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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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haupt, daß Gott ist, so bist Du schon gerettet. Ob Du Dir
unter diesem Gott ein wirklich göttliches Wesen oder ein Un-
geheuer, einen Nero oder Caligula denkst, ein Bild Deiner
Leidenschaft, Deiner Rach- und Ruhmsucht, das ist eins --
die Hauptsache ist, daß Du kein Atheist bist. Die Geschichte
der Religion hat diese Folgerung, die wir hier aus dem Be-
griffe der Existenz ziehen, hinlänglich bewiesen. Hätte sich
nicht die Existenz Gottes für sich selbst als religiöse Wahr-
heit in den Gemüthern befestigt, so würde man nie zu jenen
schändlichen, unsinnigen, gräuelvollen Vorstellungen von Gott
gekommen sein, welche die Geschichte der Religion brandmar-
ken. Die Existenz Gottes war eine gemeine, empirische und
doch zugleich heilige Sache -- was Wunder, wenn auf die-
sem Grunde auch nur die gemeinsten, rohsten, unheiligsten
Vorstellungen und Gesinnungen aufkeimten.

Die Moralität befestigt sich an einen ihr äußerlichen
Grund, an die Existenz Gottes. Der Atheismus galt und
gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller
sittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht ist, so hebt
sich aller Unterschied zwischen Gut und Böse, Tugend
und Laster auf
. Der Unterschied liegt also nur an der Exi-
stenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr selbst,
sondern außer ihr. Allerdings wird also an die Existenz Got-
tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu-
gendhafter Gesinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in-
nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der
Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend,
ist der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für sich selbst.

Es ist übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em-
pirischen Existenz Gottes sich erst in neuerer Zeit, wo über-

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haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir
unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un-
geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner
Leidenſchaft, Deiner Rach- und Ruhmſucht, das iſt eins —
die Hauptſache iſt, daß Du kein Atheiſt biſt. Die Geſchichte
der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be-
griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich
nicht die Exiſtenz Gottes für ſich ſelbſt als religiöſe Wahr-
heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen
ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott
gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar-
ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und
doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die-
ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten
Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten.

Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen
Grund, an die Exiſtenz Gottes. Der Atheismus galt und
gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller
ſittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht iſt, ſo hebt
ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend
und Laſter auf
. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi-
ſtenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr ſelbſt,
ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got-
tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu-
gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in-
nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der
Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend,
iſt der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für ſich ſelbſt.

Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em-
piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über-

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[275/0293] haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un- geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner Leidenſchaft, Deiner Rach- und Ruhmſucht, das iſt eins — die Hauptſache iſt, daß Du kein Atheiſt biſt. Die Geſchichte der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be- griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich nicht die Exiſtenz Gottes für ſich ſelbſt als religiöſe Wahr- heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar- ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die- ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten. Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen Grund, an die Exiſtenz Gottes. Der Atheismus galt und gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller ſittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht iſt, ſo hebt ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend und Laſter auf. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi- ſtenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr ſelbſt, ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got- tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu- gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in- nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend, iſt der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für ſich ſelbſt. Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em- piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über- 18*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/293>, abgerufen am 29.03.2024.