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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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daran, daß er gut ist; er will, daß er gut, daß er selig sei --
denn ohne Güte keine Seligkeit. Die menschlichen Gesinnun-
gen und Handlungen sind also Gott nicht gleichgültig; sie sind
Gegenstände Gottes, also göttliche Gegenstände, Gegenstände
von höchstem Werthe und Interesse, weil sie für Gott Werth
und Interesse haben. Die Nichtigkeit der menschlichen Thä-
tigkeit widerruft also der religiöse Mensch wieder dadurch, daß
er seine Gesinnungen und Handlungen zu einem Gegenstande
Gottes, den Menschen zum Zweck Gottes -- denn was Ge-
genstand im Geiste, ist Zweck im Handeln -- die göttliche
Thätigkeit zu einem Mittel des menschlichen Heils macht.
Gott wirkt auf den Menschen, ist thätig, damit der Mensch
gut und selig werde. So wird der Mensch, indem er schein-
bar aufs Tiefste erniedrigt wird, in Wahrheit aufs Höchste
erhoben! Der Mensch bezweckt sich selbst in und durch
Gott
. Der Mensch bezweckt Gott, aber Gott bezweckt nichts,
als das moralische und ewige Heil des Menschen, also be-
zweckt der Mensch nur sich selbst. Die göttliche Thätigkeit un-
terscheidet sich nicht von der menschlichen.

Wie könnte aber auch die göttliche Thätigkeit auf mich als
ihr Object, ja in mir selber wirken, wenn sie eine andere, eine
wesentlich andere wäre, wie einen menschlichen Zweck haben,
den Zweck, den Menschen zu bessern, zu beglücken, wenn sie
nicht selbst eine menschliche wäre? Bestimmt der Zweck nicht
die Handlung? Wenn der Mensch seine moralische Besserung
sich zum Zwecke setzt, so hat er göttliche Entschlüsse, göttliche
Vorsätze, wenn aber Gott des Menschen Heil bezweckt, so hat
er menschliche Zwecke und diesen Zwecken entsprechende mensch-
liche Thätigkeit. So ist dem Menschen in Gott nur seine
eigene Thätigkeit Gegenstand
. Aber weil er die eigne

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daran, daß er gut iſt; er will, daß er gut, daß er ſelig ſei —
denn ohne Güte keine Seligkeit. Die menſchlichen Geſinnun-
gen und Handlungen ſind alſo Gott nicht gleichgültig; ſie ſind
Gegenſtände Gottes, alſo göttliche Gegenſtände, Gegenſtände
von höchſtem Werthe und Intereſſe, weil ſie für Gott Werth
und Intereſſe haben. Die Nichtigkeit der menſchlichen Thä-
tigkeit widerruft alſo der religiöſe Menſch wieder dadurch, daß
er ſeine Geſinnungen und Handlungen zu einem Gegenſtande
Gottes, den Menſchen zum Zweck Gottes — denn was Ge-
genſtand im Geiſte, iſt Zweck im Handeln — die göttliche
Thätigkeit zu einem Mittel des menſchlichen Heils macht.
Gott wirkt auf den Menſchen, iſt thätig, damit der Menſch
gut und ſelig werde. So wird der Menſch, indem er ſchein-
bar aufs Tiefſte erniedrigt wird, in Wahrheit aufs Höchſte
erhoben! Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und durch
Gott
. Der Menſch bezweckt Gott, aber Gott bezweckt nichts,
als das moraliſche und ewige Heil des Menſchen, alſo be-
zweckt der Menſch nur ſich ſelbſt. Die göttliche Thätigkeit un-
terſcheidet ſich nicht von der menſchlichen.

Wie könnte aber auch die göttliche Thätigkeit auf mich als
ihr Object, ja in mir ſelber wirken, wenn ſie eine andere, eine
weſentlich andere wäre, wie einen menſchlichen Zweck haben,
den Zweck, den Menſchen zu beſſern, zu beglücken, wenn ſie
nicht ſelbſt eine menſchliche wäre? Beſtimmt der Zweck nicht
die Handlung? Wenn der Menſch ſeine moraliſche Beſſerung
ſich zum Zwecke ſetzt, ſo hat er göttliche Entſchlüſſe, göttliche
Vorſätze, wenn aber Gott des Menſchen Heil bezweckt, ſo hat
er menſchliche Zwecke und dieſen Zwecken entſprechende menſch-
liche Thätigkeit. So iſt dem Menſchen in Gott nur ſeine
eigene Thätigkeit Gegenſtand
. Aber weil er die eigne

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[35/0053] daran, daß er gut iſt; er will, daß er gut, daß er ſelig ſei — denn ohne Güte keine Seligkeit. Die menſchlichen Geſinnun- gen und Handlungen ſind alſo Gott nicht gleichgültig; ſie ſind Gegenſtände Gottes, alſo göttliche Gegenſtände, Gegenſtände von höchſtem Werthe und Intereſſe, weil ſie für Gott Werth und Intereſſe haben. Die Nichtigkeit der menſchlichen Thä- tigkeit widerruft alſo der religiöſe Menſch wieder dadurch, daß er ſeine Geſinnungen und Handlungen zu einem Gegenſtande Gottes, den Menſchen zum Zweck Gottes — denn was Ge- genſtand im Geiſte, iſt Zweck im Handeln — die göttliche Thätigkeit zu einem Mittel des menſchlichen Heils macht. Gott wirkt auf den Menſchen, iſt thätig, damit der Menſch gut und ſelig werde. So wird der Menſch, indem er ſchein- bar aufs Tiefſte erniedrigt wird, in Wahrheit aufs Höchſte erhoben! Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und durch Gott. Der Menſch bezweckt Gott, aber Gott bezweckt nichts, als das moraliſche und ewige Heil des Menſchen, alſo be- zweckt der Menſch nur ſich ſelbſt. Die göttliche Thätigkeit un- terſcheidet ſich nicht von der menſchlichen. Wie könnte aber auch die göttliche Thätigkeit auf mich als ihr Object, ja in mir ſelber wirken, wenn ſie eine andere, eine weſentlich andere wäre, wie einen menſchlichen Zweck haben, den Zweck, den Menſchen zu beſſern, zu beglücken, wenn ſie nicht ſelbſt eine menſchliche wäre? Beſtimmt der Zweck nicht die Handlung? Wenn der Menſch ſeine moraliſche Beſſerung ſich zum Zwecke ſetzt, ſo hat er göttliche Entſchlüſſe, göttliche Vorſätze, wenn aber Gott des Menſchen Heil bezweckt, ſo hat er menſchliche Zwecke und dieſen Zwecken entſprechende menſch- liche Thätigkeit. So iſt dem Menſchen in Gott nur ſeine eigene Thätigkeit Gegenſtand. Aber weil er die eigne 3*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/53>, abgerufen am 19.04.2024.