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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Gesellschaft des Herrn Oberbaudirectors Coudray. Wir
sprachen über das Theater und die Verbesserungen, die
dabei seit einiger Zeit eingetreten sind. "Ich bemerke
es, ohne hinzugehen, sagte Goethe lachend. Noch vor
zwei Monaten kamen meine Kinder des Abends immer
mißvergnügt nach Hause. Sie waren nie mit dem
Plaisir zufrieden, das man ihnen hatte bereiten wollen.
Aber jetzt hat sich das Blatt gewendet; sie kommen mit
freudeglänzenden Gesichtern, weil sie doch einmal
sich recht hätten satt weinen können
. Gestern
haben sie diese "Wonne der Thränen" einem Drama
von Kotzebue zu verdanken gehabt."


Abends mit Goethe allein. Wir sprachen über
Literatur, Lord Byron, dessen Sardanapal und Werner.
Sodann kamen wir auf den Faust, über den Goethe
oft und gerne redet. Er möchte, daß man ihn ins
Französische übersetzte, und zwar im Charakter der Zeit
des Marot. Er betrachtet ihn als die Quelle, aus der
Byron die Stimmung zu seinem Manfred geschöpft.
Goethe findet, daß Byron in seinen beiden letzten
Tragödien entschiedene Fortschritte gemacht, indem er
darin weniger düster und misanthropisch erscheint. Wir
sprachen sodann über den Text der Zauberflöte, wovon
Goethe die Fortsetzung gemacht, aber noch keinen Com¬
ponisten gefunden hat, um den Gegenstand gehörig zu

III. 2

Geſellſchaft des Herrn Oberbaudirectors Coudray. Wir
ſprachen über das Theater und die Verbeſſerungen, die
dabei ſeit einiger Zeit eingetreten ſind. „Ich bemerke
es, ohne hinzugehen, ſagte Goethe lachend. Noch vor
zwei Monaten kamen meine Kinder des Abends immer
mißvergnügt nach Hauſe. Sie waren nie mit dem
Plaiſir zufrieden, das man ihnen hatte bereiten wollen.
Aber jetzt hat ſich das Blatt gewendet; ſie kommen mit
freudeglänzenden Geſichtern, weil ſie doch einmal
ſich recht hätten ſatt weinen können
. Geſtern
haben ſie dieſe „Wonne der Thränen“ einem Drama
von Kotzebue zu verdanken gehabt.“


Abends mit Goethe allein. Wir ſprachen über
Literatur, Lord Byron, deſſen Sardanapal und Werner.
Sodann kamen wir auf den Fauſt, über den Goethe
oft und gerne redet. Er möchte, daß man ihn ins
Franzöſiſche überſetzte, und zwar im Charakter der Zeit
des Marot. Er betrachtet ihn als die Quelle, aus der
Byron die Stimmung zu ſeinem Manfred geſchöpft.
Goethe findet, daß Byron in ſeinen beiden letzten
Tragödien entſchiedene Fortſchritte gemacht, indem er
darin weniger düſter und miſanthropiſch erſcheint. Wir
ſprachen ſodann über den Text der Zauberflöte, wovon
Goethe die Fortſetzung gemacht, aber noch keinen Com¬
poniſten gefunden hat, um den Gegenſtand gehörig zu

III. 2
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[17/0039] Geſellſchaft des Herrn Oberbaudirectors Coudray. Wir ſprachen über das Theater und die Verbeſſerungen, die dabei ſeit einiger Zeit eingetreten ſind. „Ich bemerke es, ohne hinzugehen, ſagte Goethe lachend. Noch vor zwei Monaten kamen meine Kinder des Abends immer mißvergnügt nach Hauſe. Sie waren nie mit dem Plaiſir zufrieden, das man ihnen hatte bereiten wollen. Aber jetzt hat ſich das Blatt gewendet; ſie kommen mit freudeglänzenden Geſichtern, weil ſie doch einmal ſich recht hätten ſatt weinen können. Geſtern haben ſie dieſe „Wonne der Thränen“ einem Drama von Kotzebue zu verdanken gehabt.“ Montag, den 13. April 1823*. Abends mit Goethe allein. Wir ſprachen über Literatur, Lord Byron, deſſen Sardanapal und Werner. Sodann kamen wir auf den Fauſt, über den Goethe oft und gerne redet. Er möchte, daß man ihn ins Franzöſiſche überſetzte, und zwar im Charakter der Zeit des Marot. Er betrachtet ihn als die Quelle, aus der Byron die Stimmung zu ſeinem Manfred geſchöpft. Goethe findet, daß Byron in ſeinen beiden letzten Tragödien entſchiedene Fortſchritte gemacht, indem er darin weniger düſter und miſanthropiſch erſcheint. Wir ſprachen ſodann über den Text der Zauberflöte, wovon Goethe die Fortſetzung gemacht, aber noch keinen Com¬ poniſten gefunden hat, um den Gegenſtand gehörig zu III. 2

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/39>, abgerufen am 24.04.2024.