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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sprünglich eins mit dem Selbsterhaltungstriebe. Was lebt, will
sich behaupten, will leben, folglich nicht sterben. Dieser erst
negative Wunsch wird in der spätern Reflexion und im Ge-
müthe, unter dem Drucke des Lebens, besonders des bürgerli-
chen und politischen Lebens, zu einem positiven Wunsche, zum
Wunsche eines Lebens und zwar bessern Lebens nach dem
Tode. Aber in diesem Wunsche liegt zugleich der Wunsch
nach Gewißheit dieser Hoffnung. Die Vernunft kann diese
Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher gesagt: alle Be-
weise für die Unsterblichkeit sind ungenügend, oder selbst, daß
sie die Vernunft gar nicht aus sich erkennen, viel weniger
beweisen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur all-
gemeine
Beweise; die Gewißheit meiner persönlichen
Fortdauer kann sie mir nicht geben, und diese Gewißheit ver-
langt man eben. Aber zu solcher Gewißheit gehört eine un-
mittelbare persönliche Versicherung, eine thatsächliche Bestäti-
gung. Diese kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein
Todter, von dessen Tode wir vorher versichert waren, wieder
aus dem Grabe aufersteht, und zwar ein Todter, der kein
gleichgültiger, sondern vielmehr das Vorbild der Andern ist,
so daß auch seine Auferstehung das Vorbild, die Garantie der
Auferstehung der Andern ist. Die Auferstehung Christi ist
daher der realisirte Wunsch des Menschen nach unmittel-
barer Gewißheit
von seiner persönlichen Fortdauer
nach dem Tode -- die persönliche Unsterblichkeit als eine
sinnliche, unbezweifelbare Thatsache.

Die Frage nach der Unsterblichkeit war bei den heidnischen
Philosophen eine Frage, bei welcher das Interesse der Persön-
lichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte sich hier nur

ſprünglich eins mit dem Selbſterhaltungstriebe. Was lebt, will
ſich behaupten, will leben, folglich nicht ſterben. Dieſer erſt
negative Wunſch wird in der ſpätern Reflexion und im Ge-
müthe, unter dem Drucke des Lebens, beſonders des bürgerli-
chen und politiſchen Lebens, zu einem poſitiven Wunſche, zum
Wunſche eines Lebens und zwar beſſern Lebens nach dem
Tode. Aber in dieſem Wunſche liegt zugleich der Wunſch
nach Gewißheit dieſer Hoffnung. Die Vernunft kann dieſe
Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher geſagt: alle Be-
weiſe für die Unſterblichkeit ſind ungenügend, oder ſelbſt, daß
ſie die Vernunft gar nicht aus ſich erkennen, viel weniger
beweiſen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur all-
gemeine
Beweiſe; die Gewißheit meiner perſönlichen
Fortdauer kann ſie mir nicht geben, und dieſe Gewißheit ver-
langt man eben. Aber zu ſolcher Gewißheit gehört eine un-
mittelbare perſönliche Verſicherung, eine thatſächliche Beſtäti-
gung. Dieſe kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein
Todter, von deſſen Tode wir vorher verſichert waren, wieder
aus dem Grabe auferſteht, und zwar ein Todter, der kein
gleichgültiger, ſondern vielmehr das Vorbild der Andern iſt,
ſo daß auch ſeine Auferſtehung das Vorbild, die Garantie der
Auferſtehung der Andern iſt. Die Auferſtehung Chriſti iſt
daher der realiſirte Wunſch des Menſchen nach unmittel-
barer Gewißheit
von ſeiner perſönlichen Fortdauer
nach dem Tode — die perſönliche Unſterblichkeit als eine
ſinnliche, unbezweifelbare Thatſache.

Die Frage nach der Unſterblichkeit war bei den heidniſchen
Philoſophen eine Frage, bei welcher das Intereſſe der Perſön-
lichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte ſich hier nur

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[176/0194] ſprünglich eins mit dem Selbſterhaltungstriebe. Was lebt, will ſich behaupten, will leben, folglich nicht ſterben. Dieſer erſt negative Wunſch wird in der ſpätern Reflexion und im Ge- müthe, unter dem Drucke des Lebens, beſonders des bürgerli- chen und politiſchen Lebens, zu einem poſitiven Wunſche, zum Wunſche eines Lebens und zwar beſſern Lebens nach dem Tode. Aber in dieſem Wunſche liegt zugleich der Wunſch nach Gewißheit dieſer Hoffnung. Die Vernunft kann dieſe Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher geſagt: alle Be- weiſe für die Unſterblichkeit ſind ungenügend, oder ſelbſt, daß ſie die Vernunft gar nicht aus ſich erkennen, viel weniger beweiſen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur all- gemeine Beweiſe; die Gewißheit meiner perſönlichen Fortdauer kann ſie mir nicht geben, und dieſe Gewißheit ver- langt man eben. Aber zu ſolcher Gewißheit gehört eine un- mittelbare perſönliche Verſicherung, eine thatſächliche Beſtäti- gung. Dieſe kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein Todter, von deſſen Tode wir vorher verſichert waren, wieder aus dem Grabe auferſteht, und zwar ein Todter, der kein gleichgültiger, ſondern vielmehr das Vorbild der Andern iſt, ſo daß auch ſeine Auferſtehung das Vorbild, die Garantie der Auferſtehung der Andern iſt. Die Auferſtehung Chriſti iſt daher der realiſirte Wunſch des Menſchen nach unmittel- barer Gewißheit von ſeiner perſönlichen Fortdauer nach dem Tode — die perſönliche Unſterblichkeit als eine ſinnliche, unbezweifelbare Thatſache. Die Frage nach der Unſterblichkeit war bei den heidniſchen Philoſophen eine Frage, bei welcher das Intereſſe der Perſön- lichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte ſich hier nur

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/194>, abgerufen am 23.04.2024.