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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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Woytasch versicherte jedem, der es hören wollte: "Für Hradscheck ist mir nicht bange; der kann ja jeden Tag aufs Theater. Jch habe Beckmann gesehn; nu ja, Beckmann is gut, aber Hradscheck is besser; er hat noch so was, ja wie soll ich sagen, er hat noch so was, was Beckmann nicht hat."

Hradscheck gewöhnte sich an solchen Beifall, und wenn es sich auch gelegentlich traf, daß er bei seinem Berliner Aufenthalte, während dessen er allemal eine goldene Brille trug, keine Novität gesehen hatte, so kam er doch nie mit leeren Händen zurück, weil er sich nicht eher zufrieden gab, als bis er an den Schaufenstern der Buchläden irgend 'was Komisches und unbändig Witziges ausgefunden hatte. Das hielt auch nie schwer, denn es war gerade die "Glaßbrenner- oder Brennglas-Zeit" und wenn es solche Glaßbrenner-Geschichten nicht sein konnten, nun, so waren es Sammlungen alter und neuer Anekdoten, die damals in kleinen dürftigen Viergroschen-Büchelchen unter allerhand Namen und Titeln, so beispielsweise als "Brausepulver", feilgeboten wurden. Ja diese Büchelchen fanden bei den Tschechinern einen ganz besondern Beifall, weil die darin erzählten Geschichten immer kurz waren und nie lange auf die Pointe warten ließen, und wenn das Gespräch mal stockte, so hatte Kunicke den Stammwitz: "Hradscheck, ein Brausepulver."

So verging der Sommer.



Es war Anfang Oktober, als Hradscheck wieder mal in Berlin war, diesmal auf mehrere Tage, während er sonst immer den dritten Tag schon wieder nach Hause kam. Ede, der mittlerweile das Geschäft versah, paßte gut auf den Dienst, und nur in der Stunde von 1 bis 2, wo sich kaum ein Mensch im Laden sehen ließ, gefiel er sich darin, den Herrn zu spielen und, ganz so wie Hradscheck zu thun pflegte, mit auf den Rücken gelegten Händen im Garten auf und ab zu gehen. Das that er auch heute wieder, zugleich aber rief er nach Jakob und trug ihm auf, und zwar in ziemlich befehlshaberischem Tone, daß er einen neuen Reifen um die Wassertonne legen solle. Dann sah er nach den Staarkästen am Birnbaum und zog einen Zweig zu sich herab, um noch eine der nachgereiften "Franzosenbirnen" zu pflücken. Es war ein Prachtexemplar, in das er sofort einbiß. Als er aber den Zweig wieder los ließ, sah er, daß die Jeschke drüben am Zaune stand.

"Dag, Ede."

"Dag, Mutter Jeschke."

"Na, schmeckt et?"

"J worümm nich? Js joa 'ne Malvasier."

"Joa. Vördem wihr et 'ne Malvesier. Awers nu ..."

"Nu is et 'ne ,Franzosenbeer'. Jck weet woll. Awers dat's joa all een."

"Joa, wer weet, Ede. Doa is nu so wat mang. Heste noch nix maarkt?"

Der Junge ließ erschreckt die Birne fallen, das alte Weib aber bückte sich danach und sagte: "Jck meen' joa nich de Beer'. Jck meen sünnsten."

"Wat denn? Wo denn?"

"Na, so 'rümm um't Huus."

"Nei, Mutter Jeschke."

"Un ook nich unnen in'n Keller? Hest' noch nix siehn o'r hürt?"

"Nei, Mutter Jeschke. Man blot ..."

"Un grappscht ook nich?"

Der Junge war ganz blaß geworden.

"Joa, Mutter Jeschke, 'mal wihr mi so. Mal wihr mi so, as hüll mi wat an de Hacken. Joa, ick glöw, et grappscht."

Die Jeschke sah ihren Zweck erreicht und lenkte deßhalb geschickt wieder ein. "Ede, Du bist ne Bangbüchs. Jck hebb' joa man spoaßt. Js joa man all dumm Tüg."

Und damit ging sie wieder auf ihr Haus zu und ließ den Jungen stehn.



Drei Tage danach war Hradscheck wieder aus Berlin zurück, in vergnüglicherer Stimmung als seit lange, denn er hatte nicht nur alles Geschäftliche glücklich erledigt, sondern auch die Bekanntschaft einer jungen Dame gemacht, die sich seiner Person wie seinen Heirathsplänen geneigt gezeigt hatte. Diese junge Dame war die Tochter aus einem Destillationsgeschäft, groß und stark, mit etwas hervortretenden, immer lachenden Augen, eine Vollblut-Berlinerin. "Forsch und fidel" war ihre Losung, der auch ihre Lieblingsredensart "Ach, das ist ja zum Todtlachen" entsprach. Aber dies war nur so für alle Tage. Wurd' ihr dann wohliger ums Herz, so wurden es auch ihre Redewendungen, und sie sagte dann: "J da muß ja eine alte Wand wackeln," oder: "Das ist ja gleich, um einen Puckel zu kriegen." Jhr Schönstes waren Landpartieen einschließlich gesellschaftlicher Spiele wie Zeck oder Plumpsack, dazu saure Milch mit Schwarzbrot und Heimfahrt mit Stocklaternen und Gesang: "Ein freies Leben führen wir", "Frisch auf, Kameraden", "Lützow's wilde verwegene Jagd" und "Steh' ich in finstrer Mitternacht". Jn Folge welcher ausgesprochenen Vorliebe sie sich in den Kopf gesetzt hatte, nur aufs Land hinaus heirathen zu wollen. Und darüber war sie 30 Jahr alt geworden, alles bloß aus Eigensinn und Widerspenstigkeit. Jhren Namen "Editha" aber hatte die Mutter in Dittchen abgekürzt.

So die Bekanntschaft, die Hradscheck während seines letzten Berliner Aufenthaltes gemacht hatte. Mit Editha selbst war er so gut wie einig und nur die Eltern hatten noch kleine Bedenken. Aber was bedeutete das? Der Vater war ohnehin daran gewöhnt nicht gefragt zu werden, und die Mutter, die nur wegen der neun Meilen Entfernung noch einigermaßen schwankte, wäre keine richtige Mutter gewesen, wenn sie nicht schließlich auch hätte Schwiegermutter sein wollen.

Also Hradscheck war in bester Stimmung, und ein Ausdruck derselben war es, daß er diesmal mit einem besonders großen Vorrath von Berliner Witzlitteratur nach Tschechin zurückkehrte, darunter eine komische Romanze, die letzten Sonntag erst vom Hofschauspieler Rüthling im Koncertsaale des königlichen Schauspielhauses vorgetragen worden war und zwar in einer Matinee, der, neben der ganzen haute volee von Berlin, auch Hradscheck und Editha beigewohnt hatten. Diese Romanze behandelte die berühmte Geschichte vom Eckensteher, der einen armen Apothekerlehrling, "weil das Räucherkerzchen partout nicht stehn wolle", Schlag Mitternacht aus dem Schlaf klingelte, welche Geschichte damals nicht bloß die ganze vornehme Welt, sondern besonders auch unsern auf alle Berliner Witze ganz wie versessenen Hradscheck derart hingenommen hatte, daß er die Zeit, sie seinem Tschechiner Convivium vorzulesen, kaum erwarten konnte. Nun aber war es so weit, und er feierte Triumphe, die fast noch größer waren, als er zu hoffen gewagt hatte. Kunicke brüllte vor Lachen und bot den dreifachen Preis, wenn ihm Hradscheck das Büchelchen ablassen wolle. "Das müss' er seiner Frau vorlesen, wenn er nach Hause komme, diese Nacht noch; so was sei noch gar nicht dagewesen." Und dann sagte Schulze Woytasch: "Ja, die Berliner! Jch weiß nicht! Und wenn mir einer tausend Thaler gäbe, so was könnt' ich nich machen. Es sind doch verflixte Kerls."

Die "Romanze vom Eckensteher" indeß, so glänzend ihr Vortrag abgelaufen war, war doch nur Vorspiel und Plänkelei gewesen, darin Hradscheck sein bestes Pulver noch nicht verschossen hatte. Sein Bestes, oder doch das, was er persönlich dafür hielt, kam erst nach und war die Geschichte von einem der politischen Polizei zugetheilten Gendarmen, der einen unter Verdacht des Hochverraths stehenden und in der Kurstraße wohnenden badischen Studenten Namens Haitzinger ausfindig machen sollte, was ihm auch gelang und einige Zeit danach zu der amtlichen Meldung führte, daß er den pp. Haitzinger, der übrigens Blümchen heiße, gefunden habe, trotzdem derselbe nicht in der Kurstraße, sondern auf dem Spittelmarkt wohnhaft und nicht badischer Student, sondern ein sächsischer Leineweber sei. "Und nun, Jhr Herren und Freunde," schloß Hradscheck seine Geschichte, "dieser ausbündig gescheite Gendarm, wie hieß er? Natürlich Geelhaar, nicht wahr? Aber nein, Jhr Herren, fehlgeschossen, er hieß bloß Müller JJ. Jch habe mich genau danach erkundigt, sonst hätt' ich bis an mein Lebensende geschworen, daß er Geelhaar geheißen haben müsse."

Kunicke schüttelte sich und wollte von keinem andern Namen als Geelhaar wissen, und als man sich endlich ausgetobt und ausgejubelt hatte (nur Woytasch, als Dorfobrigkeit, sah etwas mißbilligend drein), sagte Quaas: "Kinder, so was haben wir nicht

Woytasch versicherte jedem, der es hören wollte: „Für Hradscheck ist mir nicht bange; der kann ja jeden Tag aufs Theater. Jch habe Beckmann gesehn; nu ja, Beckmann is gut, aber Hradscheck is besser; er hat noch so was, ja wie soll ich sagen, er hat noch so was, was Beckmann nicht hat.“

Hradscheck gewöhnte sich an solchen Beifall, und wenn es sich auch gelegentlich traf, daß er bei seinem Berliner Aufenthalte, während dessen er allemal eine goldene Brille trug, keine Novität gesehen hatte, so kam er doch nie mit leeren Händen zurück, weil er sich nicht eher zufrieden gab, als bis er an den Schaufenstern der Buchläden irgend ’was Komisches und unbändig Witziges ausgefunden hatte. Das hielt auch nie schwer, denn es war gerade die „Glaßbrenner- oder Brennglas-Zeit“ und wenn es solche Glaßbrenner-Geschichten nicht sein konnten, nun, so waren es Sammlungen alter und neuer Anekdoten, die damals in kleinen dürftigen Viergroschen-Büchelchen unter allerhand Namen und Titeln, so beispielsweise als „Brausepulver“, feilgeboten wurden. Ja diese Büchelchen fanden bei den Tschechinern einen ganz besondern Beifall, weil die darin erzählten Geschichten immer kurz waren und nie lange auf die Pointe warten ließen, und wenn das Gespräch mal stockte, so hatte Kunicke den Stammwitz: „Hradscheck, ein Brausepulver.“

So verging der Sommer.



Es war Anfang Oktober, als Hradscheck wieder mal in Berlin war, diesmal auf mehrere Tage, während er sonst immer den dritten Tag schon wieder nach Hause kam. Ede, der mittlerweile das Geschäft versah, paßte gut auf den Dienst, und nur in der Stunde von 1 bis 2, wo sich kaum ein Mensch im Laden sehen ließ, gefiel er sich darin, den Herrn zu spielen und, ganz so wie Hradscheck zu thun pflegte, mit auf den Rücken gelegten Händen im Garten auf und ab zu gehen. Das that er auch heute wieder, zugleich aber rief er nach Jakob und trug ihm auf, und zwar in ziemlich befehlshaberischem Tone, daß er einen neuen Reifen um die Wassertonne legen solle. Dann sah er nach den Staarkästen am Birnbaum und zog einen Zweig zu sich herab, um noch eine der nachgereiften „Franzosenbirnen“ zu pflücken. Es war ein Prachtexemplar, in das er sofort einbiß. Als er aber den Zweig wieder los ließ, sah er, daß die Jeschke drüben am Zaune stand.

„Dag, Ede.“

„Dag, Mutter Jeschke.“

„Na, schmeckt et?“

„J worümm nich? Js joa ’ne Malvasier.“

„Joa. Vördem wihr et ’ne Malvesier. Awers nu …“

„Nu is et ’ne ‚Franzosenbeer‘. Jck weet woll. Awers dat’s joa all een.“

„Joa, wer weet, Ede. Doa is nu so wat mang. Heste noch nix maarkt?“

Der Junge ließ erschreckt die Birne fallen, das alte Weib aber bückte sich danach und sagte: „Jck meen’ joa nich de Beer’. Jck meen sünnsten.“

„Wat denn? Wo denn?“

„Na, so ’rümm um’t Huus.“

„Nei, Mutter Jeschke.“

„Un ook nich unnen in’n Keller? Hest’ noch nix siehn o’r hürt?“

„Nei, Mutter Jeschke. Man blot …“

„Un grappscht ook nich?“

Der Junge war ganz blaß geworden.

„Joa, Mutter Jeschke, ’mal wihr mi so. Mal wihr mi so, as hüll mi wat an de Hacken. Joa, ick glöw, et grappscht.“

Die Jeschke sah ihren Zweck erreicht und lenkte deßhalb geschickt wieder ein. „Ede, Du bist ne Bangbüchs. Jck hebb’ joa man spoaßt. Js joa man all dumm Tüg.“

Und damit ging sie wieder auf ihr Haus zu und ließ den Jungen stehn.



Drei Tage danach war Hradscheck wieder aus Berlin zurück, in vergnüglicherer Stimmung als seit lange, denn er hatte nicht nur alles Geschäftliche glücklich erledigt, sondern auch die Bekanntschaft einer jungen Dame gemacht, die sich seiner Person wie seinen Heirathsplänen geneigt gezeigt hatte. Diese junge Dame war die Tochter aus einem Destillationsgeschäft, groß und stark, mit etwas hervortretenden, immer lachenden Augen, eine Vollblut-Berlinerin. „Forsch und fidel“ war ihre Losung, der auch ihre Lieblingsredensart „Ach, das ist ja zum Todtlachen“ entsprach. Aber dies war nur so für alle Tage. Wurd’ ihr dann wohliger ums Herz, so wurden es auch ihre Redewendungen, und sie sagte dann: „J da muß ja eine alte Wand wackeln,“ oder: „Das ist ja gleich, um einen Puckel zu kriegen.“ Jhr Schönstes waren Landpartieen einschließlich gesellschaftlicher Spiele wie Zeck oder Plumpsack, dazu saure Milch mit Schwarzbrot und Heimfahrt mit Stocklaternen und Gesang: „Ein freies Leben führen wir“, „Frisch auf, Kameraden“, „Lützow’s wilde verwegene Jagd“ und „Steh’ ich in finstrer Mitternacht“. Jn Folge welcher ausgesprochenen Vorliebe sie sich in den Kopf gesetzt hatte, nur aufs Land hinaus heirathen zu wollen. Und darüber war sie 30 Jahr alt geworden, alles bloß aus Eigensinn und Widerspenstigkeit. Jhren Namen „Editha“ aber hatte die Mutter in Dittchen abgekürzt.

So die Bekanntschaft, die Hradscheck während seines letzten Berliner Aufenthaltes gemacht hatte. Mit Editha selbst war er so gut wie einig und nur die Eltern hatten noch kleine Bedenken. Aber was bedeutete das? Der Vater war ohnehin daran gewöhnt nicht gefragt zu werden, und die Mutter, die nur wegen der neun Meilen Entfernung noch einigermaßen schwankte, wäre keine richtige Mutter gewesen, wenn sie nicht schließlich auch hätte Schwiegermutter sein wollen.

Also Hradscheck war in bester Stimmung, und ein Ausdruck derselben war es, daß er diesmal mit einem besonders großen Vorrath von Berliner Witzlitteratur nach Tschechin zurückkehrte, darunter eine komische Romanze, die letzten Sonntag erst vom Hofschauspieler Rüthling im Koncertsaale des königlichen Schauspielhauses vorgetragen worden war und zwar in einer Matinée, der, neben der ganzen haute volée von Berlin, auch Hradscheck und Editha beigewohnt hatten. Diese Romanze behandelte die berühmte Geschichte vom Eckensteher, der einen armen Apothekerlehrling, „weil das Räucherkerzchen partout nicht stehn wolle“, Schlag Mitternacht aus dem Schlaf klingelte, welche Geschichte damals nicht bloß die ganze vornehme Welt, sondern besonders auch unsern auf alle Berliner Witze ganz wie versessenen Hradscheck derart hingenommen hatte, daß er die Zeit, sie seinem Tschechiner Convivium vorzulesen, kaum erwarten konnte. Nun aber war es so weit, und er feierte Triumphe, die fast noch größer waren, als er zu hoffen gewagt hatte. Kunicke brüllte vor Lachen und bot den dreifachen Preis, wenn ihm Hradscheck das Büchelchen ablassen wolle. „Das müss’ er seiner Frau vorlesen, wenn er nach Hause komme, diese Nacht noch; so was sei noch gar nicht dagewesen.“ Und dann sagte Schulze Woytasch: „Ja, die Berliner! Jch weiß nicht! Und wenn mir einer tausend Thaler gäbe, so was könnt’ ich nich machen. Es sind doch verflixte Kerls.“

Die „Romanze vom Eckensteher“ indeß, so glänzend ihr Vortrag abgelaufen war, war doch nur Vorspiel und Plänkelei gewesen, darin Hradscheck sein bestes Pulver noch nicht verschossen hatte. Sein Bestes, oder doch das, was er persönlich dafür hielt, kam erst nach und war die Geschichte von einem der politischen Polizei zugetheilten Gendarmen, der einen unter Verdacht des Hochverraths stehenden und in der Kurstraße wohnenden badischen Studenten Namens Haitzinger ausfindig machen sollte, was ihm auch gelang und einige Zeit danach zu der amtlichen Meldung führte, daß er den pp. Haitzinger, der übrigens Blümchen heiße, gefunden habe, trotzdem derselbe nicht in der Kurstraße, sondern auf dem Spittelmarkt wohnhaft und nicht badischer Student, sondern ein sächsischer Leineweber sei. „Und nun, Jhr Herren und Freunde,“ schloß Hradscheck seine Geschichte, „dieser ausbündig gescheite Gendarm, wie hieß er? Natürlich Geelhaar, nicht wahr? Aber nein, Jhr Herren, fehlgeschossen, er hieß bloß Müller JJ. Jch habe mich genau danach erkundigt, sonst hätt’ ich bis an mein Lebensende geschworen, daß er Geelhaar geheißen haben müsse.“

Kunicke schüttelte sich und wollte von keinem andern Namen als Geelhaar wissen, und als man sich endlich ausgetobt und ausgejubelt hatte (nur Woytasch, als Dorfobrigkeit, sah etwas mißbilligend drein), sagte Quaas: „Kinder, so was haben wir nicht

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Das hielt auch nie schwer, denn es war gerade die „Glaßbrenner- oder Brennglas-Zeit“ und wenn es solche Glaßbrenner-Geschichten nicht sein konnten, nun, so waren es Sammlungen alter und neuer Anekdoten, die damals in kleinen dürftigen Viergroschen-Büchelchen unter allerhand Namen und Titeln, so beispielsweise als „Brausepulver“, feilgeboten wurden. Ja diese Büchelchen fanden bei den Tschechinern einen ganz besondern Beifall, weil die darin erzählten Geschichten immer kurz waren und nie lange auf die Pointe warten ließen, und wenn das Gespräch mal stockte, so hatte Kunicke den Stammwitz: „Hradscheck, ein Brausepulver.“ So verging der Sommer. Es war Anfang Oktober, als Hradscheck wieder mal in Berlin war, diesmal auf mehrere Tage, während er sonst immer den dritten Tag schon wieder nach Hause kam. Ede, der mittlerweile das Geschäft versah, paßte gut auf den Dienst, und nur in der Stunde von 1 bis 2, wo sich kaum ein Mensch im Laden sehen ließ, gefiel er sich darin, den Herrn zu spielen und, ganz so wie Hradscheck zu thun pflegte, mit auf den Rücken gelegten Händen im Garten auf und ab zu gehen. Das that er auch heute wieder, zugleich aber rief er nach Jakob und trug ihm auf, und zwar in ziemlich befehlshaberischem Tone, daß er einen neuen Reifen um die Wassertonne legen solle. Dann sah er nach den Staarkästen am Birnbaum und zog einen Zweig zu sich herab, um noch eine der nachgereiften „Franzosenbirnen“ zu pflücken. Es war ein Prachtexemplar, in das er sofort einbiß. Als er aber den Zweig wieder los ließ, sah er, daß die Jeschke drüben am Zaune stand. „Dag, Ede.“ „Dag, Mutter Jeschke.“ „Na, schmeckt et?“ „J worümm nich? Js joa ’ne Malvasier.“ „Joa. Vördem wihr et ’ne Malvesier. Awers nu …“ „Nu is et ’ne ‚Franzosenbeer‘. Jck weet woll. Awers dat’s joa all een.“ „Joa, wer weet, Ede. Doa is nu so wat mang. Heste noch nix maarkt?“ Der Junge ließ erschreckt die Birne fallen, das alte Weib aber bückte sich danach und sagte: „Jck meen’ joa nich de Beer’. Jck meen sünnsten.“ „Wat denn? Wo denn?“ „Na, so ’rümm um’t Huus.“ „Nei, Mutter Jeschke.“ „Un ook nich unnen in’n Keller? Hest’ noch nix siehn o’r hürt?“ „Nei, Mutter Jeschke. Man blot …“ „Un grappscht ook nich?“ Der Junge war ganz blaß geworden. „Joa, Mutter Jeschke, ’mal wihr mi so. Mal wihr mi so, as hüll mi wat an de Hacken. Joa, ick glöw, et grappscht.“ Die Jeschke sah ihren Zweck erreicht und lenkte deßhalb geschickt wieder ein. „Ede, Du bist ne Bangbüchs. Jck hebb’ joa man spoaßt. Js joa man all dumm Tüg.“ Und damit ging sie wieder auf ihr Haus zu und ließ den Jungen stehn. Drei Tage danach war Hradscheck wieder aus Berlin zurück, in vergnüglicherer Stimmung als seit lange, denn er hatte nicht nur alles Geschäftliche glücklich erledigt, sondern auch die Bekanntschaft einer jungen Dame gemacht, die sich seiner Person wie seinen Heirathsplänen geneigt gezeigt hatte. Diese junge Dame war die Tochter aus einem Destillationsgeschäft, groß und stark, mit etwas hervortretenden, immer lachenden Augen, eine Vollblut-Berlinerin. „Forsch und fidel“ war ihre Losung, der auch ihre Lieblingsredensart „Ach, das ist ja zum Todtlachen“ entsprach. Aber dies war nur so für alle Tage. Wurd’ ihr dann wohliger ums Herz, so wurden es auch ihre Redewendungen, und sie sagte dann: „J da muß ja eine alte Wand wackeln,“ oder: „Das ist ja gleich, um einen Puckel zu kriegen.“ Jhr Schönstes waren Landpartieen einschließlich gesellschaftlicher Spiele wie Zeck oder Plumpsack, dazu saure Milch mit Schwarzbrot und Heimfahrt mit Stocklaternen und Gesang: „Ein freies Leben führen wir“, „Frisch auf, Kameraden“, „Lützow’s wilde verwegene Jagd“ und „Steh’ ich in finstrer Mitternacht“. Jn Folge welcher ausgesprochenen Vorliebe sie sich in den Kopf gesetzt hatte, nur aufs Land hinaus heirathen zu wollen. Und darüber war sie 30 Jahr alt geworden, alles bloß aus Eigensinn und Widerspenstigkeit. Jhren Namen „Editha“ aber hatte die Mutter in Dittchen abgekürzt. So die Bekanntschaft, die Hradscheck während seines letzten Berliner Aufenthaltes gemacht hatte. Mit Editha selbst war er so gut wie einig und nur die Eltern hatten noch kleine Bedenken. Aber was bedeutete das? Der Vater war ohnehin daran gewöhnt nicht gefragt zu werden, und die Mutter, die nur wegen der neun Meilen Entfernung noch einigermaßen schwankte, wäre keine richtige Mutter gewesen, wenn sie nicht schließlich auch hätte Schwiegermutter sein wollen. Also Hradscheck war in bester Stimmung, und ein Ausdruck derselben war es, daß er diesmal mit einem besonders großen Vorrath von Berliner Witzlitteratur nach Tschechin zurückkehrte, darunter eine komische Romanze, die letzten Sonntag erst vom Hofschauspieler Rüthling im Koncertsaale des königlichen Schauspielhauses vorgetragen worden war und zwar in einer Matinée, der, neben der ganzen haute volée von Berlin, auch Hradscheck und Editha beigewohnt hatten. Diese Romanze behandelte die berühmte Geschichte vom Eckensteher, der einen armen Apothekerlehrling, „weil das Räucherkerzchen partout nicht stehn wolle“, Schlag Mitternacht aus dem Schlaf klingelte, welche Geschichte damals nicht bloß die ganze vornehme Welt, sondern besonders auch unsern auf alle Berliner Witze ganz wie versessenen Hradscheck derart hingenommen hatte, daß er die Zeit, sie seinem Tschechiner Convivium vorzulesen, kaum erwarten konnte. Nun aber war es so weit, und er feierte Triumphe, die fast noch größer waren, als er zu hoffen gewagt hatte. Kunicke brüllte vor Lachen und bot den dreifachen Preis, wenn ihm Hradscheck das Büchelchen ablassen wolle. „Das müss’ er seiner Frau vorlesen, wenn er nach Hause komme, diese Nacht noch; so was sei noch gar nicht dagewesen.“ Und dann sagte Schulze Woytasch: „Ja, die Berliner! Jch weiß nicht! Und wenn mir einer tausend Thaler gäbe, so was könnt’ ich nich machen. Es sind doch verflixte Kerls.“ Die „Romanze vom Eckensteher“ indeß, so glänzend ihr Vortrag abgelaufen war, war doch nur Vorspiel und Plänkelei gewesen, darin Hradscheck sein bestes Pulver noch nicht verschossen hatte. Sein Bestes, oder doch das, was er persönlich dafür hielt, kam erst nach und war die Geschichte von einem der politischen Polizei zugetheilten Gendarmen, der einen unter Verdacht des Hochverraths stehenden und in der Kurstraße wohnenden badischen Studenten Namens Haitzinger ausfindig machen sollte, was ihm auch gelang und einige Zeit danach zu der amtlichen Meldung führte, daß er den pp. Haitzinger, der übrigens Blümchen heiße, gefunden habe, trotzdem derselbe nicht in der Kurstraße, sondern auf dem Spittelmarkt wohnhaft und nicht badischer Student, sondern ein sächsischer Leineweber sei. „Und nun, Jhr Herren und Freunde,“ schloß Hradscheck seine Geschichte, „dieser ausbündig gescheite Gendarm, wie hieß er? Natürlich Geelhaar, nicht wahr? Aber nein, Jhr Herren, fehlgeschossen, er hieß bloß Müller JJ. Jch habe mich genau danach erkundigt, sonst hätt’ ich bis an mein Lebensende geschworen, daß er Geelhaar geheißen haben müsse.“ Kunicke schüttelte sich und wollte von keinem andern Namen als Geelhaar wissen, und als man sich endlich ausgetobt und ausgejubelt hatte (nur Woytasch, als Dorfobrigkeit, sah etwas mißbilligend drein), sagte Quaas: „Kinder, so was haben wir nicht

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Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

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Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/33>, abgerufen am 25.04.2024.