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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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NB. Hier habe 3 rationes bekommen, da mir in dem ersten
Nacht-Quartier nur 2 gereichet worden.

Fürstenwalde 17. Februar. Morgens um 7 Uhr reisete von Werder
ab und kam um 11 Uhr in Fürstenwalde an, allwo ich mein Quartier
bey einer Kunst-Pfeiffer-Wittwe, die Hörnichin genanndt, bekam. Sie
hat 2 mannbare Töchter, die bey ihrer großen vorgeblichen und schein-
baren Dürfftigkeit der Galanterie ergeben zu sein mir vorkamen. Der
Herr gebe, daß ich mich irre. Auf dem Marsch stießen mir manche
kleine widrige Zufälle auf, welche mir Gelegenheit gaben, die Nothwen-
digkeit der Wachsamkeit auch dabey zu erkennen.

Nachmittags machte Visite beym Archidiacono Herrn Baumann.
Herr Baumann hat eine Lieberkühnia aus Berlin. Es gefiel mir
nicht übel im Hause bey ihnen, wie sie denn auch nebst einem vorge-
setzten Caffee auch das Abendessen mich bey ihnen einnehmen ließen.

Der Mann scheint ein gutes Gemüth zu haben. Sie ist ziemlich chole-
risch.
Er hat zuerst unter dem (ni fallor) Dewitzischen Regiment cavallerie
in Preußen gestanden, nachdem er 2 Jahr zuvor beym vorigen Feld-Probst
Gädicken im Hause gewesen. Hernach ist er Prediger zu Bernäuchen
unter der Bernauischen Inspection geworden. Darauf zu Charlottenburg
bey Berlin; von wo er auf Vorschlag des Feld-Probsts Carstedt nach
Fürstenwalde gekommen. Multum in discordiis versatus est et apud
Carolinaburgenses et ita esse dicitur apud Fürstenwaldenses.

Frankfurt. Am 18. ging ich nach Frankfurt, wo ich abends gegen
8 Uhr arrivirte. Ich fand daselbst beym Pastore der Unterkirche Herrn
Hitzwedel den Herrn Feldprobst nebst einem Fähnrich Glasenapschen
Regiments von Hart, welcher bekehret seyn soll. Man empfing mich mit
complaisance. Ich nahm mein quartier samt dem Feld-Probst bey einem
Kamm-Macher Herrn Wiesiger einem guten Freunde des Hrn. Hitzwedels.

d. 19. Weil es ein Sonntag war, so hörte 3 Predigten:
Vormittags in der Oberkirche einen alten Candidaten nahmens Hort-
leder, so zur Probe predigte zur Pfarre in Kunersdorff, einem Dorfe
so dem Magistrate in Frankfurt zugehörig. Eine so schlechte und magere
Predigt habe lange nicht gehöret. Denn es war der Vortrag so indis-
cret,
daß er nur lauter bekehrten Christen, deren er wol wenige vor
sich haben mogte, predigte.

Die ganze Predigt war ein ausgedörrtes Sceleton, dessen Theile
kaum aneinanderhingen. Er wollte das ganze Evangelium erklären,
vergaß aber die Hauptsache und blieb bei den magern Umständen des
Orts, der Zeit etc. ohne es durch porismata zu appliciren; begieng auch
das falsum, daß Christus nachher niemals mehr vom Teufel versucht
worden, da gleichwol einer der Evangelisten ausdrücklich meldet, daß
der Teufel nur NB. eine Zeitlang von ihm abgelassen. Um die Mit-

NB. Hier habe 3 rationes bekommen, da mir in dem erſten
Nacht-Quartier nur 2 gereichet worden.

Fürſtenwalde 17. Februar. Morgens um 7 Uhr reiſete von Werder
ab und kam um 11 Uhr in Fürſtenwalde an, allwo ich mein Quartier
bey einer Kunſt-Pfeiffer-Wittwe, die Hörnichin genanndt, bekam. Sie
hat 2 mannbare Töchter, die bey ihrer großen vorgeblichen und ſchein-
baren Dürfftigkeit der Galanterie ergeben zu ſein mir vorkamen. Der
Herr gebe, daß ich mich irre. Auf dem Marsch ſtießen mir manche
kleine widrige Zufälle auf, welche mir Gelegenheit gaben, die Nothwen-
digkeit der Wachſamkeit auch dabey zu erkennen.

Nachmittags machte Visite beym Archidiacono Herrn Baumann.
Herr Baumann hat eine Lieberkühnia aus Berlin. Es gefiel mir
nicht übel im Hauſe bey ihnen, wie ſie denn auch nebſt einem vorge-
ſetzten Caffee auch das Abendeſſen mich bey ihnen einnehmen ließen.

Der Mann ſcheint ein gutes Gemüth zu haben. Sie iſt ziemlich chole-
risch.
Er hat zuerſt unter dem (ni fallor) Dewitziſchen Regiment cavallerie
in Preußen geſtanden, nachdem er 2 Jahr zuvor beym vorigen Feld-Probſt
Gädicken im Hauſe geweſen. Hernach iſt er Prediger zu Bernäuchen
unter der Bernauiſchen Inspection geworden. Darauf zu Charlottenburg
bey Berlin; von wo er auf Vorſchlag des Feld-Probſts Carstedt nach
Fürſtenwalde gekommen. Multum in discordiis versatus est et apud
Carolinaburgenses et ita esse dicitur apud Fürstenwaldenses.

Frankfurt. Am 18. ging ich nach Frankfurt, wo ich abends gegen
8 Uhr arrivirte. Ich fand daſelbſt beym Pastore der Unterkirche Herrn
Hitzwedel den Herrn Feldprobſt nebſt einem Fähnrich Glaſenapſchen
Regiments von Hart, welcher bekehret ſeyn ſoll. Man empfing mich mit
complaisance. Ich nahm mein quartier ſamt dem Feld-Probſt bey einem
Kamm-Macher Herrn Wieſiger einem guten Freunde des Hrn. Hitzwedels.

d. 19. Weil es ein Sonntag war, ſo hörte 3 Predigten:
Vormittags in der Oberkirche einen alten Candidaten nahmens Hort-
leder, ſo zur Probe predigte zur Pfarre in Kunersdorff, einem Dorfe
ſo dem Magiſtrate in Frankfurt zugehörig. Eine ſo ſchlechte und magere
Predigt habe lange nicht gehöret. Denn es war der Vortrag ſo indis-
cret,
daß er nur lauter bekehrten Chriſten, deren er wol wenige vor
ſich haben mogte, predigte.

Die ganze Predigt war ein ausgedörrtes Sceleton, deſſen Theile
kaum aneinanderhingen. Er wollte das ganze Evangelium erklären,
vergaß aber die Hauptſache und blieb bei den magern Umſtänden des
Orts, der Zeit ꝛc. ohne es durch porismata zu appliciren; begieng auch
das falsum, daß Chriſtus nachher niemals mehr vom Teufel verſucht
worden, da gleichwol einer der Evangeliſten ausdrücklich meldet, daß
der Teufel nur NB. eine Zeitlang von ihm abgelaſſen. Um die Mit-

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[447/0465] NB. Hier habe 3 rationes bekommen, da mir in dem erſten Nacht-Quartier nur 2 gereichet worden. Fürſtenwalde 17. Februar. Morgens um 7 Uhr reiſete von Werder ab und kam um 11 Uhr in Fürſtenwalde an, allwo ich mein Quartier bey einer Kunſt-Pfeiffer-Wittwe, die Hörnichin genanndt, bekam. Sie hat 2 mannbare Töchter, die bey ihrer großen vorgeblichen und ſchein- baren Dürfftigkeit der Galanterie ergeben zu ſein mir vorkamen. Der Herr gebe, daß ich mich irre. Auf dem Marsch ſtießen mir manche kleine widrige Zufälle auf, welche mir Gelegenheit gaben, die Nothwen- digkeit der Wachſamkeit auch dabey zu erkennen. Nachmittags machte Visite beym Archidiacono Herrn Baumann. Herr Baumann hat eine Lieberkühnia aus Berlin. Es gefiel mir nicht übel im Hauſe bey ihnen, wie ſie denn auch nebſt einem vorge- ſetzten Caffee auch das Abendeſſen mich bey ihnen einnehmen ließen. Der Mann ſcheint ein gutes Gemüth zu haben. Sie iſt ziemlich chole- risch. Er hat zuerſt unter dem (ni fallor) Dewitziſchen Regiment cavallerie in Preußen geſtanden, nachdem er 2 Jahr zuvor beym vorigen Feld-Probſt Gädicken im Hauſe geweſen. Hernach iſt er Prediger zu Bernäuchen unter der Bernauiſchen Inspection geworden. Darauf zu Charlottenburg bey Berlin; von wo er auf Vorſchlag des Feld-Probſts Carstedt nach Fürſtenwalde gekommen. Multum in discordiis versatus est et apud Carolinaburgenses et ita esse dicitur apud Fürstenwaldenses. Frankfurt. Am 18. ging ich nach Frankfurt, wo ich abends gegen 8 Uhr arrivirte. Ich fand daſelbſt beym Pastore der Unterkirche Herrn Hitzwedel den Herrn Feldprobſt nebſt einem Fähnrich Glaſenapſchen Regiments von Hart, welcher bekehret ſeyn ſoll. Man empfing mich mit complaisance. Ich nahm mein quartier ſamt dem Feld-Probſt bey einem Kamm-Macher Herrn Wieſiger einem guten Freunde des Hrn. Hitzwedels. d. 19. Weil es ein Sonntag war, ſo hörte 3 Predigten: Vormittags in der Oberkirche einen alten Candidaten nahmens Hort- leder, ſo zur Probe predigte zur Pfarre in Kunersdorff, einem Dorfe ſo dem Magiſtrate in Frankfurt zugehörig. Eine ſo ſchlechte und magere Predigt habe lange nicht gehöret. Denn es war der Vortrag ſo indis- cret, daß er nur lauter bekehrten Chriſten, deren er wol wenige vor ſich haben mogte, predigte. Die ganze Predigt war ein ausgedörrtes Sceleton, deſſen Theile kaum aneinanderhingen. Er wollte das ganze Evangelium erklären, vergaß aber die Hauptſache und blieb bei den magern Umſtänden des Orts, der Zeit ꝛc. ohne es durch porismata zu appliciren; begieng auch das falsum, daß Chriſtus nachher niemals mehr vom Teufel verſucht worden, da gleichwol einer der Evangeliſten ausdrücklich meldet, daß der Teufel nur NB. eine Zeitlang von ihm abgelaſſen. Um die Mit-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/465>, abgerufen am 29.04.2024.