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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1. Urzeit und Urzustände.
weither schon den Feinden sichtbar und leuchteten den Ihrigen
leicht kenntlich voran. Später noch, als ihnen durch die wach-
sende Macht der Hausmeier nichts geblieben war, als die Würde
und der Name, da saßen sie noch auf dem Thron mit langem,
die Schultern umfließendem Haupthaar und ungeschorenem Bart,
um den Herrscher zu spielen. Setzten die Hausmeier oder ein
Kronprätendent den schwachen König ab, so schnitt man ihm al-
sobald Haar und Bart, um ihn einstweilen für den Thron un-
fähig zu machen. Als aber die Karolinger zur Herrschaft auch den
königlichen Titel sich beilegten, nahmen sie doch das Vorrecht der
Merovinger nicht an; sie behielten ihr kurzes Haar und den
Schnurrbart, wie die andern Freien und Fürsten ihres Stam-
mes. Fortan hörten die Franken auf "gelockte" Könige zu haben.

Auch bei den Langobarden nimmt in älteren Zeiten ihr Ge-
schichtschreiber Paulus Diaconus den langen Haarwuchs an
Haupt und Bart an; von dem letzteren, an den kein Scheermesser
gekommen sei, leitet er ihren Namen ab, da sie ursprünglich Wi-
niler hießen. Auch die alte Erzählung, die sich hieran knüpft,
von den Frauen, die, das lange Haar um Gesicht und Kinn ge-
bunden, Langbärten gleich, vor das Antlitz Wodans treten, kann
zur Bestätigung dienen. Später, da die Langobarden schon in
Italien saßen, trat eine Aenderung ein, denn zur Zeit der Köni-
gin Theudelinde, also gleich nach dem Jahre 600, hatten sie
Nacken und Hinterkopf glatt geschoren, und die übrigen Haare,
in der Mitte der Stirn gescheitelt, hingen zu beiden Seiten über
die Wange bis zur Tiefe des Mundes herab. Ein mäßig langes
Haupthaar bis zur angegebenen Tiefe herabreichend, mit einem
Bart, der Kinn und Wangen ziemlich kurz umzieht, die Lippen
aber frei läßt, tragen sie noch in der zweiten Hälfte des 8. Jahr-
hunderts am Hofe des Arichis, Herzogs von Benevent, während
dieser selbst, vom griechischen Kaiser der Ehre des römischen Pa-
tricius gewürdigt, mit dem Purpurmantel auch Kamm und
Scheere überschickt erhalten hat, das Haar nach griechisch-römi-
scher Sitte zu verschneiden.

Die Sachsen sind noch lange bekannt wegen ihres durch-

1. Urzeit und Urzuſtände.
weither ſchon den Feinden ſichtbar und leuchteten den Ihrigen
leicht kenntlich voran. Später noch, als ihnen durch die wach-
ſende Macht der Hausmeier nichts geblieben war, als die Würde
und der Name, da ſaßen ſie noch auf dem Thron mit langem,
die Schultern umfließendem Haupthaar und ungeſchorenem Bart,
um den Herrſcher zu ſpielen. Setzten die Hausmeier oder ein
Kronprätendent den ſchwachen König ab, ſo ſchnitt man ihm al-
ſobald Haar und Bart, um ihn einſtweilen für den Thron un-
fähig zu machen. Als aber die Karolinger zur Herrſchaft auch den
königlichen Titel ſich beilegten, nahmen ſie doch das Vorrecht der
Merovinger nicht an; ſie behielten ihr kurzes Haar und den
Schnurrbart, wie die andern Freien und Fürſten ihres Stam-
mes. Fortan hörten die Franken auf „gelockte“ Könige zu haben.

Auch bei den Langobarden nimmt in älteren Zeiten ihr Ge-
ſchichtſchreiber Paulus Diaconus den langen Haarwuchs an
Haupt und Bart an; von dem letzteren, an den kein Scheermeſſer
gekommen ſei, leitet er ihren Namen ab, da ſie urſprünglich Wi-
niler hießen. Auch die alte Erzählung, die ſich hieran knüpft,
von den Frauen, die, das lange Haar um Geſicht und Kinn ge-
bunden, Langbärten gleich, vor das Antlitz Wodans treten, kann
zur Beſtätigung dienen. Später, da die Langobarden ſchon in
Italien ſaßen, trat eine Aenderung ein, denn zur Zeit der Köni-
gin Theudelinde, alſo gleich nach dem Jahre 600, hatten ſie
Nacken und Hinterkopf glatt geſchoren, und die übrigen Haare,
in der Mitte der Stirn geſcheitelt, hingen zu beiden Seiten über
die Wange bis zur Tiefe des Mundes herab. Ein mäßig langes
Haupthaar bis zur angegebenen Tiefe herabreichend, mit einem
Bart, der Kinn und Wangen ziemlich kurz umzieht, die Lippen
aber frei läßt, tragen ſie noch in der zweiten Hälfte des 8. Jahr-
hunderts am Hofe des Arichis, Herzogs von Benevent, während
dieſer ſelbſt, vom griechiſchen Kaiſer der Ehre des römiſchen Pa-
tricius gewürdigt, mit dem Purpurmantel auch Kamm und
Scheere überſchickt erhalten hat, das Haar nach griechiſch-römi-
ſcher Sitte zu verſchneiden.

Die Sachſen ſind noch lange bekannt wegen ihres durch-

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[11/0029] 1. Urzeit und Urzuſtände. weither ſchon den Feinden ſichtbar und leuchteten den Ihrigen leicht kenntlich voran. Später noch, als ihnen durch die wach- ſende Macht der Hausmeier nichts geblieben war, als die Würde und der Name, da ſaßen ſie noch auf dem Thron mit langem, die Schultern umfließendem Haupthaar und ungeſchorenem Bart, um den Herrſcher zu ſpielen. Setzten die Hausmeier oder ein Kronprätendent den ſchwachen König ab, ſo ſchnitt man ihm al- ſobald Haar und Bart, um ihn einſtweilen für den Thron un- fähig zu machen. Als aber die Karolinger zur Herrſchaft auch den königlichen Titel ſich beilegten, nahmen ſie doch das Vorrecht der Merovinger nicht an; ſie behielten ihr kurzes Haar und den Schnurrbart, wie die andern Freien und Fürſten ihres Stam- mes. Fortan hörten die Franken auf „gelockte“ Könige zu haben. Auch bei den Langobarden nimmt in älteren Zeiten ihr Ge- ſchichtſchreiber Paulus Diaconus den langen Haarwuchs an Haupt und Bart an; von dem letzteren, an den kein Scheermeſſer gekommen ſei, leitet er ihren Namen ab, da ſie urſprünglich Wi- niler hießen. Auch die alte Erzählung, die ſich hieran knüpft, von den Frauen, die, das lange Haar um Geſicht und Kinn ge- bunden, Langbärten gleich, vor das Antlitz Wodans treten, kann zur Beſtätigung dienen. Später, da die Langobarden ſchon in Italien ſaßen, trat eine Aenderung ein, denn zur Zeit der Köni- gin Theudelinde, alſo gleich nach dem Jahre 600, hatten ſie Nacken und Hinterkopf glatt geſchoren, und die übrigen Haare, in der Mitte der Stirn geſcheitelt, hingen zu beiden Seiten über die Wange bis zur Tiefe des Mundes herab. Ein mäßig langes Haupthaar bis zur angegebenen Tiefe herabreichend, mit einem Bart, der Kinn und Wangen ziemlich kurz umzieht, die Lippen aber frei läßt, tragen ſie noch in der zweiten Hälfte des 8. Jahr- hunderts am Hofe des Arichis, Herzogs von Benevent, während dieſer ſelbſt, vom griechiſchen Kaiſer der Ehre des römiſchen Pa- tricius gewürdigt, mit dem Purpurmantel auch Kamm und Scheere überſchickt erhalten hat, das Haar nach griechiſch-römi- ſcher Sitte zu verſchneiden. Die Sachſen ſind noch lange bekannt wegen ihres durch-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/29>, abgerufen am 28.03.2024.