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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Wunderglaube, Glaube und Wunder absolut unzer-
trennlich
. Was objectiv das Wunder, oder die Wunder-
macht, das ist subjectiv der Glaube -- das Wunder ist das
äußere Gesicht des Glaubens, der Glaube die innere Seele
des Wunders -- der Glaube das Wunder des Geistes,
das Wunder des Gemüths, das sich im äußern Wunder nur
vergegenständlicht. Dem Glauben ist nichts unmöglich --
und diese Allmacht des Glaubens verwirklicht nur das
Wunder. Das Wunder ist nur ein sinnliches Beispiel von
dem, was der Glaube vermag. Unbegränztheit, Uebernatür-
lichkeit der Subjectivität, Ueberschwänglichkeit des Gefühls, --
Transcendenz ist daher das Wesen des Glaubens. Der Glaube
bezieht sich nur auf Dinge, welche, im Widerspruch mit den
Schranken, d. i. Gesetzen der Natur und Vernunft*), die
Realität des menschlichen Gemüths, der menschlichen Wün-
sche vergegenständlichen. Der Glaube entfesselt die Wünsche
der Subjectivität von den Banden der natürlichen Vernunft.
Er genehmigt, was Natur und Vernunft versagen; er macht
den Menschen darum selig, denn er befriedigt seine subjectiv-
sten Wünsche. Und kein Zweifel beunruhigt den wahren Glau-
ben. Der Zweifel entsteht nur da, wo ich aus mir selbst her-

*) Talis quippe homo est, qui simul est Deus, Qui contra
conditiones
corporis humani, clausas fores Penetravit, omnibus
Euclideis demonstrationibus Contemptis
, qui lapidem sepul-
chralem transivit, Aristotele Longum valere jusso, qui aquis
marinis non aliter ac terrae solo inambulavit, omnibus Philosophis
neglectis. N. Frischlini
Phasma. Act. III. Sc. III.
S. hierüber
auch im Anhang. Es ist daher unverzeihliche Willkühr, wenn die specu-
lative Theologie das Wunder als etwas dem Glauben Aeußerliches auf die
Seite setzt. Allerdings ist das äußerliche factische Wunder als solches nur
ein Phänomen, aber ein Phänomen von dem innersten Wesen des Glau-
bens.

Wunderglaube, Glaube und Wunder abſolut unzer-
trennlich
. Was objectiv das Wunder, oder die Wunder-
macht, das iſt ſubjectiv der Glaube — das Wunder iſt das
äußere Geſicht des Glaubens, der Glaube die innere Seele
des Wunders — der Glaube das Wunder des Geiſtes,
das Wunder des Gemüths, das ſich im äußern Wunder nur
vergegenſtändlicht. Dem Glauben iſt nichts unmöglich
und dieſe Allmacht des Glaubens verwirklicht nur das
Wunder. Das Wunder iſt nur ein ſinnliches Beiſpiel von
dem, was der Glaube vermag. Unbegränztheit, Uebernatür-
lichkeit der Subjectivität, Ueberſchwänglichkeit des Gefühls, —
Transcendenz iſt daher das Weſen des Glaubens. Der Glaube
bezieht ſich nur auf Dinge, welche, im Widerſpruch mit den
Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und Vernunft*), die
Realität des menſchlichen Gemüths, der menſchlichen Wün-
ſche vergegenſtändlichen. Der Glaube entfeſſelt die Wünſche
der Subjectivität von den Banden der natürlichen Vernunft.
Er genehmigt, was Natur und Vernunft verſagen; er macht
den Menſchen darum ſelig, denn er befriedigt ſeine ſubjectiv-
ſten Wünſche. Und kein Zweifel beunruhigt den wahren Glau-
ben. Der Zweifel entſteht nur da, wo ich aus mir ſelbſt her-

*) Talis quippe homo est, qui simul est Deus, Qui contra
conditiones
corporis humani, clausas fores Penetravit, omnibus
Euclideis demonstrationibus Contemptis
, qui lapidem sepul-
chralem transivit, Aristotele Longum valere jusso, qui aquis
marinis non aliter ac terrae solo inambulavit, omnibus Philosophis
neglectis. N. Frischlini
Phasma. Act. III. Sc. III.
S. hieruͤber
auch im Anhang. Es iſt daher unverzeihliche Willkühr, wenn die ſpecu-
lative Theologie das Wunder als etwas dem Glauben Aeußerliches auf die
Seite ſetzt. Allerdings iſt das äußerliche factiſche Wunder als ſolches nur
ein Phänomen, aber ein Phänomen von dem innerſten Weſen des Glau-
bens.
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[164/0182] Wunderglaube, Glaube und Wunder abſolut unzer- trennlich. Was objectiv das Wunder, oder die Wunder- macht, das iſt ſubjectiv der Glaube — das Wunder iſt das äußere Geſicht des Glaubens, der Glaube die innere Seele des Wunders — der Glaube das Wunder des Geiſtes, das Wunder des Gemüths, das ſich im äußern Wunder nur vergegenſtändlicht. Dem Glauben iſt nichts unmöglich — und dieſe Allmacht des Glaubens verwirklicht nur das Wunder. Das Wunder iſt nur ein ſinnliches Beiſpiel von dem, was der Glaube vermag. Unbegränztheit, Uebernatür- lichkeit der Subjectivität, Ueberſchwänglichkeit des Gefühls, — Transcendenz iſt daher das Weſen des Glaubens. Der Glaube bezieht ſich nur auf Dinge, welche, im Widerſpruch mit den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und Vernunft *), die Realität des menſchlichen Gemüths, der menſchlichen Wün- ſche vergegenſtändlichen. Der Glaube entfeſſelt die Wünſche der Subjectivität von den Banden der natürlichen Vernunft. Er genehmigt, was Natur und Vernunft verſagen; er macht den Menſchen darum ſelig, denn er befriedigt ſeine ſubjectiv- ſten Wünſche. Und kein Zweifel beunruhigt den wahren Glau- ben. Der Zweifel entſteht nur da, wo ich aus mir ſelbſt her- *) Talis quippe homo est, qui simul est Deus, Qui contra conditiones corporis humani, clausas fores Penetravit, omnibus Euclideis demonstrationibus Contemptis, qui lapidem sepul- chralem transivit, Aristotele Longum valere jusso, qui aquis marinis non aliter ac terrae solo inambulavit, omnibus Philosophis neglectis. N. Frischlini Phasma. Act. III. Sc. III. S. hieruͤber auch im Anhang. Es iſt daher unverzeihliche Willkühr, wenn die ſpecu- lative Theologie das Wunder als etwas dem Glauben Aeußerliches auf die Seite ſetzt. Allerdings iſt das äußerliche factiſche Wunder als ſolches nur ein Phänomen, aber ein Phänomen von dem innerſten Weſen des Glau- bens.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/182>, abgerufen am 23.04.2024.