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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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klingen? Das Wort ist in der That nicht ärmer, nicht seelen-
loser als der musikalische Ton, obwohl der Ton unendlich mehr
zu sagen scheint, als das Wort, und deßwegen, weil ihn
dieser Schein, diese Illusion umgibt, tiefer und reicher als das
Wort erscheint.

Das Wort hat erlösende, versöhnende, beglückende Kraft.
Die Sünden, die wir bekennen, sind uns vergeben kraft der gött-
lichen Macht des Wortes. Versöhnt scheidet der Sterbende,
der noch die längst verschwiegene Sünde bekannt. Die Verge-
bung der Sünde liegt im Eingeständniß der Sünde. Die
Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, sind schon halb
geheilt. Worüber wir sprechen, darüber mildern sich unsre
Leidenschaften; es wird helle in uns; der Gegenstand des Zor-
nes, des Aergers, des Kummers erscheint uns in einem Lichte,
in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenschaft erkennen.
Worüber wir im Dunkel und Zweifel sind, wir dürfen nur
darüber sprechen -- oft in dem Augenblick schon, wo wir den
Mund aufthun, um den Freund zu fragen, schwinden die Zwei-
fel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menschen
frei. Wer sich nicht äußern kann, ist ein Sklav. Sprachlos
ist darum die übermäßige Leidenschaft, die übermäßige Freude,
der übermäßige Schmerz. Sprechen ist ein Freiheitsact;
das Wort ist selbst Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die
Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort
cultivirt wird, da wird die Menschheit cultivirt. Die Barbarei
des Mittelalters schwand mit der Bildung der Sprache.

Wie wir nichts Andres als göttliches Wesen ahnden,
vorstellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir
denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, wel-
ches wir empfinden; so kennen wir auch keine höhere, geistige,

klingen? Das Wort iſt in der That nicht ärmer, nicht ſeelen-
loſer als der muſikaliſche Ton, obwohl der Ton unendlich mehr
zu ſagen ſcheint, als das Wort, und deßwegen, weil ihn
dieſer Schein, dieſe Illuſion umgibt, tiefer und reicher als das
Wort erſcheint.

Das Wort hat erlöſende, verſöhnende, beglückende Kraft.
Die Sünden, die wir bekennen, ſind uns vergeben kraft der gött-
lichen Macht des Wortes. Verſöhnt ſcheidet der Sterbende,
der noch die längſt verſchwiegene Sünde bekannt. Die Verge-
bung der Sünde liegt im Eingeſtändniß der Sünde. Die
Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, ſind ſchon halb
geheilt. Worüber wir ſprechen, darüber mildern ſich unſre
Leidenſchaften; es wird helle in uns; der Gegenſtand des Zor-
nes, des Aergers, des Kummers erſcheint uns in einem Lichte,
in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenſchaft erkennen.
Worüber wir im Dunkel und Zweifel ſind, wir dürfen nur
darüber ſprechen — oft in dem Augenblick ſchon, wo wir den
Mund aufthun, um den Freund zu fragen, ſchwinden die Zwei-
fel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menſchen
frei. Wer ſich nicht äußern kann, iſt ein Sklav. Sprachlos
iſt darum die übermäßige Leidenſchaft, die übermäßige Freude,
der übermäßige Schmerz. Sprechen iſt ein Freiheitsact;
das Wort iſt ſelbſt Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die
Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort
cultivirt wird, da wird die Menſchheit cultivirt. Die Barbarei
des Mittelalters ſchwand mit der Bildung der Sprache.

Wie wir nichts Andres als göttliches Weſen ahnden,
vorſtellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir
denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, wel-
ches wir empfinden; ſo kennen wir auch keine höhere, geiſtige,

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[95/0113] klingen? Das Wort iſt in der That nicht ärmer, nicht ſeelen- loſer als der muſikaliſche Ton, obwohl der Ton unendlich mehr zu ſagen ſcheint, als das Wort, und deßwegen, weil ihn dieſer Schein, dieſe Illuſion umgibt, tiefer und reicher als das Wort erſcheint. Das Wort hat erlöſende, verſöhnende, beglückende Kraft. Die Sünden, die wir bekennen, ſind uns vergeben kraft der gött- lichen Macht des Wortes. Verſöhnt ſcheidet der Sterbende, der noch die längſt verſchwiegene Sünde bekannt. Die Verge- bung der Sünde liegt im Eingeſtändniß der Sünde. Die Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, ſind ſchon halb geheilt. Worüber wir ſprechen, darüber mildern ſich unſre Leidenſchaften; es wird helle in uns; der Gegenſtand des Zor- nes, des Aergers, des Kummers erſcheint uns in einem Lichte, in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenſchaft erkennen. Worüber wir im Dunkel und Zweifel ſind, wir dürfen nur darüber ſprechen — oft in dem Augenblick ſchon, wo wir den Mund aufthun, um den Freund zu fragen, ſchwinden die Zwei- fel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menſchen frei. Wer ſich nicht äußern kann, iſt ein Sklav. Sprachlos iſt darum die übermäßige Leidenſchaft, die übermäßige Freude, der übermäßige Schmerz. Sprechen iſt ein Freiheitsact; das Wort iſt ſelbſt Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort cultivirt wird, da wird die Menſchheit cultivirt. Die Barbarei des Mittelalters ſchwand mit der Bildung der Sprache. Wie wir nichts Andres als göttliches Weſen ahnden, vorſtellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, wel- ches wir empfinden; ſo kennen wir auch keine höhere, geiſtige,

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/113>, abgerufen am 29.03.2024.