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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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schen. Und an dieser Identität nimmt der religiöse Mensch
keinen Anstoß; denn sein Verstand ist noch in Harmonie mit
seiner Religion. So war Jehovah im alten Judenthum nur
ein der Existenz nach vom menschlichen Individuum unter-
schiednes Wesen; aber qualitativ, seinem innern Wesen nach
war er völlig gleich dem Menschen, hatte er dieselben Leiden-
schaften, dieselben menschlichen, selbst körperlichen Eigenschaf-
ten. Erst im spätern Judenthum trennte man aufs schärfste
Jehovah vom Menschen und nahm seine Zuflucht zur Alle-
gorie
, um den Anthropopathismen einen andern Sinn un-
terzustellen, als sie ursprünglich hatten. So war es auch im
Christenthum. In den ältesten Urkunden desselben ist die Gott-
heit Christi noch nicht so entschieden ausgeprägt, wie später.
Bei Paulus namentlich ist Christus noch ein zwischen Him-
mel und Erde, zwischen Gott und dem Menschen oder über-
haupt den dem Höchsten untergeordneten Wesen schwebendes,
unbestimmtes Wesen -- der Erste der Engel, der Erstgeschaffne,
aber doch geschaffen; meinetwegen auch gezeugt, aber dann
sind auch die Engel, auch die Menschen nicht geschaffen, son-
dern gezeugt; denn Gott ist auch ihr Vater. Christus ist da-
her hier noch ein familiäreres Wesen -- wenn gleich mehr
nur ein phantastisches Wesen. Erst die Kirche identificirte ihn
ausdrücklich mit Gott, machte ihn zu dem ausschließlichen Sohn
Gottes, bestimmte seinen Unterschied von den Menschen und
Engeln, und gab ihm so das Monopol eines ewigen, un-
creatürlichen Wesens.

Merkwürdig, aber wohl begründet ist es hiebei, daß je
mehr im Grunde und Wesen der Religion Gott ein menschen-
ähnliches, richtiger: nicht vom Menschen unterschiednes Wesen
ist, um so mehr von der Reflexion über die Religion, von der

ſchen. Und an dieſer Identität nimmt der religiöſe Menſch
keinen Anſtoß; denn ſein Verſtand iſt noch in Harmonie mit
ſeiner Religion. So war Jehovah im alten Judenthum nur
ein der Exiſtenz nach vom menſchlichen Individuum unter-
ſchiednes Weſen; aber qualitativ, ſeinem innern Weſen nach
war er völlig gleich dem Menſchen, hatte er dieſelben Leiden-
ſchaften, dieſelben menſchlichen, ſelbſt körperlichen Eigenſchaf-
ten. Erſt im ſpätern Judenthum trennte man aufs ſchärfſte
Jehovah vom Menſchen und nahm ſeine Zuflucht zur Alle-
gorie
, um den Anthropopathismen einen andern Sinn un-
terzuſtellen, als ſie urſprünglich hatten. So war es auch im
Chriſtenthum. In den älteſten Urkunden deſſelben iſt die Gott-
heit Chriſti noch nicht ſo entſchieden ausgeprägt, wie ſpäter.
Bei Paulus namentlich iſt Chriſtus noch ein zwiſchen Him-
mel und Erde, zwiſchen Gott und dem Menſchen oder über-
haupt den dem Höchſten untergeordneten Weſen ſchwebendes,
unbeſtimmtes Weſen — der Erſte der Engel, der Erſtgeſchaffne,
aber doch geſchaffen; meinetwegen auch gezeugt, aber dann
ſind auch die Engel, auch die Menſchen nicht geſchaffen, ſon-
dern gezeugt; denn Gott iſt auch ihr Vater. Chriſtus iſt da-
her hier noch ein familiäreres Weſen — wenn gleich mehr
nur ein phantaſtiſches Weſen. Erſt die Kirche identificirte ihn
ausdrücklich mit Gott, machte ihn zu dem ausſchließlichen Sohn
Gottes, beſtimmte ſeinen Unterſchied von den Menſchen und
Engeln, und gab ihm ſo das Monopol eines ewigen, un-
creatürlichen Weſens.

Merkwürdig, aber wohl begründet iſt es hiebei, daß je
mehr im Grunde und Weſen der Religion Gott ein menſchen-
ähnliches, richtiger: nicht vom Menſchen unterſchiednes Weſen
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[267/0285] ſchen. Und an dieſer Identität nimmt der religiöſe Menſch keinen Anſtoß; denn ſein Verſtand iſt noch in Harmonie mit ſeiner Religion. So war Jehovah im alten Judenthum nur ein der Exiſtenz nach vom menſchlichen Individuum unter- ſchiednes Weſen; aber qualitativ, ſeinem innern Weſen nach war er völlig gleich dem Menſchen, hatte er dieſelben Leiden- ſchaften, dieſelben menſchlichen, ſelbſt körperlichen Eigenſchaf- ten. Erſt im ſpätern Judenthum trennte man aufs ſchärfſte Jehovah vom Menſchen und nahm ſeine Zuflucht zur Alle- gorie, um den Anthropopathismen einen andern Sinn un- terzuſtellen, als ſie urſprünglich hatten. So war es auch im Chriſtenthum. In den älteſten Urkunden deſſelben iſt die Gott- heit Chriſti noch nicht ſo entſchieden ausgeprägt, wie ſpäter. Bei Paulus namentlich iſt Chriſtus noch ein zwiſchen Him- mel und Erde, zwiſchen Gott und dem Menſchen oder über- haupt den dem Höchſten untergeordneten Weſen ſchwebendes, unbeſtimmtes Weſen — der Erſte der Engel, der Erſtgeſchaffne, aber doch geſchaffen; meinetwegen auch gezeugt, aber dann ſind auch die Engel, auch die Menſchen nicht geſchaffen, ſon- dern gezeugt; denn Gott iſt auch ihr Vater. Chriſtus iſt da- her hier noch ein familiäreres Weſen — wenn gleich mehr nur ein phantaſtiſches Weſen. Erſt die Kirche identificirte ihn ausdrücklich mit Gott, machte ihn zu dem ausſchließlichen Sohn Gottes, beſtimmte ſeinen Unterſchied von den Menſchen und Engeln, und gab ihm ſo das Monopol eines ewigen, un- creatürlichen Weſens. Merkwürdig, aber wohl begründet iſt es hiebei, daß je mehr im Grunde und Weſen der Religion Gott ein menſchen- ähnliches, richtiger: nicht vom Menſchen unterſchiednes Weſen iſt, um ſo mehr von der Reflexion über die Religion, von der

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/285>, abgerufen am 28.03.2024.