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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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dert mit uns Deutschen aussieht, und ob wir es sodann
dahin werden gebracht haben, nicht mehr abstracte Ge¬
lehrte und Philosophen, sondern Menschen zu seyn."


Mit Goethe spazieren gefahren. Er amüsirte sich
an der Erinnerung seiner Streitigkeiten mit Kotzebue
und Consorten und recitirte einige sehr lustige Epi¬
gramme gegen den Ersteren, die übrigens mehr spaßhaft
als verletzend waren. Ich fragte ihn: warum er sie
nicht in seine Werke aufgenommen? "Ich habe eine
ganze Sammlung solcher Gedichtchen, erwiederte Goethe,
die ich geheim halte und nur gelegentlich den Vertrau¬
testen meiner Freunde zeige. Es war dieß die einzige
unschuldige Waffe, die mir gegen die Angriffe meiner
Feinde zu Gebote stand. Ich machte mir dadurch im
Stillen Luft und befreiete und reinigte mich dadurch
von dem fatalen Gefühl des Mißwollens, das ich sonst
gegen die öffentlichen und oft boshaften Häkeleien
meiner Gegner hätte empfinden und nähren müssen.
Durch jene Gedichtchen habe ich mir also persönlich
einen wesentlichen Dienst geleistet. Aber ich will nicht
das Publicum mit meinen Privathändeln beschäftigen
oder noch lebende Personen dadurch verletzen. In spä¬
terer Zeit jedoch wird sich davon Dieß oder Jenes
ganz ohne Bedenken mittheilen lassen."


dert mit uns Deutſchen ausſieht, und ob wir es ſodann
dahin werden gebracht haben, nicht mehr abſtracte Ge¬
lehrte und Philoſophen, ſondern Menſchen zu ſeyn.“


Mit Goethe ſpazieren gefahren. Er amüſirte ſich
an der Erinnerung ſeiner Streitigkeiten mit Kotzebue
und Conſorten und recitirte einige ſehr luſtige Epi¬
gramme gegen den Erſteren, die übrigens mehr ſpaßhaft
als verletzend waren. Ich fragte ihn: warum er ſie
nicht in ſeine Werke aufgenommen? „Ich habe eine
ganze Sammlung ſolcher Gedichtchen, erwiederte Goethe,
die ich geheim halte und nur gelegentlich den Vertrau¬
teſten meiner Freunde zeige. Es war dieß die einzige
unſchuldige Waffe, die mir gegen die Angriffe meiner
Feinde zu Gebote ſtand. Ich machte mir dadurch im
Stillen Luft und befreiete und reinigte mich dadurch
von dem fatalen Gefühl des Mißwollens, das ich ſonſt
gegen die öffentlichen und oft boshaften Häkeleien
meiner Gegner hätte empfinden und nähren müſſen.
Durch jene Gedichtchen habe ich mir alſo perſönlich
einen weſentlichen Dienſt geleiſtet. Aber ich will nicht
das Publicum mit meinen Privathändeln beſchäftigen
oder noch lebende Perſonen dadurch verletzen. In ſpä¬
terer Zeit jedoch wird ſich davon Dieß oder Jenes
ganz ohne Bedenken mittheilen laſſen.“


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[254/0276] dert mit uns Deutſchen ausſieht, und ob wir es ſodann dahin werden gebracht haben, nicht mehr abſtracte Ge¬ lehrte und Philoſophen, ſondern Menſchen zu ſeyn.“ Freitag, den 16. Mai 1828*. Mit Goethe ſpazieren gefahren. Er amüſirte ſich an der Erinnerung ſeiner Streitigkeiten mit Kotzebue und Conſorten und recitirte einige ſehr luſtige Epi¬ gramme gegen den Erſteren, die übrigens mehr ſpaßhaft als verletzend waren. Ich fragte ihn: warum er ſie nicht in ſeine Werke aufgenommen? „Ich habe eine ganze Sammlung ſolcher Gedichtchen, erwiederte Goethe, die ich geheim halte und nur gelegentlich den Vertrau¬ teſten meiner Freunde zeige. Es war dieß die einzige unſchuldige Waffe, die mir gegen die Angriffe meiner Feinde zu Gebote ſtand. Ich machte mir dadurch im Stillen Luft und befreiete und reinigte mich dadurch von dem fatalen Gefühl des Mißwollens, das ich ſonſt gegen die öffentlichen und oft boshaften Häkeleien meiner Gegner hätte empfinden und nähren müſſen. Durch jene Gedichtchen habe ich mir alſo perſönlich einen weſentlichen Dienſt geleiſtet. Aber ich will nicht das Publicum mit meinen Privathändeln beſchäftigen oder noch lebende Perſonen dadurch verletzen. In ſpä¬ terer Zeit jedoch wird ſich davon Dieß oder Jenes ganz ohne Bedenken mittheilen laſſen.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/276>, abgerufen am 28.03.2024.