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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Mit seinem jähen Untergang war auf einmal alles zu Ende.
Sein Nachfolger Maximilian, der nur halb dem Lande angehörte,
fand mehr Vergnügen an den steilen Felsen der Alpen, wenn er
einsam der Gemse nachging, als an dem prunkenden Ceremoniell
auf dem glatten Parquet der Paläste; immer unruhig und immer
geldarm, wußte er den Glanz nicht zu fesseln an den Hof von
Burgund und wollte es auch nicht. Frankreich und Spanien
stritten sich dann nach dem Tode Ludwigs XI. eine Zeitlang um
dieses Erbe Burgunds, die Herrschaft in Mode- und Hofwesen,
bis für das sechszehnte Jahrhundert Spanien den Sieg davon
trug.

Glanz und Etiquette sind die beiden vorragendsten Eigen-
schaften des burgundischen Hofes; sie zeigen sich äußerlich als
Pracht in Stoff und Farbe und als Steifheit der Formen in der
Kleidung wie im Umgang. Wenn wir die zahlreichen Bilder mit
Darstellungen des höfischen Lebens betrachten, namentlich aber
die kostbaren und überaus feinen, nie wieder übertroffenen Mi-
niaturen, welche Herzog Philipp machen ließ, und die, mögen sie
auch die fernsten Zeiten und fremdesten Völker illustriren -- Ro-
mane, Gedichte, Geschichtswerke --, immer ein Spiegel seines
eigenen Glanzes sind, sie werfen uns mit dem Gefunkel von
Gold und Edelsteinen, mit der Massenverschwendung des kostbar-
sten Stoffes, mit der glühenden, satten Farbenpracht ein Bild
entgegen, das zu allen Zeiten seines Gleichen sucht. Wir gewin-
nen dasselbe Bild, im Frieden wie im Krieg, wenn wir lesen,
was uns die Augenzeugen überliefert haben. Lassen wir uns
z. B. von der Hofdame, Madame de Poitiers, zur Taufe der
Maria von Burgund führen. Die ganze Kirche ist von innen mit
den kostbarsten Teppichen bedeckt, Goldbrokatstoffe hängen um
den Taufstein, liegen auf Tischen und auf dem Boden; darüber
erheben sich sammtene Himmel. Sechshundert Fackeln sind auf-
geboten, vierhundert davon der Bürger, alle gleich gekleidet, hun-
dert der Hausoffizianten in der Kirche, hundert der Hofjunker,
die auf dem kurzen Wege vom Palast zur Kirche vor dem Kinde
hergehen. Dazu die Staffage der reichgestickten Livreen unzähli-

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Mit ſeinem jähen Untergang war auf einmal alles zu Ende.
Sein Nachfolger Maximilian, der nur halb dem Lande angehörte,
fand mehr Vergnügen an den ſteilen Felſen der Alpen, wenn er
einſam der Gemſe nachging, als an dem prunkenden Ceremoniell
auf dem glatten Parquet der Paläſte; immer unruhig und immer
geldarm, wußte er den Glanz nicht zu feſſeln an den Hof von
Burgund und wollte es auch nicht. Frankreich und Spanien
ſtritten ſich dann nach dem Tode Ludwigs XI. eine Zeitlang um
dieſes Erbe Burgunds, die Herrſchaft in Mode- und Hofweſen,
bis für das ſechszehnte Jahrhundert Spanien den Sieg davon
trug.

Glanz und Etiquette ſind die beiden vorragendſten Eigen-
ſchaften des burgundiſchen Hofes; ſie zeigen ſich äußerlich als
Pracht in Stoff und Farbe und als Steifheit der Formen in der
Kleidung wie im Umgang. Wenn wir die zahlreichen Bilder mit
Darſtellungen des höfiſchen Lebens betrachten, namentlich aber
die koſtbaren und überaus feinen, nie wieder übertroffenen Mi-
niaturen, welche Herzog Philipp machen ließ, und die, mögen ſie
auch die fernſten Zeiten und fremdeſten Völker illuſtriren — Ro-
mane, Gedichte, Geſchichtswerke —, immer ein Spiegel ſeines
eigenen Glanzes ſind, ſie werfen uns mit dem Gefunkel von
Gold und Edelſteinen, mit der Maſſenverſchwendung des koſtbar-
ſten Stoffes, mit der glühenden, ſatten Farbenpracht ein Bild
entgegen, das zu allen Zeiten ſeines Gleichen ſucht. Wir gewin-
nen daſſelbe Bild, im Frieden wie im Krieg, wenn wir leſen,
was uns die Augenzeugen überliefert haben. Laſſen wir uns
z. B. von der Hofdame, Madame de Poitiers, zur Taufe der
Maria von Burgund führen. Die ganze Kirche iſt von innen mit
den koſtbarſten Teppichen bedeckt, Goldbrokatſtoffe hängen um
den Taufſtein, liegen auf Tiſchen und auf dem Boden; darüber
erheben ſich ſammtene Himmel. Sechshundert Fackeln ſind auf-
geboten, vierhundert davon der Bürger, alle gleich gekleidet, hun-
dert der Hausoffizianten in der Kirche, hundert der Hofjunker,
die auf dem kurzen Wege vom Palaſt zur Kirche vor dem Kinde
hergehen. Dazu die Staffage der reichgeſtickten Livreen unzähli-

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[261/0279] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Mit ſeinem jähen Untergang war auf einmal alles zu Ende. Sein Nachfolger Maximilian, der nur halb dem Lande angehörte, fand mehr Vergnügen an den ſteilen Felſen der Alpen, wenn er einſam der Gemſe nachging, als an dem prunkenden Ceremoniell auf dem glatten Parquet der Paläſte; immer unruhig und immer geldarm, wußte er den Glanz nicht zu feſſeln an den Hof von Burgund und wollte es auch nicht. Frankreich und Spanien ſtritten ſich dann nach dem Tode Ludwigs XI. eine Zeitlang um dieſes Erbe Burgunds, die Herrſchaft in Mode- und Hofweſen, bis für das ſechszehnte Jahrhundert Spanien den Sieg davon trug. Glanz und Etiquette ſind die beiden vorragendſten Eigen- ſchaften des burgundiſchen Hofes; ſie zeigen ſich äußerlich als Pracht in Stoff und Farbe und als Steifheit der Formen in der Kleidung wie im Umgang. Wenn wir die zahlreichen Bilder mit Darſtellungen des höfiſchen Lebens betrachten, namentlich aber die koſtbaren und überaus feinen, nie wieder übertroffenen Mi- niaturen, welche Herzog Philipp machen ließ, und die, mögen ſie auch die fernſten Zeiten und fremdeſten Völker illuſtriren — Ro- mane, Gedichte, Geſchichtswerke —, immer ein Spiegel ſeines eigenen Glanzes ſind, ſie werfen uns mit dem Gefunkel von Gold und Edelſteinen, mit der Maſſenverſchwendung des koſtbar- ſten Stoffes, mit der glühenden, ſatten Farbenpracht ein Bild entgegen, das zu allen Zeiten ſeines Gleichen ſucht. Wir gewin- nen daſſelbe Bild, im Frieden wie im Krieg, wenn wir leſen, was uns die Augenzeugen überliefert haben. Laſſen wir uns z. B. von der Hofdame, Madame de Poitiers, zur Taufe der Maria von Burgund führen. Die ganze Kirche iſt von innen mit den koſtbarſten Teppichen bedeckt, Goldbrokatſtoffe hängen um den Taufſtein, liegen auf Tiſchen und auf dem Boden; darüber erheben ſich ſammtene Himmel. Sechshundert Fackeln ſind auf- geboten, vierhundert davon der Bürger, alle gleich gekleidet, hun- dert der Hausoffizianten in der Kirche, hundert der Hofjunker, die auf dem kurzen Wege vom Palaſt zur Kirche vor dem Kinde hergehen. Dazu die Staffage der reichgeſtickten Livreen unzähli-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/279>, abgerufen am 25.04.2024.