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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sich seiner bewußt ist, Unterschiednes. Wie könnte es sonst
sich seiner bewußt sein? Unmöglich ist es darum, einer Voll-
kommenheit als einer Unvollkommenheit sich bewußt zu wer-
den, unmöglich, das Gefühl als beschränkt zu empfin-
den, unmöglich,
das Denken als beschränkt zu denken.

Bewußtsein ist Selbstbethätigung, Selbstbejahung,
Selbstliebe
, -- Selbstliebe nicht im Sinne der thierischen --
Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtsein ist
das charakteristische Kennzeichen eines vollkommnen
Wesens
. Bewußtsein ist nur in einem gesättigten, vollendeten
Wesen. Selbst die menschliche Eitelkeit bestätigt diese Wahr-
heit. Der Mensch steht in den Spiegel. Er hat einen Wohl-
gefallen an seiner Gestalt. Dieses Wohlgefallen ist eine noth-
wendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der
Schönheit seiner Gestalt. Die schöne Gestalt ist in sich gesät-
tigt, sie hat nothwendig eine Freude an sich, sie spiegelt sich
nothwendig in sich selbst. Eitelkeit ist es nur, wenn der
Mensch seine eigne individuelle Gestalt beliebäugelt, aber nicht
wenn er die menschliche Gestalt überhaupt bewundert. Er soll
sie bewundern. Allerdings liebt jedes Wesen sich, sein Sein
und soll es lieben. Sein ist ein Gut. Quidquid essentia
dignum est, scientia dignum est.
Alles was ist hat Werth,
ist ein Wesen von Distinction. Wenigstens gilt dieß von der
Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es sich.
Aber die höchste Form der Selbstbejahung, die Form, welche
selbst eine Auszeichnung ist, eine Vollkommenheit, ein Glück,
ein Gut, ist das Bewußtsein.

Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des
Wesens des Menschen beruht auf einer Täuschung, einem
Irrthum. Wohl kann und soll selbst das menschliche Indi-

ſich ſeiner bewußt iſt, Unterſchiednes. Wie könnte es ſonſt
ſich ſeiner bewußt ſein? Unmöglich iſt es darum, einer Voll-
kommenheit als einer Unvollkommenheit ſich bewußt zu wer-
den, unmöglich, das Gefühl als beſchränkt zu empfin-
den, unmöglich,
das Denken als beſchränkt zu denken.

Bewußtſein iſt Selbſtbethätigung, Selbſtbejahung,
Selbſtliebe
, — Selbſtliebe nicht im Sinne der thieriſchen —
Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtſein iſt
das charakteriſtiſche Kennzeichen eines vollkommnen
Weſens
. Bewußtſein iſt nur in einem geſättigten, vollendeten
Weſen. Selbſt die menſchliche Eitelkeit beſtätigt dieſe Wahr-
heit. Der Menſch ſteht in den Spiegel. Er hat einen Wohl-
gefallen an ſeiner Geſtalt. Dieſes Wohlgefallen iſt eine noth-
wendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der
Schönheit ſeiner Geſtalt. Die ſchöne Geſtalt iſt in ſich geſät-
tigt, ſie hat nothwendig eine Freude an ſich, ſie ſpiegelt ſich
nothwendig in ſich ſelbſt. Eitelkeit iſt es nur, wenn der
Menſch ſeine eigne individuelle Geſtalt beliebäugelt, aber nicht
wenn er die menſchliche Geſtalt überhaupt bewundert. Er ſoll
ſie bewundern. Allerdings liebt jedes Weſen ſich, ſein Sein
und ſoll es lieben. Sein iſt ein Gut. Quidquid essentia
dignum est, scientia dignum est.
Alles was iſt hat Werth,
iſt ein Weſen von Diſtinction. Wenigſtens gilt dieß von der
Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es ſich.
Aber die höchſte Form der Selbſtbejahung, die Form, welche
ſelbſt eine Auszeichnung iſt, eine Vollkommenheit, ein Glück,
ein Gut, iſt das Bewußtſein.

Jede Beſchränkung der Vernunft oder überhaupt des
Weſens des Menſchen beruht auf einer Täuſchung, einem
Irrthum. Wohl kann und ſoll ſelbſt das menſchliche Indi-

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[9/0027] ſich ſeiner bewußt iſt, Unterſchiednes. Wie könnte es ſonſt ſich ſeiner bewußt ſein? Unmöglich iſt es darum, einer Voll- kommenheit als einer Unvollkommenheit ſich bewußt zu wer- den, unmöglich, das Gefühl als beſchränkt zu empfin- den, unmöglich, das Denken als beſchränkt zu denken. Bewußtſein iſt Selbſtbethätigung, Selbſtbejahung, Selbſtliebe, — Selbſtliebe nicht im Sinne der thieriſchen — Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtſein iſt das charakteriſtiſche Kennzeichen eines vollkommnen Weſens. Bewußtſein iſt nur in einem geſättigten, vollendeten Weſen. Selbſt die menſchliche Eitelkeit beſtätigt dieſe Wahr- heit. Der Menſch ſteht in den Spiegel. Er hat einen Wohl- gefallen an ſeiner Geſtalt. Dieſes Wohlgefallen iſt eine noth- wendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der Schönheit ſeiner Geſtalt. Die ſchöne Geſtalt iſt in ſich geſät- tigt, ſie hat nothwendig eine Freude an ſich, ſie ſpiegelt ſich nothwendig in ſich ſelbſt. Eitelkeit iſt es nur, wenn der Menſch ſeine eigne individuelle Geſtalt beliebäugelt, aber nicht wenn er die menſchliche Geſtalt überhaupt bewundert. Er ſoll ſie bewundern. Allerdings liebt jedes Weſen ſich, ſein Sein und ſoll es lieben. Sein iſt ein Gut. Quidquid essentia dignum est, scientia dignum est. Alles was iſt hat Werth, iſt ein Weſen von Diſtinction. Wenigſtens gilt dieß von der Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es ſich. Aber die höchſte Form der Selbſtbejahung, die Form, welche ſelbſt eine Auszeichnung iſt, eine Vollkommenheit, ein Glück, ein Gut, iſt das Bewußtſein. Jede Beſchränkung der Vernunft oder überhaupt des Weſens des Menſchen beruht auf einer Täuſchung, einem Irrthum. Wohl kann und ſoll ſelbſt das menſchliche Indi-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/27>, abgerufen am 29.03.2024.