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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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So, wie vorstehend geschildert, waren die Wenden zur
Zeit der (endgültigen) deutschen Eroberung 1157 in dem Lande
zwischen Elbe und Oder.

Es bleibt uns noch die Beantwortung der Frage übrig:
was wurde aus den Wenden. Sie wurden keineswegs
mit Stumpf und Stiel ausgerottet, sie wurden auch nicht (wie
die Indianerstämme in Amerika) einfach zurückgedrängt bis zu
Gegenden, wo sie Stammesgenossen vorfanden, -- sie blieben
vielmehr alle oder doch sehr überwiegenden Theils im Lande und
haben in allen Provinzen jenseit der Elbe unzweifelhaft jene
Misch-Race hergestellt, die jetzt die preußischen Provinzen be-
wohnt.

Einzelne Historiker haben dies bestreiten wollen, aber wie
wir glauben mit Unrecht. Einmal würde eine solche consequent
durchgeführte Racen-Geschiedenheit gegen die historische Ueber-
lieferung aller andern Staaten, bei denen ähnliche Verhältnisse
obwalteten, sprechen, (Polen und Deutsche hassen sich bis diesen
Tag und heirathen sich doch), andererseits dürfte es, von allen
Analogien abgesehen, nicht schwer halten, in aberhundert Einzel-
fällen solche Mischung der beiden Racen nachzuweisen. Es ist
wahr, die Deutschen brachten den Stolz des Siegers mit, ein
Race-Gefühl, das, auf geraume Zeit hin, eine Schranke ge-
zogen haben mag; wir halten uns aber nichts destoweniger über-
zeugt, daß, noch ehe die Hohenzollern in's Land kamen, jeden-
falls aber noch vor Mitte des 15. Jahrhunderts diese Unter-
schiede so gut wie verwischt waren
. Sie mögen an ein-
zelnen Orten länger bestanden haben, es mag Ortschaften geben,
wo sich bis diesen Tag eine Exclusivität findet, die auf jene alte
Wenden-Abneigung zurückzuführen ist, im Großen und Ganzen
liegt die Verschmelzung aber weit zurück. Wir wollen dabei anderer-
seits gern zugeben, daß, wenn die Jahrhunderte seitdem in unge-
störtem Frieden verflossen und die Generationen in den Dörfern,
säend und erndtend, in einem ewigen Wechsel und doch zugleich
in einem ewigen Gleichmaaß sich gefolgt wären, diese Empfin-
dungen des Racen-Dünkels vielleicht dieselben geblieben wären.

So, wie vorſtehend geſchildert, waren die Wenden zur
Zeit der (endgültigen) deutſchen Eroberung 1157 in dem Lande
zwiſchen Elbe und Oder.

Es bleibt uns noch die Beantwortung der Frage übrig:
was wurde aus den Wenden. Sie wurden keineswegs
mit Stumpf und Stiel ausgerottet, ſie wurden auch nicht (wie
die Indianerſtämme in Amerika) einfach zurückgedrängt bis zu
Gegenden, wo ſie Stammesgenoſſen vorfanden, — ſie blieben
vielmehr alle oder doch ſehr überwiegenden Theils im Lande und
haben in allen Provinzen jenſeit der Elbe unzweifelhaft jene
Miſch-Race hergeſtellt, die jetzt die preußiſchen Provinzen be-
wohnt.

Einzelne Hiſtoriker haben dies beſtreiten wollen, aber wie
wir glauben mit Unrecht. Einmal würde eine ſolche conſequent
durchgeführte Racen-Geſchiedenheit gegen die hiſtoriſche Ueber-
lieferung aller andern Staaten, bei denen ähnliche Verhältniſſe
obwalteten, ſprechen, (Polen und Deutſche haſſen ſich bis dieſen
Tag und heirathen ſich doch), andererſeits dürfte es, von allen
Analogien abgeſehen, nicht ſchwer halten, in aberhundert Einzel-
fällen ſolche Miſchung der beiden Racen nachzuweiſen. Es iſt
wahr, die Deutſchen brachten den Stolz des Siegers mit, ein
Race-Gefühl, das, auf geraume Zeit hin, eine Schranke ge-
zogen haben mag; wir halten uns aber nichts deſtoweniger über-
zeugt, daß, noch ehe die Hohenzollern in’s Land kamen, jeden-
falls aber noch vor Mitte des 15. Jahrhunderts dieſe Unter-
ſchiede ſo gut wie verwiſcht waren
. Sie mögen an ein-
zelnen Orten länger beſtanden haben, es mag Ortſchaften geben,
wo ſich bis dieſen Tag eine Excluſivität findet, die auf jene alte
Wenden-Abneigung zurückzuführen iſt, im Großen und Ganzen
liegt die Verſchmelzung aber weit zurück. Wir wollen dabei anderer-
ſeits gern zugeben, daß, wenn die Jahrhunderte ſeitdem in unge-
ſtörtem Frieden verfloſſen und die Generationen in den Dörfern,
ſäend und erndtend, in einem ewigen Wechſel und doch zugleich
in einem ewigen Gleichmaaß ſich gefolgt wären, dieſe Empfin-
dungen des Racen-Dünkels vielleicht dieſelben geblieben wären.

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[31/0049] So, wie vorſtehend geſchildert, waren die Wenden zur Zeit der (endgültigen) deutſchen Eroberung 1157 in dem Lande zwiſchen Elbe und Oder. Es bleibt uns noch die Beantwortung der Frage übrig: was wurde aus den Wenden. Sie wurden keineswegs mit Stumpf und Stiel ausgerottet, ſie wurden auch nicht (wie die Indianerſtämme in Amerika) einfach zurückgedrängt bis zu Gegenden, wo ſie Stammesgenoſſen vorfanden, — ſie blieben vielmehr alle oder doch ſehr überwiegenden Theils im Lande und haben in allen Provinzen jenſeit der Elbe unzweifelhaft jene Miſch-Race hergeſtellt, die jetzt die preußiſchen Provinzen be- wohnt. Einzelne Hiſtoriker haben dies beſtreiten wollen, aber wie wir glauben mit Unrecht. Einmal würde eine ſolche conſequent durchgeführte Racen-Geſchiedenheit gegen die hiſtoriſche Ueber- lieferung aller andern Staaten, bei denen ähnliche Verhältniſſe obwalteten, ſprechen, (Polen und Deutſche haſſen ſich bis dieſen Tag und heirathen ſich doch), andererſeits dürfte es, von allen Analogien abgeſehen, nicht ſchwer halten, in aberhundert Einzel- fällen ſolche Miſchung der beiden Racen nachzuweiſen. Es iſt wahr, die Deutſchen brachten den Stolz des Siegers mit, ein Race-Gefühl, das, auf geraume Zeit hin, eine Schranke ge- zogen haben mag; wir halten uns aber nichts deſtoweniger über- zeugt, daß, noch ehe die Hohenzollern in’s Land kamen, jeden- falls aber noch vor Mitte des 15. Jahrhunderts dieſe Unter- ſchiede ſo gut wie verwiſcht waren. Sie mögen an ein- zelnen Orten länger beſtanden haben, es mag Ortſchaften geben, wo ſich bis dieſen Tag eine Excluſivität findet, die auf jene alte Wenden-Abneigung zurückzuführen iſt, im Großen und Ganzen liegt die Verſchmelzung aber weit zurück. Wir wollen dabei anderer- ſeits gern zugeben, daß, wenn die Jahrhunderte ſeitdem in unge- ſtörtem Frieden verfloſſen und die Generationen in den Dörfern, ſäend und erndtend, in einem ewigen Wechſel und doch zugleich in einem ewigen Gleichmaaß ſich gefolgt wären, dieſe Empfin- dungen des Racen-Dünkels vielleicht dieſelben geblieben wären.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/49>, abgerufen am 27.04.2024.