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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

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recht sinnlich Bestimmtes einer Welt von Bewußtseinszu¬
ständen, Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen
gegenüber, die uns noch eher die Täuschung vorspiegeln
könnten, als ob in ihnen etwas sogenannt rein Geistiges
gegeben sei.

Es ist nicht zu leugnen, daß die Verführung sehr
nahe liegt, während wir uns in dem Element der Sprache,
der Worte bewegen, die sinnliche Thätigkeit, die dabei statt¬
findet, zu übersehen. Gerade in der Sprache scheint der
menschliche Geist zu seiner eigensten, freiesten, von aller
sinnlichen Bedingtheit losgelösten Bethätigung zu ge¬
langen. Das was wir den Inhalt eines Wortes zu
nennen pflegen, steht in seinem Umfange, seiner Weite
ganz außer allem Verhältniß zu dem geringen sinnlichen
Volumen des Lautgebildes. Dieses wird eng begrenzt,
jener weit umfassend erscheinen; wir werden meinen, daß
sich mit der sinnlich so unscheinbaren Thatsache eines
Wortes etwas mit demselben ganz incommensurables Gei¬
stiges verbinde. Schon bei Bezeichnungen einfacher, nahe
liegender Gegenstände, als etwa Tisch, Haus, Baum und
dergleichen, muß dies auffallen; um wie viel mehr bei
Worten, wie Sonne, Himmel, Welt, oder gar bei Aus¬
drücken wie Tugend, Unsterblichkeit, Unendlichkeit und an¬
deren ähnlichen. Muß es uns nicht so vorkommen, als
ob wir gleichwie mit Tasten schlummernde Töne aus den
Saiten eines Instrumentes, so mit den Sprachlauten un¬
endliche Reihen geistiger Bildungen aus dem leiblichen
Organ erweckten? Es hat ja in der That etwas Geheim¬

recht ſinnlich Beſtimmtes einer Welt von Bewußtſeinszu¬
ſtänden, Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorſtellungen
gegenüber, die uns noch eher die Täuſchung vorſpiegeln
könnten, als ob in ihnen etwas ſogenannt rein Geiſtiges
gegeben ſei.

Es iſt nicht zu leugnen, daß die Verführung ſehr
nahe liegt, während wir uns in dem Element der Sprache,
der Worte bewegen, die ſinnliche Thätigkeit, die dabei ſtatt¬
findet, zu überſehen. Gerade in der Sprache ſcheint der
menſchliche Geiſt zu ſeiner eigenſten, freieſten, von aller
ſinnlichen Bedingtheit losgelöſten Bethätigung zu ge¬
langen. Das was wir den Inhalt eines Wortes zu
nennen pflegen, ſteht in ſeinem Umfange, ſeiner Weite
ganz außer allem Verhältniß zu dem geringen ſinnlichen
Volumen des Lautgebildes. Dieſes wird eng begrenzt,
jener weit umfaſſend erſcheinen; wir werden meinen, daß
ſich mit der ſinnlich ſo unſcheinbaren Thatſache eines
Wortes etwas mit demſelben ganz incommenſurables Gei¬
ſtiges verbinde. Schon bei Bezeichnungen einfacher, nahe
liegender Gegenſtände, als etwa Tiſch, Haus, Baum und
dergleichen, muß dies auffallen; um wie viel mehr bei
Worten, wie Sonne, Himmel, Welt, oder gar bei Aus¬
drücken wie Tugend, Unſterblichkeit, Unendlichkeit und an¬
deren ähnlichen. Muß es uns nicht ſo vorkommen, als
ob wir gleichwie mit Taſten ſchlummernde Töne aus den
Saiten eines Inſtrumentes, ſo mit den Sprachlauten un¬
endliche Reihen geiſtiger Bildungen aus dem leiblichen
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[36/0048] recht ſinnlich Beſtimmtes einer Welt von Bewußtſeinszu¬ ſtänden, Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorſtellungen gegenüber, die uns noch eher die Täuſchung vorſpiegeln könnten, als ob in ihnen etwas ſogenannt rein Geiſtiges gegeben ſei. Es iſt nicht zu leugnen, daß die Verführung ſehr nahe liegt, während wir uns in dem Element der Sprache, der Worte bewegen, die ſinnliche Thätigkeit, die dabei ſtatt¬ findet, zu überſehen. Gerade in der Sprache ſcheint der menſchliche Geiſt zu ſeiner eigenſten, freieſten, von aller ſinnlichen Bedingtheit losgelöſten Bethätigung zu ge¬ langen. Das was wir den Inhalt eines Wortes zu nennen pflegen, ſteht in ſeinem Umfange, ſeiner Weite ganz außer allem Verhältniß zu dem geringen ſinnlichen Volumen des Lautgebildes. Dieſes wird eng begrenzt, jener weit umfaſſend erſcheinen; wir werden meinen, daß ſich mit der ſinnlich ſo unſcheinbaren Thatſache eines Wortes etwas mit demſelben ganz incommenſurables Gei¬ ſtiges verbinde. Schon bei Bezeichnungen einfacher, nahe liegender Gegenſtände, als etwa Tiſch, Haus, Baum und dergleichen, muß dies auffallen; um wie viel mehr bei Worten, wie Sonne, Himmel, Welt, oder gar bei Aus¬ drücken wie Tugend, Unſterblichkeit, Unendlichkeit und an¬ deren ähnlichen. Muß es uns nicht ſo vorkommen, als ob wir gleichwie mit Taſten ſchlummernde Töne aus den Saiten eines Inſtrumentes, ſo mit den Sprachlauten un¬ endliche Reihen geiſtiger Bildungen aus dem leiblichen Organ erweckten? Es hat ja in der That etwas Geheim¬

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Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/48>, abgerufen am 28.03.2024.