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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Die Identität der Sacramente mit dem entwickelten spe-
cifischen Wesen der Religion, stellt sich nun, abgesehen von
andern Beziehungen, sogleich dadurch heraus, daß die Basis
derselben natürliche Dinge oder Stoffe sind, welchen aber
eine ihrer Natur widersprechende Bedeutung und Wirkung ein-
geräumt wird. So ist das Subject oder die Materie der
Taufe das Wasser, gemeines, natürliches Wasser, gleichwie
überhaupt die Materie der Religion unser eignes natürliches
Wesen ist. Aber wie unser eignes Wesen die Religion uns
entfremdet und entwendet, so ist auch das Wasser der Taufe
zugleich wieder ein ganz anderes Wasser, als das gemeine;
denn es hat keine physische, sondern hyperphysische Kraft und
Bedeutung: es ist das Lavacrum regenerationis, reinigt den
Menschen vom Schmutze der Erbsünde, treibt den angebornen
Teufel aus, versöhnt mit Gott. Es ist also ein natürliches
Wasser eigentlich nur zum Schein, in Wahrheit übernatürli-
ches. Mit andern Worten: das Taufwasser hat übernatürliche
Wirkungen -- was aber übernatürlich wirkt, ist selbst überna-
türlichen Wesens -- nur in der Vorstellung, in der Imagination.

Aber dennoch soll zugleich wieder der Taufstoff na-
türliches Wasser sein. Die Taufe hat keine Gültigkeit
und Wirksamkeit, wenn sie nicht mit Wasser vollbracht
wird. Die natürliche Qualität hat also doch auch
für sich selbst Werth und Bedeutung, weil nur mit dem
Wasser, nicht mit einem andern Stoffe sich die übernatürliche
Wirkung der Taufe auf übernatürliche Weise verbindet. Gott
könnte an sich vermöge seiner Allmacht die nämliche Wirkung
an jedes beliebige Ding knüpfen. Aber er thut es nicht; er
accommodirt sich der natürlichen Qualität; er wählt einen
seiner Wirkung entsprechenden, ähnlichen Stoff. Ganz wird

Feuerbach. 21

Die Identität der Sacramente mit dem entwickelten ſpe-
cifiſchen Weſen der Religion, ſtellt ſich nun, abgeſehen von
andern Beziehungen, ſogleich dadurch heraus, daß die Baſis
derſelben natürliche Dinge oder Stoffe ſind, welchen aber
eine ihrer Natur widerſprechende Bedeutung und Wirkung ein-
geräumt wird. So iſt das Subject oder die Materie der
Taufe das Waſſer, gemeines, natürliches Waſſer, gleichwie
überhaupt die Materie der Religion unſer eignes natürliches
Weſen iſt. Aber wie unſer eignes Weſen die Religion uns
entfremdet und entwendet, ſo iſt auch das Waſſer der Taufe
zugleich wieder ein ganz anderes Waſſer, als das gemeine;
denn es hat keine phyſiſche, ſondern hyperphyſiſche Kraft und
Bedeutung: es iſt das Lavacrum regenerationis, reinigt den
Menſchen vom Schmutze der Erbſünde, treibt den angebornen
Teufel aus, verſöhnt mit Gott. Es iſt alſo ein natürliches
Waſſer eigentlich nur zum Schein, in Wahrheit übernatürli-
ches. Mit andern Worten: das Taufwaſſer hat übernatürliche
Wirkungen — was aber übernatürlich wirkt, iſt ſelbſt überna-
türlichen Weſens — nur in der Vorſtellung, in der Imagination.

Aber dennoch ſoll zugleich wieder der Taufſtoff na-
türliches Waſſer ſein. Die Taufe hat keine Gültigkeit
und Wirkſamkeit, wenn ſie nicht mit Waſſer vollbracht
wird. Die natürliche Qualität hat alſo doch auch
für ſich ſelbſt Werth und Bedeutung, weil nur mit dem
Waſſer, nicht mit einem andern Stoffe ſich die übernatürliche
Wirkung der Taufe auf übernatürliche Weiſe verbindet. Gott
könnte an ſich vermöge ſeiner Allmacht die nämliche Wirkung
an jedes beliebige Ding knüpfen. Aber er thut es nicht; er
accommodirt ſich der natürlichen Qualität; er wählt einen
ſeiner Wirkung entſprechenden, ähnlichen Stoff. Ganz wird

Feuerbach. 21
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[321/0339] Die Identität der Sacramente mit dem entwickelten ſpe- cifiſchen Weſen der Religion, ſtellt ſich nun, abgeſehen von andern Beziehungen, ſogleich dadurch heraus, daß die Baſis derſelben natürliche Dinge oder Stoffe ſind, welchen aber eine ihrer Natur widerſprechende Bedeutung und Wirkung ein- geräumt wird. So iſt das Subject oder die Materie der Taufe das Waſſer, gemeines, natürliches Waſſer, gleichwie überhaupt die Materie der Religion unſer eignes natürliches Weſen iſt. Aber wie unſer eignes Weſen die Religion uns entfremdet und entwendet, ſo iſt auch das Waſſer der Taufe zugleich wieder ein ganz anderes Waſſer, als das gemeine; denn es hat keine phyſiſche, ſondern hyperphyſiſche Kraft und Bedeutung: es iſt das Lavacrum regenerationis, reinigt den Menſchen vom Schmutze der Erbſünde, treibt den angebornen Teufel aus, verſöhnt mit Gott. Es iſt alſo ein natürliches Waſſer eigentlich nur zum Schein, in Wahrheit übernatürli- ches. Mit andern Worten: das Taufwaſſer hat übernatürliche Wirkungen — was aber übernatürlich wirkt, iſt ſelbſt überna- türlichen Weſens — nur in der Vorſtellung, in der Imagination. Aber dennoch ſoll zugleich wieder der Taufſtoff na- türliches Waſſer ſein. Die Taufe hat keine Gültigkeit und Wirkſamkeit, wenn ſie nicht mit Waſſer vollbracht wird. Die natürliche Qualität hat alſo doch auch für ſich ſelbſt Werth und Bedeutung, weil nur mit dem Waſſer, nicht mit einem andern Stoffe ſich die übernatürliche Wirkung der Taufe auf übernatürliche Weiſe verbindet. Gott könnte an ſich vermöge ſeiner Allmacht die nämliche Wirkung an jedes beliebige Ding knüpfen. Aber er thut es nicht; er accommodirt ſich der natürlichen Qualität; er wählt einen ſeiner Wirkung entſprechenden, ähnlichen Stoff. Ganz wird Feuerbach. 21

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/339>, abgerufen am 24.04.2024.