Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

sprochen, lediglich weil es Gefühl ist; der Grund der Reli-
giosität ist die Natur des Gefühls, liegt in ihm selbst. Ist
aber dadurch nicht das Gefühl als das Absolute, als das
Göttliche selbst
ausgesprochen? Wenn das Gefühl durch
sich selbst
gut, religiös, d. h. heilig, göttlich ist, hat das Ge-
fühl seinen Gott nicht in sich selbst?

Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls festsetzen,
zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willst, ohne
mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was
bleibt Dir übrig, als zu unterscheiden zwischen Deinen indi-
viduellen Gefühlen und zwischen dem allgemeinen Wesen, der
Natur des Gefühls, als abzusondern das Wesen des Gefühls
von den störenden, verunreinigenden Einflüssen, an welche in
Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden ist?
Was Du daher allein vergegenständlichen, als das Unend-
liche aussprechen, als dessen Wesen bestimmen kannst, das ist
nur die Natur des Gefühls. Du hast hier keine andere Be-
stimmung für Gott als diese: Gott ist das reine, das un-
beschränkte, das freie Gefühl
. Jeder andre Gott, den
Du hier setzest, ist ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun-
gener Gott. Das Gefühl ist atheistisch im Sinne des or-
thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern
Gegenstand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegen-
ständlichen
Gott -- es ist sich selbst Gott. Die Nega-
tion des Gefühls nur
ist auf dem Standpunkt des Gefühls
die Negation Gottes. Du bist nur zu feige oder zu be-
schränkt, um mit Worten einzugestehen, was Dein Gefühl im
Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rücksichten, in den
Banden des gemeinsten Empirismus noch befangen, unfähig
die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erschrickst Du vor

ſprochen, lediglich weil es Gefühl iſt; der Grund der Reli-
gioſität iſt die Natur des Gefühls, liegt in ihm ſelbſt. Iſt
aber dadurch nicht das Gefühl als das Abſolute, als das
Göttliche ſelbſt
ausgeſprochen? Wenn das Gefühl durch
ſich ſelbſt
gut, religiös, d. h. heilig, göttlich iſt, hat das Ge-
fühl ſeinen Gott nicht in ſich ſelbſt?

Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls feſtſetzen,
zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willſt, ohne
mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was
bleibt Dir übrig, als zu unterſcheiden zwiſchen Deinen indi-
viduellen Gefühlen und zwiſchen dem allgemeinen Weſen, der
Natur des Gefühls, als abzuſondern das Weſen des Gefühls
von den ſtörenden, verunreinigenden Einflüſſen, an welche in
Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden iſt?
Was Du daher allein vergegenſtändlichen, als das Unend-
liche ausſprechen, als deſſen Weſen beſtimmen kannſt, das iſt
nur die Natur des Gefühls. Du haſt hier keine andere Be-
ſtimmung für Gott als dieſe: Gott iſt das reine, das un-
beſchränkte, das freie Gefühl
. Jeder andre Gott, den
Du hier ſetzeſt, iſt ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun-
gener Gott. Das Gefühl iſt atheiſtiſch im Sinne des or-
thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern
Gegenſtand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegen-
ſtändlichen
Gott — es iſt ſich ſelbſt Gott. Die Nega-
tion des Gefühls nur
iſt auf dem Standpunkt des Gefühls
die Negation Gottes. Du biſt nur zu feige oder zu be-
ſchränkt, um mit Worten einzugeſtehen, was Dein Gefühl im
Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rückſichten, in den
Banden des gemeinſten Empirismus noch befangen, unfähig
die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erſchrickſt Du vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="15"/>
&#x017F;prochen, lediglich weil es Gefühl i&#x017F;t; der <hi rendition="#g">Grund</hi> der Reli-<lb/>
gio&#x017F;ität i&#x017F;t die Natur des Gefühls, liegt <hi rendition="#g">in ihm &#x017F;elb&#x017F;t</hi>. I&#x017F;t<lb/>
aber dadurch nicht das Gefühl als das Ab&#x017F;olute, als <hi rendition="#g">das<lb/>
Göttliche &#x017F;elb&#x017F;t</hi> ausge&#x017F;prochen? Wenn das Gefühl <hi rendition="#g">durch<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi> gut, religiös, d. h. heilig, göttlich i&#x017F;t, hat das Ge-<lb/>
fühl &#x017F;einen Gott nicht <hi rendition="#g">in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi>?</p><lb/>
          <p>Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls fe&#x017F;t&#x017F;etzen,<lb/>
zugleich aber Dein Gefühl <hi rendition="#g">wahrhaft</hi> auslegen will&#x017F;t, ohne<lb/>
mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was<lb/>
bleibt Dir übrig, als zu unter&#x017F;cheiden zwi&#x017F;chen Deinen indi-<lb/>
viduellen Gefühlen und zwi&#x017F;chen dem allgemeinen We&#x017F;en, der<lb/>
Natur des Gefühls, als abzu&#x017F;ondern das We&#x017F;en des Gefühls<lb/>
von den &#x017F;törenden, verunreinigenden Einflü&#x017F;&#x017F;en, an welche in<lb/>
Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden i&#x017F;t?<lb/>
Was Du daher allein vergegen&#x017F;tändlichen, als das Unend-<lb/>
liche aus&#x017F;prechen, als de&#x017F;&#x017F;en We&#x017F;en be&#x017F;timmen kann&#x017F;t, das i&#x017F;t<lb/>
nur die Natur des Gefühls. Du ha&#x017F;t hier keine andere Be-<lb/>
&#x017F;timmung für Gott als die&#x017F;e: <hi rendition="#g">Gott i&#x017F;t das reine, das un-<lb/>
be&#x017F;chränkte, das freie Gefühl</hi>. Jeder andre Gott, den<lb/>
Du hier &#x017F;etze&#x017F;t, i&#x017F;t ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun-<lb/>
gener Gott. Das Gefühl i&#x017F;t <hi rendition="#g">athei&#x017F;ti&#x017F;ch</hi> im Sinne des or-<lb/>
thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern<lb/>
Gegen&#x017F;tand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen <hi rendition="#g">gegen-<lb/>
&#x017F;tändlichen</hi> Gott &#x2014; es i&#x017F;t <hi rendition="#g">&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Gott</hi>. Die <hi rendition="#g">Nega-<lb/>
tion des Gefühls nur</hi> i&#x017F;t auf dem Standpunkt des Gefühls<lb/>
die <hi rendition="#g">Negation Gottes</hi>. Du bi&#x017F;t nur zu feige oder zu be-<lb/>
&#x017F;chränkt, um mit Worten einzuge&#x017F;tehen, was Dein Gefühl im<lb/>
Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rück&#x017F;ichten, in den<lb/>
Banden des gemein&#x017F;ten Empirismus noch befangen, unfähig<lb/>
die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, er&#x017F;chrick&#x017F;t Du vor<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0033] ſprochen, lediglich weil es Gefühl iſt; der Grund der Reli- gioſität iſt die Natur des Gefühls, liegt in ihm ſelbſt. Iſt aber dadurch nicht das Gefühl als das Abſolute, als das Göttliche ſelbſt ausgeſprochen? Wenn das Gefühl durch ſich ſelbſt gut, religiös, d. h. heilig, göttlich iſt, hat das Ge- fühl ſeinen Gott nicht in ſich ſelbſt? Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls feſtſetzen, zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willſt, ohne mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt Dir übrig, als zu unterſcheiden zwiſchen Deinen indi- viduellen Gefühlen und zwiſchen dem allgemeinen Weſen, der Natur des Gefühls, als abzuſondern das Weſen des Gefühls von den ſtörenden, verunreinigenden Einflüſſen, an welche in Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden iſt? Was Du daher allein vergegenſtändlichen, als das Unend- liche ausſprechen, als deſſen Weſen beſtimmen kannſt, das iſt nur die Natur des Gefühls. Du haſt hier keine andere Be- ſtimmung für Gott als dieſe: Gott iſt das reine, das un- beſchränkte, das freie Gefühl. Jeder andre Gott, den Du hier ſetzeſt, iſt ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun- gener Gott. Das Gefühl iſt atheiſtiſch im Sinne des or- thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern Gegenſtand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegen- ſtändlichen Gott — es iſt ſich ſelbſt Gott. Die Nega- tion des Gefühls nur iſt auf dem Standpunkt des Gefühls die Negation Gottes. Du biſt nur zu feige oder zu be- ſchränkt, um mit Worten einzugeſtehen, was Dein Gefühl im Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rückſichten, in den Banden des gemeinſten Empirismus noch befangen, unfähig die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erſchrickſt Du vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/33
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/33>, abgerufen am 29.03.2024.