nur statt zwischen Wesen, welche mit einander zerfallen sind, aber Eins sein sollen, Eins sein können und folglich im We- sen, in Wahrheit Eins sind. Es muß also schon aus diesem allgemeinen Grunde das Wesen, mit welchem sich der Mensch entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Wesen sein, obwohl es zugleich anderer Beschaffenheit sein muß, als das Wesen oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtsein der Einheit, der Versöhnung mit Gott oder, was eins ist, mit sich selbst gibt.
Dieses Wesen ist die Intelligenz -- der Verstand*). Gott als Extrem des Menschen gedacht, ist das objective Wesen des Verstandes. Das reine, vollkommne, mangellose gött- liche Wesen ist das Selbstbewußtsein des Verstandes, das Bewußtsein des Verstandes von seiner eignen Vollkom- menheit. Der Verstand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenschaften, keine Bedürfnisse und eben darum keine Mängel und Schwächen, wie das Herz. Reine Verstandesmenschen, Menschen, die uns das Wesen des Verstandes personificiren und versinnbildlichen, sind enthoben den Gemüthsqualen, den Passionen, den Exces- sen der Gefühlsmenschen; sie sind für keinen endlichen, d. i. be- stimmten Gegenstand leidenschaftlich eingenommen; sie "ver- pfänden" sich nicht; sie sind frei. "Nichts bedürfen," "nicht sich den Dingen, sondern die Dinge sich unterwerfen," "Alles ist eitel," diese und ähnliche Sätze sind Mottos von Verstan- desmenschen. Der Verstand ist das neutrale, apathische, unbe-
*) Absichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht so zurückge- setzte Verstand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil dieser Ausdruck ein höchst scharfer, bestimmter, pikanter und doch zugleich populärer ist.
nur ſtatt zwiſchen Weſen, welche mit einander zerfallen ſind, aber Eins ſein ſollen, Eins ſein können und folglich im We- ſen, in Wahrheit Eins ſind. Es muß alſo ſchon aus dieſem allgemeinen Grunde das Weſen, mit welchem ſich der Menſch entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Weſen ſein, obwohl es zugleich anderer Beſchaffenheit ſein muß, als das Weſen oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtſein der Einheit, der Verſöhnung mit Gott oder, was eins iſt, mit ſich ſelbſt gibt.
Dieſes Weſen iſt die Intelligenz — der Verſtand*). Gott als Extrem des Menſchen gedacht, iſt das objective Weſen des Verſtandes. Das reine, vollkommne, mangelloſe gött- liche Weſen iſt das Selbſtbewußtſein des Verſtandes, das Bewußtſein des Verſtandes von ſeiner eignen Vollkom- menheit. Der Verſtand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenſchaften, keine Bedürfniſſe und eben darum keine Mängel und Schwächen, wie das Herz. Reine Verſtandesmenſchen, Menſchen, die uns das Weſen des Verſtandes perſonificiren und verſinnbildlichen, ſind enthoben den Gemüthsqualen, den Paſſionen, den Exceſ- ſen der Gefühlsmenſchen; ſie ſind für keinen endlichen, d. i. be- ſtimmten Gegenſtand leidenſchaftlich eingenommen; ſie „ver- pfänden“ ſich nicht; ſie ſind frei. „Nichts bedürfen,“ „nicht ſich den Dingen, ſondern die Dinge ſich unterwerfen,“ „Alles iſt eitel,“ dieſe und ähnliche Sätze ſind Mottos von Verſtan- desmenſchen. Der Verſtand iſt das neutrale, apathiſche, unbe-
*) Abſichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht ſo zurückge- ſetzte Verſtand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil dieſer Ausdruck ein höchſt ſcharfer, beſtimmter, pikanter und doch zugleich populärer iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0056"n="38"/>
nur ſtatt zwiſchen Weſen, welche mit einander zerfallen ſind,<lb/>
aber Eins ſein ſollen, Eins ſein können und folglich im We-<lb/>ſen, in Wahrheit Eins ſind. Es muß alſo ſchon aus dieſem<lb/>
allgemeinen Grunde <hirendition="#g">das</hi> Weſen, mit welchem ſich der Menſch<lb/>
entzweit fühlt, ein ihm <hirendition="#g">eingebornes</hi> Weſen ſein, obwohl es<lb/>
zugleich <hirendition="#g">anderer Beſchaffenheit</hi>ſein muß, als <hirendition="#g">das</hi> Weſen<lb/>
oder <hirendition="#g">die</hi> Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtſein der<lb/>
Einheit, der Verſöhnung mit Gott oder, was eins iſt, mit ſich<lb/>ſelbſt gibt.</p><lb/><p>Dieſes Weſen iſt die Intelligenz — der <hirendition="#g">Verſtand</hi><noteplace="foot"n="*)">Abſichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht ſo zurückge-<lb/>ſetzte Verſtand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil<lb/>
dieſer Ausdruck ein höchſt ſcharfer, beſtimmter, pikanter und doch zugleich<lb/>
populärer iſt.</note>. <hirendition="#g">Gott</hi><lb/>
als <hirendition="#g">Extrem</hi> des Menſchen gedacht, iſt das <hirendition="#g">objective Weſen<lb/>
des Verſtandes</hi>. Das reine, vollkommne, mangelloſe gött-<lb/>
liche Weſen iſt das <hirendition="#g">Selbſtbewußtſein des Verſtandes</hi>, das<lb/>
Bewußtſein des Verſtandes von <hirendition="#g">ſeiner eignen Vollkom-<lb/>
menheit</hi>. Der Verſtand weiß nichts von den Leiden des<lb/>
Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenſchaften, keine<lb/>
Bedürfniſſe und eben darum keine Mängel und Schwächen,<lb/>
wie das Herz. Reine Verſtandesmenſchen, Menſchen, die uns<lb/>
das Weſen des Verſtandes perſonificiren und verſinnbildlichen,<lb/>ſind enthoben den Gemüthsqualen, den Paſſionen, den Exceſ-<lb/>ſen der Gefühlsmenſchen; ſie ſind für keinen endlichen, d. i. be-<lb/>ſtimmten Gegenſtand leidenſchaftlich eingenommen; ſie „ver-<lb/>
pfänden“ſich nicht; ſie ſind frei. „Nichts bedürfen,“„nicht ſich<lb/>
den Dingen, ſondern die Dinge ſich unterwerfen,“„Alles iſt<lb/>
eitel,“ dieſe und ähnliche Sätze ſind Mottos von Verſtan-<lb/>
desmenſchen. Der Verſtand iſt das neutrale, apathiſche, unbe-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[38/0056]
nur ſtatt zwiſchen Weſen, welche mit einander zerfallen ſind,
aber Eins ſein ſollen, Eins ſein können und folglich im We-
ſen, in Wahrheit Eins ſind. Es muß alſo ſchon aus dieſem
allgemeinen Grunde das Weſen, mit welchem ſich der Menſch
entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Weſen ſein, obwohl es
zugleich anderer Beſchaffenheit ſein muß, als das Weſen
oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtſein der
Einheit, der Verſöhnung mit Gott oder, was eins iſt, mit ſich
ſelbſt gibt.
Dieſes Weſen iſt die Intelligenz — der Verſtand *). Gott
als Extrem des Menſchen gedacht, iſt das objective Weſen
des Verſtandes. Das reine, vollkommne, mangelloſe gött-
liche Weſen iſt das Selbſtbewußtſein des Verſtandes, das
Bewußtſein des Verſtandes von ſeiner eignen Vollkom-
menheit. Der Verſtand weiß nichts von den Leiden des
Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenſchaften, keine
Bedürfniſſe und eben darum keine Mängel und Schwächen,
wie das Herz. Reine Verſtandesmenſchen, Menſchen, die uns
das Weſen des Verſtandes perſonificiren und verſinnbildlichen,
ſind enthoben den Gemüthsqualen, den Paſſionen, den Exceſ-
ſen der Gefühlsmenſchen; ſie ſind für keinen endlichen, d. i. be-
ſtimmten Gegenſtand leidenſchaftlich eingenommen; ſie „ver-
pfänden“ ſich nicht; ſie ſind frei. „Nichts bedürfen,“ „nicht ſich
den Dingen, ſondern die Dinge ſich unterwerfen,“ „Alles iſt
eitel,“ dieſe und ähnliche Sätze ſind Mottos von Verſtan-
desmenſchen. Der Verſtand iſt das neutrale, apathiſche, unbe-
*) Abſichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht ſo zurückge-
ſetzte Verſtand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil
dieſer Ausdruck ein höchſt ſcharfer, beſtimmter, pikanter und doch zugleich
populärer iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/56>, abgerufen am 20.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.