Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

in die lächerlichen Worte ausgebrochen: Mensch! was redet ihr? Das
kan nicht stincken. Es gehet ja niemand darauf als ich, und ihr müsset
wissen daß ich
Doctor bin. Wie viele von Stoltz und Hochmuth gantz auf-
geblasene, mit ihren Academischen Titeln, eben wie ein Pfau mit seinem
prächtigen Schwantze, stoltzierende Gelehrte findet man auch sonst nicht, wel-
che sich nicht scheuen in öffentlichen Compagnien herauszuplatzen und zu sagen:
Ich bin Doctor, ich bin Licentiat, ich bin Magister; Ergo, daß muß ich bes-
ser wissen,
wann sie gleich höchst unrecht haben, und solches alle andere ge-
genwärtige vernünfftige Leute begreiffen. Allein sie stehen in dem Wahn es
gereiche einem Doctori, Licentiato und Magistro, item einem Geistlichen
Herrn, zur grossen Schande, wann er der gesunden Vernunfft etwas nach-
geben solte, falls er von dieser überzeuget wird, und siehet, daß er sich in einer
oder der andern Sache geirret. Der Name und der Titel, den sie führen,
und die nach ihrer Meynung, damit verknüpffte Autoritaet, wollen allenthal-
ben den Meister spielen, dergestalt, daß dergleichen Gelehrte Narren geden-
cken, ein jeder müsse das Maul halten, und nur sie reden lassen. Ja, sie prae-
tendi
ren, man solle nichts vor gut und recht erkennen, welches sie nicht ap-
probi
ren; da sie doch gemeiniglich kein Judicium haben, und nichts wissen, als
was andere, und zwar längst vermoderte, und verfaulte, Gelehrte gesaget
und geschrieben, oder nach ihrer Einbildung gedacht. Sollen sie aber selber
etwas dencken reden und schreiben, was sich auf die gegenwärtige Zeiten und
Umstände schicket, da ist niemand zu Hause, oder es klinget alles, was sie sa-
gen und schreiben, so erbärmlich und elend, daß man billig darüber seufftzen
muß. Eben daher hat der ungelehrte König von Franckreich, Ludovicus XI.
Anlaß genommen, sich über die Gelehrten zu moquiren, und zu sagen: Glück-
selig ist derjenige, dem unbekannt ist, was die Alten, und schon längst
vermoderten, gethan, geredet, geschrieben und gedacht; dem es aber
doch dabey nicht an Vermögen und Verstande gebricht, selber zu thun,
zu reden, zu schreiben und zu dencken, was er solle.

Darzu gab ihm hauptsächlich der Cardinal Bessarion Anlaß, der sich an
dem Königlichen Frantzösischen Hofe als Päbsticher Legat einfande, aber al-
lerhand grobe Schnitzer wider das Hof-Ceremoniel begieng. Den Hertzog
von Burgund, der doch, gewisser Massen ein Vasall des Königs von Franck-
reich gewesen, besuchte er eher als den Königlichen Frantzösischen Hof, und
war gleichwohl wegen derer Zwistigkeiten, welche unter diesen beyden Höfen
herrscheten, vornemlich von dem Pabst abgeschicket, um sie zu schlichten.

Wann

in die laͤcherlichen Worte ausgebrochen: Menſch! was redet ihr? Das
kan nicht ſtincken. Es gehet ja niemand darauf als ich, und ihr muͤſſet
wiſſen daß ich
Doctor bin. Wie viele von Stoltz und Hochmuth gantz auf-
geblaſene, mit ihren Academiſchen Titeln, eben wie ein Pfau mit ſeinem
praͤchtigen Schwantze, ſtoltzierende Gelehrte findet man auch ſonſt nicht, wel-
che ſich nicht ſcheuen in oͤffentlichen Compagnien herauszuplatzen und zu ſagen:
Ich bin Doctor, ich bin Licentiat, ich bin Magiſter; Ergo, daß muß ich beſ-
ſer wiſſen,
wann ſie gleich hoͤchſt unrecht haben, und ſolches alle andere ge-
genwaͤrtige vernuͤnfftige Leute begreiffen. Allein ſie ſtehen in dem Wahn es
gereiche einem Doctori, Licentiato und Magiſtro, item einem Geiſtlichen
Herrn, zur groſſen Schande, wann er der geſunden Vernunfft etwas nach-
geben ſolte, falls er von dieſer uͤberzeuget wird, und ſiehet, daß er ſich in einer
oder der andern Sache geirret. Der Name und der Titel, den ſie fuͤhren,
und die nach ihrer Meynung, damit verknuͤpffte Autoritæt, wollen allenthal-
ben den Meiſter ſpielen, dergeſtalt, daß dergleichen Gelehrte Narren geden-
cken, ein jeder muͤſſe das Maul halten, und nur ſie reden laſſen. Ja, ſie præ-
tendi
ren, man ſolle nichts vor gut und recht erkennen, welches ſie nicht ap-
probi
ren; da ſie doch gemeiniglich kein Judicium haben, und nichts wiſſen, als
was andere, und zwar laͤngſt vermoderte, und verfaulte, Gelehrte geſaget
und geſchrieben, oder nach ihrer Einbildung gedacht. Sollen ſie aber ſelber
etwas dencken reden und ſchreiben, was ſich auf die gegenwaͤrtige Zeiten und
Umſtaͤnde ſchicket, da iſt niemand zu Hauſe, oder es klinget alles, was ſie ſa-
gen und ſchreiben, ſo erbaͤrmlich und elend, daß man billig daruͤber ſeufftzen
muß. Eben daher hat der ungelehrte Koͤnig von Franckreich, Ludovicus XI.
Anlaß genommen, ſich uͤber die Gelehrten zu moquiren, und zu ſagen: Gluͤck-
ſelig iſt derjenige, dem unbekannt iſt, was die Alten, und ſchon laͤngſt
vermoderten, gethan, geredet, geſchrieben und gedacht; dem es aber
doch dabey nicht an Vermoͤgen und Verſtande gebricht, ſelber zu thun,
zu reden, zu ſchreiben und zu dencken, was er ſolle.

Darzu gab ihm hauptſaͤchlich der Cardinal Beſſarion Anlaß, der ſich an
dem Koͤniglichen Frantzoͤſiſchen Hofe als Paͤbſticher Legat einfande, aber al-
lerhand grobe Schnitzer wider das Hof-Ceremoniel begieng. Den Hertzog
von Burgund, der doch, gewiſſer Maſſen ein Vaſall des Koͤnigs von Franck-
reich geweſen, beſuchte er eher als den Koͤniglichen Frantzoͤſiſchen Hof, und
war gleichwohl wegen derer Zwiſtigkeiten, welche unter dieſen beyden Hoͤfen
herrſcheten, vornemlich von dem Pabſt abgeſchicket, um ſie zu ſchlichten.

Wann
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="2"/>
in die la&#x0364;cherlichen Worte ausgebrochen: <hi rendition="#fr">Men&#x017F;ch! was redet ihr? Das<lb/>
kan nicht &#x017F;tincken. Es gehet ja niemand darauf als ich, und ihr mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en daß ich</hi> <hi rendition="#aq">Doctor</hi> <hi rendition="#fr">bin.</hi> Wie viele von Stoltz und Hochmuth gantz auf-<lb/>
gebla&#x017F;ene, mit ihren <hi rendition="#aq">Academi</hi>&#x017F;chen Titeln, eben wie ein Pfau mit &#x017F;einem<lb/>
pra&#x0364;chtigen Schwantze, &#x017F;toltzierende Gelehrte findet man auch &#x017F;on&#x017F;t nicht, wel-<lb/>
che &#x017F;ich nicht &#x017F;cheuen in o&#x0364;ffentlichen <hi rendition="#aq">Compagni</hi>en herauszuplatzen und zu &#x017F;agen:<lb/><hi rendition="#fr">Ich bin</hi> <hi rendition="#aq">Doctor,</hi> <hi rendition="#fr">ich bin</hi> <hi rendition="#aq">Licentiat,</hi> <hi rendition="#fr">ich bin</hi> <hi rendition="#aq">Magi&#x017F;ter; Ergo,</hi> <hi rendition="#fr">daß muß ich be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er wi&#x017F;&#x017F;en,</hi> wann &#x017F;ie gleich ho&#x0364;ch&#x017F;t unrecht haben, und &#x017F;olches alle andere ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtige vernu&#x0364;nfftige Leute begreiffen. Allein &#x017F;ie &#x017F;tehen in dem Wahn es<lb/>
gereiche einem <hi rendition="#aq">Doctori, Licentiato</hi> und <hi rendition="#aq">Magi&#x017F;tro,</hi> item einem Gei&#x017F;tlichen<lb/>
Herrn, zur gro&#x017F;&#x017F;en Schande, wann er der ge&#x017F;unden Vernunfft etwas nach-<lb/>
geben &#x017F;olte, falls er von die&#x017F;er u&#x0364;berzeuget wird, und &#x017F;iehet, daß er &#x017F;ich in einer<lb/>
oder der andern Sache geirret. Der Name und der Titel, den &#x017F;ie fu&#x0364;hren,<lb/>
und die nach ihrer Meynung, damit verknu&#x0364;pffte <hi rendition="#aq">Autoritæt</hi>, wollen allenthal-<lb/>
ben den Mei&#x017F;ter &#x017F;pielen, derge&#x017F;talt, daß dergleichen Gelehrte Narren geden-<lb/>
cken, ein jeder mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e das Maul halten, und nur &#x017F;ie reden la&#x017F;&#x017F;en. Ja, &#x017F;ie <hi rendition="#aq">præ-<lb/>
tendi</hi>ren, man &#x017F;olle nichts vor gut und recht erkennen, welches &#x017F;ie nicht <hi rendition="#aq">ap-<lb/>
probi</hi>ren; da &#x017F;ie doch gemeiniglich kein <hi rendition="#aq">Judicium</hi> haben, und nichts wi&#x017F;&#x017F;en, als<lb/>
was andere, und zwar la&#x0364;ng&#x017F;t vermoderte, und verfaulte, Gelehrte ge&#x017F;aget<lb/>
und ge&#x017F;chrieben, oder nach ihrer Einbildung gedacht. Sollen &#x017F;ie aber &#x017F;elber<lb/>
etwas dencken reden und &#x017F;chreiben, was &#x017F;ich auf die gegenwa&#x0364;rtige Zeiten und<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;chicket, da i&#x017F;t niemand zu Hau&#x017F;e, oder es klinget alles, was &#x017F;ie &#x017F;a-<lb/>
gen und &#x017F;chreiben, &#x017F;o erba&#x0364;rmlich und elend, daß man billig daru&#x0364;ber &#x017F;eufftzen<lb/>
muß. Eben daher hat der ungelehrte Ko&#x0364;nig von Franckreich, <hi rendition="#aq">Ludovicus XI.</hi><lb/>
Anlaß genommen, &#x017F;ich u&#x0364;ber die Gelehrten zu <hi rendition="#aq">moqui</hi>ren, und zu &#x017F;agen: <hi rendition="#fr">Glu&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;elig i&#x017F;t derjenige, dem unbekannt i&#x017F;t, was die Alten, und &#x017F;chon la&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
vermoderten, gethan, geredet, ge&#x017F;chrieben und gedacht; dem es aber<lb/>
doch dabey nicht an Vermo&#x0364;gen und Ver&#x017F;tande gebricht, &#x017F;elber zu thun,<lb/>
zu reden, zu &#x017F;chreiben und zu dencken, was er &#x017F;olle.</hi></p><lb/>
        <p>Darzu gab ihm haupt&#x017F;a&#x0364;chlich der <hi rendition="#aq">Cardinal Be&#x017F;&#x017F;arion</hi> Anlaß, der &#x017F;ich an<lb/>
dem Ko&#x0364;niglichen Frantzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Hofe als Pa&#x0364;b&#x017F;ticher <hi rendition="#aq">Legat</hi> einfande, aber al-<lb/>
lerhand grobe Schnitzer wider das Hof-<hi rendition="#aq">Ceremoniel</hi> begieng. Den Hertzog<lb/>
von Burgund, der doch, gewi&#x017F;&#x017F;er Ma&#x017F;&#x017F;en ein <hi rendition="#aq">Va&#x017F;all</hi> des Ko&#x0364;nigs von Franck-<lb/>
reich gewe&#x017F;en, be&#x017F;uchte er eher als den Ko&#x0364;niglichen Frantzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Hof, und<lb/>
war gleichwohl wegen derer Zwi&#x017F;tigkeiten, welche unter die&#x017F;en beyden Ho&#x0364;fen<lb/>
herr&#x017F;cheten, vornemlich von dem Pab&#x017F;t abge&#x017F;chicket, um &#x017F;ie zu &#x017F;chlichten.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wann</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0046] in die laͤcherlichen Worte ausgebrochen: Menſch! was redet ihr? Das kan nicht ſtincken. Es gehet ja niemand darauf als ich, und ihr muͤſſet wiſſen daß ich Doctor bin. Wie viele von Stoltz und Hochmuth gantz auf- geblaſene, mit ihren Academiſchen Titeln, eben wie ein Pfau mit ſeinem praͤchtigen Schwantze, ſtoltzierende Gelehrte findet man auch ſonſt nicht, wel- che ſich nicht ſcheuen in oͤffentlichen Compagnien herauszuplatzen und zu ſagen: Ich bin Doctor, ich bin Licentiat, ich bin Magiſter; Ergo, daß muß ich beſ- ſer wiſſen, wann ſie gleich hoͤchſt unrecht haben, und ſolches alle andere ge- genwaͤrtige vernuͤnfftige Leute begreiffen. Allein ſie ſtehen in dem Wahn es gereiche einem Doctori, Licentiato und Magiſtro, item einem Geiſtlichen Herrn, zur groſſen Schande, wann er der geſunden Vernunfft etwas nach- geben ſolte, falls er von dieſer uͤberzeuget wird, und ſiehet, daß er ſich in einer oder der andern Sache geirret. Der Name und der Titel, den ſie fuͤhren, und die nach ihrer Meynung, damit verknuͤpffte Autoritæt, wollen allenthal- ben den Meiſter ſpielen, dergeſtalt, daß dergleichen Gelehrte Narren geden- cken, ein jeder muͤſſe das Maul halten, und nur ſie reden laſſen. Ja, ſie præ- tendiren, man ſolle nichts vor gut und recht erkennen, welches ſie nicht ap- probiren; da ſie doch gemeiniglich kein Judicium haben, und nichts wiſſen, als was andere, und zwar laͤngſt vermoderte, und verfaulte, Gelehrte geſaget und geſchrieben, oder nach ihrer Einbildung gedacht. Sollen ſie aber ſelber etwas dencken reden und ſchreiben, was ſich auf die gegenwaͤrtige Zeiten und Umſtaͤnde ſchicket, da iſt niemand zu Hauſe, oder es klinget alles, was ſie ſa- gen und ſchreiben, ſo erbaͤrmlich und elend, daß man billig daruͤber ſeufftzen muß. Eben daher hat der ungelehrte Koͤnig von Franckreich, Ludovicus XI. Anlaß genommen, ſich uͤber die Gelehrten zu moquiren, und zu ſagen: Gluͤck- ſelig iſt derjenige, dem unbekannt iſt, was die Alten, und ſchon laͤngſt vermoderten, gethan, geredet, geſchrieben und gedacht; dem es aber doch dabey nicht an Vermoͤgen und Verſtande gebricht, ſelber zu thun, zu reden, zu ſchreiben und zu dencken, was er ſolle. Darzu gab ihm hauptſaͤchlich der Cardinal Beſſarion Anlaß, der ſich an dem Koͤniglichen Frantzoͤſiſchen Hofe als Paͤbſticher Legat einfande, aber al- lerhand grobe Schnitzer wider das Hof-Ceremoniel begieng. Den Hertzog von Burgund, der doch, gewiſſer Maſſen ein Vaſall des Koͤnigs von Franck- reich geweſen, beſuchte er eher als den Koͤniglichen Frantzoͤſiſchen Hof, und war gleichwohl wegen derer Zwiſtigkeiten, welche unter dieſen beyden Hoͤfen herrſcheten, vornemlich von dem Pabſt abgeſchicket, um ſie zu ſchlichten. Wann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/46
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/46>, abgerufen am 19.04.2024.