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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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umher und flogen mir entgegen und auf meine Hand,
sowie ich in die Thür hereintrat. Ich hatte eines
Mittags das Unglück, daß bei meinem Hereintre¬
ten in die Kammer einer dieser Vögel über mich
hinweg und zum Hause hinausflog, ich wußte nicht
wohin. Ich suchte ihn den ganzen Nachmittag auf
allen Dächern, und war untröstlich, als es Abend
ward und ich von ihm keine Spur gefunden hatte.
Mit betrübten herzlichen Gedanken an ihn schlief ich
ein, und hatte gegen Morgen folgenden Traum. Ich
sah mich nämlich, wie ich an unsern Nachbarhäusern
umherging und meinen verlorenen Vogel suchte. Auf
einmal höre ich den Ton seiner Stimme und sehe ihn
hinter dem Gärtchen unserer Hütte auf dem Dache
eines Nachbarhauses sitzen; ich sehe, wie ich ihn locke,
und wie er näher zu mir herabkommt, wie er futter¬
begierig die Flügel gegen mich bewegt, aber doch sich
nicht entschließen kann, auf meine Hand herabzufliegen.
Ich sehe darauf, wie ich schnell durch unser Gärtchen
in meine Kammer laufe und die Tasse mit gequollenem
Rübsamen herbeihole; ich sehe, wie ich ihm sein belieb¬
tes Futter entgegenreiche, wie er herab auf meine Hand
kommt und ich ihn voller Freude zu den beiden andern
zurück in meine Kammer trage.

Mit diesem Traum wache ich auf. Und da es be¬
reits vollkommen Tag war, so werfe ich mich schnell in
meine Kleider und habe nichts Eiligeres zu thun, als

umher und flogen mir entgegen und auf meine Hand,
ſowie ich in die Thür hereintrat. Ich hatte eines
Mittags das Unglück, daß bei meinem Hereintre¬
ten in die Kammer einer dieſer Vögel über mich
hinweg und zum Hauſe hinausflog, ich wußte nicht
wohin. Ich ſuchte ihn den ganzen Nachmittag auf
allen Dächern, und war untröſtlich, als es Abend
ward und ich von ihm keine Spur gefunden hatte.
Mit betrübten herzlichen Gedanken an ihn ſchlief ich
ein, und hatte gegen Morgen folgenden Traum. Ich
ſah mich nämlich, wie ich an unſern Nachbarhäuſern
umherging und meinen verlorenen Vogel ſuchte. Auf
einmal höre ich den Ton ſeiner Stimme und ſehe ihn
hinter dem Gärtchen unſerer Hütte auf dem Dache
eines Nachbarhauſes ſitzen; ich ſehe, wie ich ihn locke,
und wie er näher zu mir herabkommt, wie er futter¬
begierig die Flügel gegen mich bewegt, aber doch ſich
nicht entſchließen kann, auf meine Hand herabzufliegen.
Ich ſehe darauf, wie ich ſchnell durch unſer Gärtchen
in meine Kammer laufe und die Taſſe mit gequollenem
Rübſamen herbeihole; ich ſehe, wie ich ihm ſein belieb¬
tes Futter entgegenreiche, wie er herab auf meine Hand
kommt und ich ihn voller Freude zu den beiden andern
zurück in meine Kammer trage.

Mit dieſem Traum wache ich auf. Und da es be¬
reits vollkommen Tag war, ſo werfe ich mich ſchnell in
meine Kleider und habe nichts Eiligeres zu thun, als

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[198/0220] umher und flogen mir entgegen und auf meine Hand, ſowie ich in die Thür hereintrat. Ich hatte eines Mittags das Unglück, daß bei meinem Hereintre¬ ten in die Kammer einer dieſer Vögel über mich hinweg und zum Hauſe hinausflog, ich wußte nicht wohin. Ich ſuchte ihn den ganzen Nachmittag auf allen Dächern, und war untröſtlich, als es Abend ward und ich von ihm keine Spur gefunden hatte. Mit betrübten herzlichen Gedanken an ihn ſchlief ich ein, und hatte gegen Morgen folgenden Traum. Ich ſah mich nämlich, wie ich an unſern Nachbarhäuſern umherging und meinen verlorenen Vogel ſuchte. Auf einmal höre ich den Ton ſeiner Stimme und ſehe ihn hinter dem Gärtchen unſerer Hütte auf dem Dache eines Nachbarhauſes ſitzen; ich ſehe, wie ich ihn locke, und wie er näher zu mir herabkommt, wie er futter¬ begierig die Flügel gegen mich bewegt, aber doch ſich nicht entſchließen kann, auf meine Hand herabzufliegen. Ich ſehe darauf, wie ich ſchnell durch unſer Gärtchen in meine Kammer laufe und die Taſſe mit gequollenem Rübſamen herbeihole; ich ſehe, wie ich ihm ſein belieb¬ tes Futter entgegenreiche, wie er herab auf meine Hand kommt und ich ihn voller Freude zu den beiden andern zurück in meine Kammer trage. Mit dieſem Traum wache ich auf. Und da es be¬ reits vollkommen Tag war, ſo werfe ich mich ſchnell in meine Kleider und habe nichts Eiligeres zu thun, als

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/220>, abgerufen am 25.04.2024.