um ihm seinen Besuch zu
machen, bei ihm unangemeldet eintrat, sehr heftig an¬
fuhr, so daß der arme Mensch, ganz verblüfft, nicht
wußte, wie schnell er sich sollte zurückziehen."

"Wir waren, wie gesagt und wie wir Alle wissen,
fuhr Goethe fort, bei aller Gleichheit unserer Richtun¬
gen, Naturen sehr verschiedener Art, und zwar nicht
bloß in geistigen Dingen, sondern auch in physischen.
Eine Luft, die Schillern wohlthätig war, wirkte auf
mich wie Gift. Ich besuchte ihn eines Tages, und da
ich ihn nicht zu Hause fand und seine Frau mir sagte,
daß er bald zurückkommen würde, so setzte ich mich an
seinen Arbeitstisch, um mir Dieses und Jenes zu

Charakter denken läßt, ſagte er, ein entſchiedener
Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden
Vergötterung, die man mit ihm trieb oder treiben
wollte. Als Kotzebue vorhatte, eine öffentliche Demon¬
ſtration zu ſeinem Ruhme zu veranſtalten, war es ihm
ſo zuwider, daß er vor innerem Ekel darüber faſt
krank wurde. Ebenſo war es ihm zuwider, wenn ein
Fremder ſich bei ihm melden ließ. Wenn er augen¬
blicklich behindert war, ihn zu ſehen, und er ihn etwa
auf den Nachmittag vier Uhr beſtellte, ſo war in der
Regel anzunehmen, daß er um die beſtimmte Stunde
vor lauter Apprehenſion krank war. Auch konnte er
in ſolchen Fällen gelegentlich ſehr ungeduldig und auch
wohl grob werden. Ich war Zeuge, wie er einſt einen
fremden Chirurgus, der, um ihm ſeinen Beſuch zu
machen, bei ihm unangemeldet eintrat, ſehr heftig an¬
fuhr, ſo daß der arme Menſch, ganz verblüfft, nicht
wußte, wie ſchnell er ſich ſollte zurückziehen.“

„Wir waren, wie geſagt und wie wir Alle wiſſen,
fuhr Goethe fort, bei aller Gleichheit unſerer Richtun¬
gen, Naturen ſehr verſchiedener Art, und zwar nicht
bloß in geiſtigen Dingen, ſondern auch in phyſiſchen.
Eine Luft, die Schillern wohlthätig war, wirkte auf
mich wie Gift. Ich beſuchte ihn eines Tages, und da
ich ihn nicht zu Hauſe fand und ſeine Frau mir ſagte,
daß er bald zurückkommen würde, ſo ſetzte ich mich an
ſeinen Arbeitstiſch, um mir Dieſes und Jenes zu

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[196/0218] Charakter denken läßt, ſagte er, ein entſchiedener Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden Vergötterung, die man mit ihm trieb oder treiben wollte. Als Kotzebue vorhatte, eine öffentliche Demon¬ ſtration zu ſeinem Ruhme zu veranſtalten, war es ihm ſo zuwider, daß er vor innerem Ekel darüber faſt krank wurde. Ebenſo war es ihm zuwider, wenn ein Fremder ſich bei ihm melden ließ. Wenn er augen¬ blicklich behindert war, ihn zu ſehen, und er ihn etwa auf den Nachmittag vier Uhr beſtellte, ſo war in der Regel anzunehmen, daß er um die beſtimmte Stunde vor lauter Apprehenſion krank war. Auch konnte er in ſolchen Fällen gelegentlich ſehr ungeduldig und auch wohl grob werden. Ich war Zeuge, wie er einſt einen fremden Chirurgus, der, um ihm ſeinen Beſuch zu machen, bei ihm unangemeldet eintrat, ſehr heftig an¬ fuhr, ſo daß der arme Menſch, ganz verblüfft, nicht wußte, wie ſchnell er ſich ſollte zurückziehen.“ „Wir waren, wie geſagt und wie wir Alle wiſſen, fuhr Goethe fort, bei aller Gleichheit unſerer Richtun¬ gen, Naturen ſehr verſchiedener Art, und zwar nicht bloß in geiſtigen Dingen, ſondern auch in phyſiſchen. Eine Luft, die Schillern wohlthätig war, wirkte auf mich wie Gift. Ich beſuchte ihn eines Tages, und da ich ihn nicht zu Hauſe fand und ſeine Frau mir ſagte, daß er bald zurückkommen würde, ſo ſetzte ich mich an ſeinen Arbeitstiſch, um mir Dieſes und Jenes zu

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/218>, abgerufen am 16.04.2024.