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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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schuldig zu machen, Thatsache ist, was man nolens volens
glauben muß, Thatsache ist sinnliche Gewalt, kein Grund,
Thatsache paßt auf die Vernunft, wie die Faust aufs Auge.
O ihr armseligen deutschen Religions-Philosophen, die ihr
uns die Thatsachen des religiösen Bewußtseins an den Kopf
werft, um unsre Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures
kindischen Aberglaubens zu machen, seht ihr denn nicht, daß die
Thatsachen eben so relativ, so verschieden, so subjectiv sind als die
Vorstellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps
nicht auch einst Thatsachen, sich selbst bezeugende Existenzen *)?
Galten nicht auch die lächerlichsten Mirakelgeschichten der Hei-
den für Facta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone
historische Personen? Sind sie nicht wirklich erschienen? Hat
nicht einst der Esel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht selbst
von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der
sprechende Esel eben so gut als ein wirkliches Wunder geglaubt,
als das Wunder der Incarnation oder sonst ein anderes Wunder?
O ihr großen tiefsinnigen Philosophen studirt doch vor Allem
die Sprache des Esels Bileams! Sie klingt nur dem Unwis-
senden so fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei

chen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer
Glaubensvorstellung oder Thatsache ein Strafobject der weltlichen Obrig-
keit, d. h. ein Verbrechen sei. Die sinnliche Thatsache in der Theorie
wird in der Praxis zur sinnlichen Gewalt. Das Christenthum steht hierin
weit unter dem Muhamedanismus, welcher nicht das Verbrechen der
Ketzerei kennt.
*) Praesentiam saepe divi suam declarant. Cicero (de
nat. D. 1. II.)
Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione sind beson-
ders auch deßwegen so interessant, weil hier für die Realität der heidnischen
Glaubensgegenstände im Grunde dieselben Argumente geltend gemacht
werden, welche noch heute die Theologen und Positivisten überhaupt für
die Realität der christlichen Glaubensgegenstände anführen.

ſchuldig zu machen, Thatſache iſt, was man nolens volens
glauben muß, Thatſache iſt ſinnliche Gewalt, kein Grund,
Thatſache paßt auf die Vernunft, wie die Fauſt aufs Auge.
O ihr armſeligen deutſchen Religions-Philoſophen, die ihr
uns die Thatſachen des religiöſen Bewußtſeins an den Kopf
werft, um unſre Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures
kindiſchen Aberglaubens zu machen, ſeht ihr denn nicht, daß die
Thatſachen eben ſo relativ, ſo verſchieden, ſo ſubjectiv ſind als die
Vorſtellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps
nicht auch einſt Thatſachen, ſich ſelbſt bezeugende Exiſtenzen *)?
Galten nicht auch die lächerlichſten Mirakelgeſchichten der Hei-
den für Facta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone
hiſtoriſche Perſonen? Sind ſie nicht wirklich erſchienen? Hat
nicht einſt der Eſel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht ſelbſt
von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der
ſprechende Eſel eben ſo gut als ein wirkliches Wunder geglaubt,
als das Wunder der Incarnation oder ſonſt ein anderes Wunder?
O ihr großen tiefſinnigen Philoſophen ſtudirt doch vor Allem
die Sprache des Eſels Bileams! Sie klingt nur dem Unwiſ-
ſenden ſo fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei

chen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer
Glaubensvorſtellung oder Thatſache ein Strafobject der weltlichen Obrig-
keit, d. h. ein Verbrechen ſei. Die ſinnliche Thatſache in der Theorie
wird in der Praxis zur ſinnlichen Gewalt. Das Chriſtenthum ſteht hierin
weit unter dem Muhamedanismus, welcher nicht das Verbrechen der
Ketzerei kennt.
*) Praesentiam saepe divi suam declarant. Cicero (de
nat. D. 1. II.)
Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione ſind beſon-
ders auch deßwegen ſo intereſſant, weil hier für die Realität der heidniſchen
Glaubensgegenſtände im Grunde dieſelben Argumente geltend gemacht
werden, welche noch heute die Theologen und Poſitiviſten überhaupt für
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[279/0297] ſchuldig zu machen, Thatſache iſt, was man nolens volens glauben muß, Thatſache iſt ſinnliche Gewalt, kein Grund, Thatſache paßt auf die Vernunft, wie die Fauſt aufs Auge. O ihr armſeligen deutſchen Religions-Philoſophen, die ihr uns die Thatſachen des religiöſen Bewußtſeins an den Kopf werft, um unſre Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures kindiſchen Aberglaubens zu machen, ſeht ihr denn nicht, daß die Thatſachen eben ſo relativ, ſo verſchieden, ſo ſubjectiv ſind als die Vorſtellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps nicht auch einſt Thatſachen, ſich ſelbſt bezeugende Exiſtenzen *)? Galten nicht auch die lächerlichſten Mirakelgeſchichten der Hei- den für Facta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone hiſtoriſche Perſonen? Sind ſie nicht wirklich erſchienen? Hat nicht einſt der Eſel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht ſelbſt von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der ſprechende Eſel eben ſo gut als ein wirkliches Wunder geglaubt, als das Wunder der Incarnation oder ſonſt ein anderes Wunder? O ihr großen tiefſinnigen Philoſophen ſtudirt doch vor Allem die Sprache des Eſels Bileams! Sie klingt nur dem Unwiſ- ſenden ſo fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei *) *) Praesentiam saepe divi suam declarant. Cicero (de nat. D. 1. II.) Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione ſind beſon- ders auch deßwegen ſo intereſſant, weil hier für die Realität der heidniſchen Glaubensgegenſtände im Grunde dieſelben Argumente geltend gemacht werden, welche noch heute die Theologen und Poſitiviſten überhaupt für die Realität der chriſtlichen Glaubensgegenſtände anführen. *) chen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer Glaubensvorſtellung oder Thatſache ein Strafobject der weltlichen Obrig- keit, d. h. ein Verbrechen ſei. Die ſinnliche Thatſache in der Theorie wird in der Praxis zur ſinnlichen Gewalt. Das Chriſtenthum ſteht hierin weit unter dem Muhamedanismus, welcher nicht das Verbrechen der Ketzerei kennt.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/297>, abgerufen am 28.03.2024.