Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite
3.

Die Einsicht, daß sich unser gesammter sinnlicher Wirk¬
lichkeitsbesitz auf Wahrnehmungs- und Vorstellungsvor¬
kommnisse beschränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden
Zustand, sondern ein Kommen und Gehen, ein Entstehen
und Verschwinden, ein Werden und Vergehen darstellen
diese Einsicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht
nur ein flüchtiges, sondern auch ein vielfach unentwickeltes
oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Ansehung der
wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir
leben, die unsere Sinne bald auf das Kleine und Nahe
festbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte
zugänglich zu machen, die sich bald in festester stofflicher
Gegenwart aufdrängt, bald in anscheinend stofflosester Er¬
scheinung sich doch immer noch als sinnlich vorhanden er¬
weist, in Ansehung dieser Welt, die wir als etwas so un¬
begreiflich Kunstreiches und Vollendetes erkennen, mag es
uns schwer werden, dies zuzugeben. Aber wir sind in
Betreff des Zustandes unseres sogenannten sinnlichen Wirk¬
lichkeitsbesitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬

3.

Die Einſicht, daß ſich unſer geſammter ſinnlicher Wirk¬
lichkeitsbeſitz auf Wahrnehmungs- und Vorſtellungsvor¬
kommniſſe beſchränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden
Zuſtand, ſondern ein Kommen und Gehen, ein Entſtehen
und Verſchwinden, ein Werden und Vergehen darſtellen
dieſe Einſicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht
nur ein flüchtiges, ſondern auch ein vielfach unentwickeltes
oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Anſehung der
wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir
leben, die unſere Sinne bald auf das Kleine und Nahe
feſtbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte
zugänglich zu machen, die ſich bald in feſteſter ſtofflicher
Gegenwart aufdrängt, bald in anſcheinend ſtoffloſeſter Er¬
ſcheinung ſich doch immer noch als ſinnlich vorhanden er¬
weiſt, in Anſehung dieſer Welt, die wir als etwas ſo un¬
begreiflich Kunſtreiches und Vollendetes erkennen, mag es
uns ſchwer werden, dies zuzugeben. Aber wir ſind in
Betreff des Zuſtandes unſeres ſogenannten ſinnlichen Wirk¬
lichkeitsbeſitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0062" n="[50]"/>
      <div n="1">
        <head>3.<lb/></head>
        <p>Die Ein&#x017F;icht, daß &#x017F;ich un&#x017F;er ge&#x017F;ammter &#x017F;innlicher Wirk¬<lb/>
lichkeitsbe&#x017F;itz auf Wahrnehmungs- und Vor&#x017F;tellungsvor¬<lb/>
kommni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;chränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden<lb/>
Zu&#x017F;tand, &#x017F;ondern ein Kommen und Gehen, ein Ent&#x017F;tehen<lb/>
und Ver&#x017F;chwinden, ein Werden und Vergehen dar&#x017F;tellen<lb/>
die&#x017F;e Ein&#x017F;icht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht<lb/>
nur ein flüchtiges, &#x017F;ondern auch ein vielfach unentwickeltes<lb/>
oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In An&#x017F;ehung der<lb/>
wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir<lb/>
leben, die un&#x017F;ere Sinne bald auf das Kleine und Nahe<lb/>
fe&#x017F;tbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte<lb/>
zugänglich zu machen, die &#x017F;ich bald in fe&#x017F;te&#x017F;ter &#x017F;tofflicher<lb/>
Gegenwart aufdrängt, bald in an&#x017F;cheinend &#x017F;tofflo&#x017F;e&#x017F;ter Er¬<lb/>
&#x017F;cheinung &#x017F;ich doch immer noch als &#x017F;innlich vorhanden er¬<lb/>
wei&#x017F;t, in An&#x017F;ehung die&#x017F;er Welt, die wir als etwas &#x017F;o un¬<lb/>
begreiflich Kun&#x017F;treiches und Vollendetes erkennen, mag es<lb/>
uns &#x017F;chwer werden, dies zuzugeben. Aber wir &#x017F;ind in<lb/>
Betreff des Zu&#x017F;tandes un&#x017F;eres &#x017F;ogenannten &#x017F;innlichen Wirk¬<lb/>
lichkeitsbe&#x017F;itzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[50]/0062] 3. Die Einſicht, daß ſich unſer geſammter ſinnlicher Wirk¬ lichkeitsbeſitz auf Wahrnehmungs- und Vorſtellungsvor¬ kommniſſe beſchränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden Zuſtand, ſondern ein Kommen und Gehen, ein Entſtehen und Verſchwinden, ein Werden und Vergehen darſtellen dieſe Einſicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht nur ein flüchtiges, ſondern auch ein vielfach unentwickeltes oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Anſehung der wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir leben, die unſere Sinne bald auf das Kleine und Nahe feſtbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte zugänglich zu machen, die ſich bald in feſteſter ſtofflicher Gegenwart aufdrängt, bald in anſcheinend ſtoffloſeſter Er¬ ſcheinung ſich doch immer noch als ſinnlich vorhanden er¬ weiſt, in Anſehung dieſer Welt, die wir als etwas ſo un¬ begreiflich Kunſtreiches und Vollendetes erkennen, mag es uns ſchwer werden, dies zuzugeben. Aber wir ſind in Betreff des Zuſtandes unſeres ſogenannten ſinnlichen Wirk¬ lichkeitsbeſitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/62
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. [50]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/62>, abgerufen am 19.04.2024.