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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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Lieutenants, die diese komische Raserei wahrnahmen, amüsirten sich herzlich über ihn und ließen ihn abwechselnd vor- oder mittrinken, was alsbald dahin führte, daß der für gewöhnlich so schüchterne Junge ganz aus seiner Reserve heraustrat und sich gelegentlich selbst mit dem sonst so gefürchteten Hradscheck auf einen halben Unterhaltungsfuß stellte.

"Da, Herr," rief er eines Tages, als er gerade mit einem Korbe voll Flaschen wieder aus dem Keller heraufkam. "Da, Herr; das hab' ich eben unten gefunden." Und damit schob er Hradscheck einen schwarzübersponnenen Knebelknopf zu. "Sind solche, wie der Pohlsche an seinem Rock hatte."

Hradscheck war kreideweiß geworden und stotterte: "Ja, hast Recht, Ede. Das sind solche. Hast Recht. Das heißt, die von dem Pohlschen, die waren größer. Solche kleine wie die hatte Hermannchen an seinem Pelzrock. Uns' Lütt-Hermann. Weißt Du noch? Aber nein, da warst Du ja noch garnicht hier. Bring' ihn meiner Frau; vergiß nicht. Oder gieb ihn mir lieber wieder; ich will ihn ihr selber bringen."

Ede ging, und die zunächst sitzenden jungen Officiere, die Hradscheck's Erregung wahrgenommen, aber nicht recht wußten, was sie daraus machen sollten, standen auf und wandten sich einem Gespräch mit andren Kameraden zu.



Auch Hradscheck erhob sich. Er hatte den Knebelknopf zu sich gesteckt und ging in den Garten, ärgerlich gegen den Jungen, am ärgerlichsten aber gegen sich selbst.

"Gut, daß es Fremde waren, und noch dazu solche, die bloß an Mädchen und Pferde denken. War's einer von uns hier, und wenn auch bloß der Oelgötze, der Quaas, so hatt' ich die ganze Geschichte wieder über den Hals. Aufpassen, Hradscheck, aufpassen. Und das verdammte Zusammenfahren und sich Verfärben! Kalt Blut, oder es giebt ein Unglück."

So vor sich hinsprechend, war er, den Blick zu Boden gerichtet, schon ein paarmal in dem Mittelgang auf und abgeschritten. Als er jetzt wieder aufsah, sah er, daß die Jeschke hinter dem Himbeerzaune stand und ein paar verspätete Beeren pflückte.

"Die alte Hexe. Sie lauert wieder."

Aber trotzalledem ging er auf sie zu, gab ihr die Hand und sagte: "Nu, Mutter Jeschke, wie geht's? Lange nicht gesehn. Auch Einquartierung?"

"Nei, Hradscheck."

"Oder is Line wieder da?"

"Nei, Lineken ook nich. De is joa jitzt in Küstrin."

"Bei wem denn?"

"Bi School-Jnspekters. Un doa will se nich weg ... Hüren's, Hradscheck, ick glöw, de School-Jnspekters sinn ook man so ... Awers wat hebben Se denn? Se sehn joa janz geel ut. Un hier so'ne Falt'. O, Se möten sich nich ärgern, Hradscheck."

"Ja, Mutter Jeschke, das sagen Sie wohl. Aber man muß sich ärgern. Da sind nun die jungen Officiere. Na, die gehen bald wieder und sind auch am Ende so schlimm nicht und eigentlich nette Herrchen und immer fidel. Aber der Ede, dieser Ede! Da hat der Junge gestern wieder ein halbes Faß Oel auslaufen lassen. Das ist doch über den Spaß. Wo soll man denn das Geld schließlich hernehmen? Und dann die Plackerei treppauf, treppab und die schmalen Kellerstufen halb abgerutscht. Es ist zum Halsbrechen."

"Na, Se hebben joa doch nu Buggenhagen bi sich. De künn joa doch ne nije Trepp moaken."

"Ach, der, der. Mit dem ist auch nichts; ärgert mich auch. Sollte mir da den Keller höher legen. Aber er will nicht und hat allerhand Ausreden. Oder vielleicht versteht er's auch nicht. Jch werde mal den Küstriner Maurermeister kommen lassen, der jetzt an den Kasematten herumflickt. Kasematten und Keller ist ja beinah dasselbe. Der muß Rath schaffen. Und bald. Denn der Keller ist eigentlich gar kein richtiger Keller; is bloß ein Loch, wo man sich den Kopf stößt."

"Joa, joa. De Wienstuw' sitt em to sihr upp'n Nacken."

"Freilich. Und die ganze Geschichte hat nicht Luft und nicht Licht. Und warum nicht? Weil kein richtiges Fenster da ist. Alles zu klein und zu niedrig. Alles zu dicht zusammen."

"Woll, woll," stimmt die Jeschke zu. "Jott, ick weet noch, as de Pohlsche hier wihr und dat Licht ümmer so blinzeln deih. Joa, wo wihr dat Licht? Wihr et in de Stuw' o'r wihr et in'n Keller? Jck weet et nich."

Alles klang so pfiffig und hämisch, und es lag offen zu Tage, daß sie sich an ihres Nachbarn Verlegenheit weiden wollte. Diesmal aber hatte sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht und die Verlegenheit blieb schließlich auf ihrer Seite. War doch Hradscheck seit lange schon Willens, ihr gegenüber, bei sich bietender Gelegenheit, mal einen andern Ton anzuschlagen. Und so sah er sie denn jetzt mit seinen durchdringenden Augen scharf an und sagte, sie plötzlich in der dritten Person anredend: "Jeschken, ich weiß, wo sie hin will. Aber weiß sie denn auch, was eine Verleumdungsklage ist? Jch erfahre alles, was sie so herumschwatzt; aber seh' sie sich vor, sonst kriegt sie's mit dem Küstriner Gericht zu thun; sie ist 'ne alte Hexe, das weiß jeder, und der Justizrath weiß es auch. Und er wartet bloß noch auf eine Gelegenheit."

Die Alte fuhr erschreckt zusammen. "Jck meen' joa man, Hradscheck, ick meen' joa man ... Se weeten doch, en beten Spoaß möt sinn."

"Nun gut. Ein bischen Spaß mag sein. Aber wenn ich Euch rathen kann, Mutter Jeschke, nicht zu viel. Hört Jhr wohl, nicht zu viel."

Und damit ging er wieder auf das Haus zu.
(Fortsetzung folgt.)



[irrelevantes Material]

Lieutenants, die diese komische Raserei wahrnahmen, amüsirten sich herzlich über ihn und ließen ihn abwechselnd vor- oder mittrinken, was alsbald dahin führte, daß der für gewöhnlich so schüchterne Junge ganz aus seiner Reserve heraustrat und sich gelegentlich selbst mit dem sonst so gefürchteten Hradscheck auf einen halben Unterhaltungsfuß stellte.

„Da, Herr,“ rief er eines Tages, als er gerade mit einem Korbe voll Flaschen wieder aus dem Keller heraufkam. „Da, Herr; das hab’ ich eben unten gefunden.“ Und damit schob er Hradscheck einen schwarzübersponnenen Knebelknopf zu. „Sind solche, wie der Pohlsche an seinem Rock hatte.“

Hradscheck war kreideweiß geworden und stotterte: „Ja, hast Recht, Ede. Das sind solche. Hast Recht. Das heißt, die von dem Pohlschen, die waren größer. Solche kleine wie die hatte Hermannchen an seinem Pelzrock. Uns’ Lütt-Hermann. Weißt Du noch? Aber nein, da warst Du ja noch garnicht hier. Bring’ ihn meiner Frau; vergiß nicht. Oder gieb ihn mir lieber wieder; ich will ihn ihr selber bringen.“

Ede ging, und die zunächst sitzenden jungen Officiere, die Hradscheck’s Erregung wahrgenommen, aber nicht recht wußten, was sie daraus machen sollten, standen auf und wandten sich einem Gespräch mit andren Kameraden zu.



Auch Hradscheck erhob sich. Er hatte den Knebelknopf zu sich gesteckt und ging in den Garten, ärgerlich gegen den Jungen, am ärgerlichsten aber gegen sich selbst.

„Gut, daß es Fremde waren, und noch dazu solche, die bloß an Mädchen und Pferde denken. War’s einer von uns hier, und wenn auch bloß der Oelgötze, der Quaas, so hatt’ ich die ganze Geschichte wieder über den Hals. Aufpassen, Hradscheck, aufpassen. Und das verdammte Zusammenfahren und sich Verfärben! Kalt Blut, oder es giebt ein Unglück.“

So vor sich hinsprechend, war er, den Blick zu Boden gerichtet, schon ein paarmal in dem Mittelgang auf und abgeschritten. Als er jetzt wieder aufsah, sah er, daß die Jeschke hinter dem Himbeerzaune stand und ein paar verspätete Beeren pflückte.

„Die alte Hexe. Sie lauert wieder.“

Aber trotzalledem ging er auf sie zu, gab ihr die Hand und sagte: „Nu, Mutter Jeschke, wie geht’s? Lange nicht gesehn. Auch Einquartierung?“

„Nei, Hradscheck.“

„Oder is Line wieder da?“

„Nei, Lineken ook nich. De is joa jitzt in Küstrin.“

„Bei wem denn?“

„Bi School-Jnspekters. Un doa will se nich weg … Hüren’s, Hradscheck, ick glöw, de School-Jnspekters sinn ook man so … Awers wat hebben Se denn? Se sehn joa janz geel ut. Un hier so’ne Falt’. O, Se möten sich nich ärgern, Hradscheck.“

„Ja, Mutter Jeschke, das sagen Sie wohl. Aber man muß sich ärgern. Da sind nun die jungen Officiere. Na, die gehen bald wieder und sind auch am Ende so schlimm nicht und eigentlich nette Herrchen und immer fidel. Aber der Ede, dieser Ede! Da hat der Junge gestern wieder ein halbes Faß Oel auslaufen lassen. Das ist doch über den Spaß. Wo soll man denn das Geld schließlich hernehmen? Und dann die Plackerei treppauf, treppab und die schmalen Kellerstufen halb abgerutscht. Es ist zum Halsbrechen.“

„Na, Se hebben joa doch nu Buggenhagen bi sich. De künn joa doch ne nije Trepp moaken.“

„Ach, der, der. Mit dem ist auch nichts; ärgert mich auch. Sollte mir da den Keller höher legen. Aber er will nicht und hat allerhand Ausreden. Oder vielleicht versteht er’s auch nicht. Jch werde mal den Küstriner Maurermeister kommen lassen, der jetzt an den Kasematten herumflickt. Kasematten und Keller ist ja beinah dasselbe. Der muß Rath schaffen. Und bald. Denn der Keller ist eigentlich gar kein richtiger Keller; is bloß ein Loch, wo man sich den Kopf stößt.“

„Joa, joa. De Wienstuw’ sitt em to sihr upp’n Nacken.“

„Freilich. Und die ganze Geschichte hat nicht Luft und nicht Licht. Und warum nicht? Weil kein richtiges Fenster da ist. Alles zu klein und zu niedrig. Alles zu dicht zusammen.“

„Woll, woll,“ stimmt die Jeschke zu. „Jott, ick weet noch, as de Pohlsche hier wihr und dat Licht ümmer so blinzeln deih. Joa, wo wihr dat Licht? Wihr et in de Stuw’ o’r wihr et in’n Keller? Jck weet et nich.“

Alles klang so pfiffig und hämisch, und es lag offen zu Tage, daß sie sich an ihres Nachbarn Verlegenheit weiden wollte. Diesmal aber hatte sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht und die Verlegenheit blieb schließlich auf ihrer Seite. War doch Hradscheck seit lange schon Willens, ihr gegenüber, bei sich bietender Gelegenheit, mal einen andern Ton anzuschlagen. Und so sah er sie denn jetzt mit seinen durchdringenden Augen scharf an und sagte, sie plötzlich in der dritten Person anredend: „Jeschken, ich weiß, wo sie hin will. Aber weiß sie denn auch, was eine Verleumdungsklage ist? Jch erfahre alles, was sie so herumschwatzt; aber seh’ sie sich vor, sonst kriegt sie’s mit dem Küstriner Gericht zu thun; sie ist ’ne alte Hexe, das weiß jeder, und der Justizrath weiß es auch. Und er wartet bloß noch auf eine Gelegenheit.“

Die Alte fuhr erschreckt zusammen. „Jck meen’ joa man, Hradscheck, ick meen’ joa man … Se weeten doch, en beten Spoaß möt sinn.“

„Nun gut. Ein bischen Spaß mag sein. Aber wenn ich Euch rathen kann, Mutter Jeschke, nicht zu viel. Hört Jhr wohl, nicht zu viel.“

Und damit ging er wieder auf das Haus zu.
(Fortsetzung folgt.)



[irrelevantes Material]
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[616/0026] Lieutenants, die diese komische Raserei wahrnahmen, amüsirten sich herzlich über ihn und ließen ihn abwechselnd vor- oder mittrinken, was alsbald dahin führte, daß der für gewöhnlich so schüchterne Junge ganz aus seiner Reserve heraustrat und sich gelegentlich selbst mit dem sonst so gefürchteten Hradscheck auf einen halben Unterhaltungsfuß stellte. „Da, Herr,“ rief er eines Tages, als er gerade mit einem Korbe voll Flaschen wieder aus dem Keller heraufkam. „Da, Herr; das hab’ ich eben unten gefunden.“ Und damit schob er Hradscheck einen schwarzübersponnenen Knebelknopf zu. „Sind solche, wie der Pohlsche an seinem Rock hatte.“ Hradscheck war kreideweiß geworden und stotterte: „Ja, hast Recht, Ede. Das sind solche. Hast Recht. Das heißt, die von dem Pohlschen, die waren größer. Solche kleine wie die hatte Hermannchen an seinem Pelzrock. Uns’ Lütt-Hermann. Weißt Du noch? Aber nein, da warst Du ja noch garnicht hier. Bring’ ihn meiner Frau; vergiß nicht. Oder gieb ihn mir lieber wieder; ich will ihn ihr selber bringen.“ Ede ging, und die zunächst sitzenden jungen Officiere, die Hradscheck’s Erregung wahrgenommen, aber nicht recht wußten, was sie daraus machen sollten, standen auf und wandten sich einem Gespräch mit andren Kameraden zu. Auch Hradscheck erhob sich. Er hatte den Knebelknopf zu sich gesteckt und ging in den Garten, ärgerlich gegen den Jungen, am ärgerlichsten aber gegen sich selbst. „Gut, daß es Fremde waren, und noch dazu solche, die bloß an Mädchen und Pferde denken. War’s einer von uns hier, und wenn auch bloß der Oelgötze, der Quaas, so hatt’ ich die ganze Geschichte wieder über den Hals. Aufpassen, Hradscheck, aufpassen. Und das verdammte Zusammenfahren und sich Verfärben! Kalt Blut, oder es giebt ein Unglück.“ So vor sich hinsprechend, war er, den Blick zu Boden gerichtet, schon ein paarmal in dem Mittelgang auf und abgeschritten. Als er jetzt wieder aufsah, sah er, daß die Jeschke hinter dem Himbeerzaune stand und ein paar verspätete Beeren pflückte. „Die alte Hexe. Sie lauert wieder.“ Aber trotzalledem ging er auf sie zu, gab ihr die Hand und sagte: „Nu, Mutter Jeschke, wie geht’s? Lange nicht gesehn. Auch Einquartierung?“ „Nei, Hradscheck.“ „Oder is Line wieder da?“ „Nei, Lineken ook nich. De is joa jitzt in Küstrin.“ „Bei wem denn?“ „Bi School-Jnspekters. Un doa will se nich weg … Hüren’s, Hradscheck, ick glöw, de School-Jnspekters sinn ook man so … Awers wat hebben Se denn? Se sehn joa janz geel ut. Un hier so’ne Falt’. O, Se möten sich nich ärgern, Hradscheck.“ „Ja, Mutter Jeschke, das sagen Sie wohl. Aber man muß sich ärgern. Da sind nun die jungen Officiere. Na, die gehen bald wieder und sind auch am Ende so schlimm nicht und eigentlich nette Herrchen und immer fidel. Aber der Ede, dieser Ede! Da hat der Junge gestern wieder ein halbes Faß Oel auslaufen lassen. Das ist doch über den Spaß. Wo soll man denn das Geld schließlich hernehmen? Und dann die Plackerei treppauf, treppab und die schmalen Kellerstufen halb abgerutscht. Es ist zum Halsbrechen.“ „Na, Se hebben joa doch nu Buggenhagen bi sich. De künn joa doch ne nije Trepp moaken.“ „Ach, der, der. Mit dem ist auch nichts; ärgert mich auch. Sollte mir da den Keller höher legen. Aber er will nicht und hat allerhand Ausreden. Oder vielleicht versteht er’s auch nicht. Jch werde mal den Küstriner Maurermeister kommen lassen, der jetzt an den Kasematten herumflickt. Kasematten und Keller ist ja beinah dasselbe. Der muß Rath schaffen. Und bald. Denn der Keller ist eigentlich gar kein richtiger Keller; is bloß ein Loch, wo man sich den Kopf stößt.“ „Joa, joa. De Wienstuw’ sitt em to sihr upp’n Nacken.“ „Freilich. Und die ganze Geschichte hat nicht Luft und nicht Licht. Und warum nicht? Weil kein richtiges Fenster da ist. Alles zu klein und zu niedrig. Alles zu dicht zusammen.“ „Woll, woll,“ stimmt die Jeschke zu. „Jott, ick weet noch, as de Pohlsche hier wihr und dat Licht ümmer so blinzeln deih. Joa, wo wihr dat Licht? Wihr et in de Stuw’ o’r wihr et in’n Keller? Jck weet et nich.“ Alles klang so pfiffig und hämisch, und es lag offen zu Tage, daß sie sich an ihres Nachbarn Verlegenheit weiden wollte. Diesmal aber hatte sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht und die Verlegenheit blieb schließlich auf ihrer Seite. War doch Hradscheck seit lange schon Willens, ihr gegenüber, bei sich bietender Gelegenheit, mal einen andern Ton anzuschlagen. Und so sah er sie denn jetzt mit seinen durchdringenden Augen scharf an und sagte, sie plötzlich in der dritten Person anredend: „Jeschken, ich weiß, wo sie hin will. Aber weiß sie denn auch, was eine Verleumdungsklage ist? Jch erfahre alles, was sie so herumschwatzt; aber seh’ sie sich vor, sonst kriegt sie’s mit dem Küstriner Gericht zu thun; sie ist ’ne alte Hexe, das weiß jeder, und der Justizrath weiß es auch. Und er wartet bloß noch auf eine Gelegenheit.“ Die Alte fuhr erschreckt zusammen. „Jck meen’ joa man, Hradscheck, ick meen’ joa man … Se weeten doch, en beten Spoaß möt sinn.“ „Nun gut. Ein bischen Spaß mag sein. Aber wenn ich Euch rathen kann, Mutter Jeschke, nicht zu viel. Hört Jhr wohl, nicht zu viel.“ Und damit ging er wieder auf das Haus zu. (Fortsetzung folgt.) _

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-12T12:36:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
  • I/J in Fraktur: wie Vorlage;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
  • Spaltenumbrüche markiert: nein;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/26>, abgerufen am 28.03.2024.