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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Alles fort, was diesen Stätten Poesie und Leben lieh? Was
hat man denn dafür zu bieten? Diese Todtenkronen, zur
Erinnerung an Heimgegangene, waren namentlich dem auf's
Saubere und Ordentliche gestellten Sinn Friedrich Wilhelm's III.
nicht recht. In den Dorfkirchen, wo er Sonntags zum Gottes-
dienste erschien, duldete er sie nicht. Er gestattete aber Aus-
nahmen. Pastor Lehnert in Falkenrehde erzählt: Eine alte
Colonisten-Wittwe in meiner Gemeinde verlor ihren Enkel, den
sie zu sich genommen und erzogen hatte, und der ihr ein und
alles war. Sie ließ eine reich mit Bändern verzierte Todten-
krone anfertigen und begehrte, solche neben ihrem Sitze in der
Kirche aufhängen zu dürfen, "weil sie sonst keine Ruhe und
keine Andacht mehr habe." Pastor Lehnert gab nach. Der
König, bei seinem nächsten Kirchenbesuch (von Paretz aus),
bemerkte die Krone und äußerte sich mißfällig; als ihm aber
der Hergang mitgetheilt wurde, fügte er hinzu: "Will der
Frau ihre Ruhe und Andacht nicht nehmen
." --
Solche Fälle, wo "Ruhe und Andacht" eines treuen und liebe-
vollen Herzens an einem derartigen, noch dazu höchst malerischen
Gegenstande hängen, sind viel häufiger, als nüchterne Verord-
nungen Unbetheiligter voraussetzen mögen.

Die Alt-Geltower scheinen so empfunden zu haben und
haben ihren besten Schmuck zu bewahren gewußt. Die Giebel-
wand, an der sich Kanzel und Kanzeltreppe befinden, ist ganz
in Kronen und Kränze gekleidet (im Ganzen zählte ich sieben-
zig), und dazwischen hängen jene bekannten, schwarz und weißen
Tafeln, an deren Häkchen die Kriegsdenkmünzen aus der
Gemeinde ihre letzte Stätte finden. Die eine Tafel erzählte von
1813; auf der andern las ich Folgendes: "Aus diesem Kirch-
spiel starben im Befreiungskriege für ihre deutschen Brüder
in Schleswig-Holstein:

F. W. Kupfer, gef. vor Düppel am 17. März 1864;

Carl Wilh. Lüdeke, gestorben an seinen Wunden im
Lazareth zu Rinkenis am 22. März 1864.

Vergiß die treuen Todten nicht."

Alles fort, was dieſen Stätten Poeſie und Leben lieh? Was
hat man denn dafür zu bieten? Dieſe Todtenkronen, zur
Erinnerung an Heimgegangene, waren namentlich dem auf’s
Saubere und Ordentliche geſtellten Sinn Friedrich Wilhelm’s III.
nicht recht. In den Dorfkirchen, wo er Sonntags zum Gottes-
dienſte erſchien, duldete er ſie nicht. Er geſtattete aber Aus-
nahmen. Paſtor Lehnert in Falkenrehde erzählt: Eine alte
Coloniſten-Wittwe in meiner Gemeinde verlor ihren Enkel, den
ſie zu ſich genommen und erzogen hatte, und der ihr ein und
alles war. Sie ließ eine reich mit Bändern verzierte Todten-
krone anfertigen und begehrte, ſolche neben ihrem Sitze in der
Kirche aufhängen zu dürfen, „weil ſie ſonſt keine Ruhe und
keine Andacht mehr habe.“ Paſtor Lehnert gab nach. Der
König, bei ſeinem nächſten Kirchenbeſuch (von Paretz aus),
bemerkte die Krone und äußerte ſich mißfällig; als ihm aber
der Hergang mitgetheilt wurde, fügte er hinzu: „Will der
Frau ihre Ruhe und Andacht nicht nehmen
.“ —
Solche Fälle, wo „Ruhe und Andacht“ eines treuen und liebe-
vollen Herzens an einem derartigen, noch dazu höchſt maleriſchen
Gegenſtande hängen, ſind viel häufiger, als nüchterne Verord-
nungen Unbetheiligter vorausſetzen mögen.

Die Alt-Geltower ſcheinen ſo empfunden zu haben und
haben ihren beſten Schmuck zu bewahren gewußt. Die Giebel-
wand, an der ſich Kanzel und Kanzeltreppe befinden, iſt ganz
in Kronen und Kränze gekleidet (im Ganzen zählte ich ſieben-
zig), und dazwiſchen hängen jene bekannten, ſchwarz und weißen
Tafeln, an deren Häkchen die Kriegsdenkmünzen aus der
Gemeinde ihre letzte Stätte finden. Die eine Tafel erzählte von
1813; auf der andern las ich Folgendes: „Aus dieſem Kirch-
ſpiel ſtarben im Befreiungskriege für ihre deutſchen Brüder
in Schleswig-Holſtein:

F. W. Kupfer, gef. vor Düppel am 17. März 1864;

Carl Wilh. Lüdeke, geſtorben an ſeinen Wunden im
Lazareth zu Rinkenis am 22. März 1864.

Vergiß die treuen Todten nicht.“

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[199/0217] Alles fort, was dieſen Stätten Poeſie und Leben lieh? Was hat man denn dafür zu bieten? Dieſe Todtenkronen, zur Erinnerung an Heimgegangene, waren namentlich dem auf’s Saubere und Ordentliche geſtellten Sinn Friedrich Wilhelm’s III. nicht recht. In den Dorfkirchen, wo er Sonntags zum Gottes- dienſte erſchien, duldete er ſie nicht. Er geſtattete aber Aus- nahmen. Paſtor Lehnert in Falkenrehde erzählt: Eine alte Coloniſten-Wittwe in meiner Gemeinde verlor ihren Enkel, den ſie zu ſich genommen und erzogen hatte, und der ihr ein und alles war. Sie ließ eine reich mit Bändern verzierte Todten- krone anfertigen und begehrte, ſolche neben ihrem Sitze in der Kirche aufhängen zu dürfen, „weil ſie ſonſt keine Ruhe und keine Andacht mehr habe.“ Paſtor Lehnert gab nach. Der König, bei ſeinem nächſten Kirchenbeſuch (von Paretz aus), bemerkte die Krone und äußerte ſich mißfällig; als ihm aber der Hergang mitgetheilt wurde, fügte er hinzu: „Will der Frau ihre Ruhe und Andacht nicht nehmen.“ — Solche Fälle, wo „Ruhe und Andacht“ eines treuen und liebe- vollen Herzens an einem derartigen, noch dazu höchſt maleriſchen Gegenſtande hängen, ſind viel häufiger, als nüchterne Verord- nungen Unbetheiligter vorausſetzen mögen. Die Alt-Geltower ſcheinen ſo empfunden zu haben und haben ihren beſten Schmuck zu bewahren gewußt. Die Giebel- wand, an der ſich Kanzel und Kanzeltreppe befinden, iſt ganz in Kronen und Kränze gekleidet (im Ganzen zählte ich ſieben- zig), und dazwiſchen hängen jene bekannten, ſchwarz und weißen Tafeln, an deren Häkchen die Kriegsdenkmünzen aus der Gemeinde ihre letzte Stätte finden. Die eine Tafel erzählte von 1813; auf der andern las ich Folgendes: „Aus dieſem Kirch- ſpiel ſtarben im Befreiungskriege für ihre deutſchen Brüder in Schleswig-Holſtein: F. W. Kupfer, gef. vor Düppel am 17. März 1864; Carl Wilh. Lüdeke, geſtorben an ſeinen Wunden im Lazareth zu Rinkenis am 22. März 1864. Vergiß die treuen Todten nicht.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/217>, abgerufen am 29.04.2024.