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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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mir das Liebste vom Ganzen ist. Jeder hat so seinen Geschmack.
Und wie ich nun den Gang entlang komme und das Gezwitscher
der anderen Vögel einen Augenblick schweigt, was höre ich da
plötzlich aus der Voliere heraus? Die leisen, langgezogenen
Töne meines Leather-head, einmal, zweimal, dreimal. Mir
war als ob ich einen alten Bekannten wiedersähe. Da saß er
und starrte mich lange an, wie wenn er gefühlt hätte: der hat
dich verstanden.

Alles schwieg. Der Erzähler pfiff die Melodie noch einmal.
Dann knipste der Förster mit den Fingern und sagte: nichts
für ungut, aber ich bin doch für eine richtige Brieselang-Drossel;
ihr Leather-head hat mich ganz melancholisch gemacht. Ich
bin für's Fidele.

Ich auch, ich auch, riefen die anderen. Der Lederkopf
war abvotirt.

Inzwischen begann sich Gewölk am Himmel zu sammeln.
Dann brach die Sonne wieder durch, aber die Schwüle wuchs.
"Haben Sie viel Gewitter im Brieselang?" fragte ich.

Oft nicht, aber wenn sie kommen, kommen sie gut. Im
vorigen Juli ging's hier eine Stunde toll her. Sehen Sie dort
die Brandstelle (er zeigte nach rechts) da stand vor Jahresfrist
noch das Remonte-Depot, 180 Pferde, alle schwarz.

Und es schlug ein?

Es schlug ein und es gab ein Wetter, wie ich's hier nicht
wieder haben möchte, und doch war es zugleich eine Stunde,
daß mir das Herz im Leibe lacht, wenn ich daran denke. Da
habe ich gesehen, was ein preußischer Futtermeister ist.

Ein Futtermeister?

Ja, solch Remonte-Depot, müssen Sie wissen, hat einen
Wachtmeister von altem Schrot und Korn, der regiert das Ganze;
er ist wie ein kleiner König. Und ich sage Ihnen, dieser Futter-
meister, ... nun, der verstand's. Das Remonte-Depot
hatte 8 Thüren. Als nun das Wetter über uns stand und die
ersten Blitze herunter fuhren, stellte er seine acht Knechte an die
acht Eingänge, sich selber aber mitten auf diesen Platz da.

Fontane, Wanderungen. III. 4

mir das Liebſte vom Ganzen iſt. Jeder hat ſo ſeinen Geſchmack.
Und wie ich nun den Gang entlang komme und das Gezwitſcher
der anderen Vögel einen Augenblick ſchweigt, was höre ich da
plötzlich aus der Volière heraus? Die leiſen, langgezogenen
Töne meines Leather-head, einmal, zweimal, dreimal. Mir
war als ob ich einen alten Bekannten wiederſähe. Da ſaß er
und ſtarrte mich lange an, wie wenn er gefühlt hätte: der hat
dich verſtanden.

Alles ſchwieg. Der Erzähler pfiff die Melodie noch einmal.
Dann knipſte der Förſter mit den Fingern und ſagte: nichts
für ungut, aber ich bin doch für eine richtige Brieſelang-Droſſel;
ihr Leather-head hat mich ganz melancholiſch gemacht. Ich
bin für’s Fidele.

Ich auch, ich auch, riefen die anderen. Der Lederkopf
war abvotirt.

Inzwiſchen begann ſich Gewölk am Himmel zu ſammeln.
Dann brach die Sonne wieder durch, aber die Schwüle wuchs.
„Haben Sie viel Gewitter im Brieſelang?“ fragte ich.

Oft nicht, aber wenn ſie kommen, kommen ſie gut. Im
vorigen Juli ging’s hier eine Stunde toll her. Sehen Sie dort
die Brandſtelle (er zeigte nach rechts) da ſtand vor Jahresfriſt
noch das Remonte-Depot, 180 Pferde, alle ſchwarz.

Und es ſchlug ein?

Es ſchlug ein und es gab ein Wetter, wie ich’s hier nicht
wieder haben möchte, und doch war es zugleich eine Stunde,
daß mir das Herz im Leibe lacht, wenn ich daran denke. Da
habe ich geſehen, was ein preußiſcher Futtermeiſter iſt.

Ein Futtermeiſter?

Ja, ſolch Remonte-Depot, müſſen Sie wiſſen, hat einen
Wachtmeiſter von altem Schrot und Korn, der regiert das Ganze;
er iſt wie ein kleiner König. Und ich ſage Ihnen, dieſer Futter-
meiſter, … nun, der verſtand’s. Das Remonte-Depot
hatte 8 Thüren. Als nun das Wetter über uns ſtand und die
erſten Blitze herunter fuhren, ſtellte er ſeine acht Knechte an die
acht Eingänge, ſich ſelber aber mitten auf dieſen Platz da.

Fontane, Wanderungen. III. 4
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[49/0067] mir das Liebſte vom Ganzen iſt. Jeder hat ſo ſeinen Geſchmack. Und wie ich nun den Gang entlang komme und das Gezwitſcher der anderen Vögel einen Augenblick ſchweigt, was höre ich da plötzlich aus der Volière heraus? Die leiſen, langgezogenen Töne meines Leather-head, einmal, zweimal, dreimal. Mir war als ob ich einen alten Bekannten wiederſähe. Da ſaß er und ſtarrte mich lange an, wie wenn er gefühlt hätte: der hat dich verſtanden. Alles ſchwieg. Der Erzähler pfiff die Melodie noch einmal. Dann knipſte der Förſter mit den Fingern und ſagte: nichts für ungut, aber ich bin doch für eine richtige Brieſelang-Droſſel; ihr Leather-head hat mich ganz melancholiſch gemacht. Ich bin für’s Fidele. Ich auch, ich auch, riefen die anderen. Der Lederkopf war abvotirt. Inzwiſchen begann ſich Gewölk am Himmel zu ſammeln. Dann brach die Sonne wieder durch, aber die Schwüle wuchs. „Haben Sie viel Gewitter im Brieſelang?“ fragte ich. Oft nicht, aber wenn ſie kommen, kommen ſie gut. Im vorigen Juli ging’s hier eine Stunde toll her. Sehen Sie dort die Brandſtelle (er zeigte nach rechts) da ſtand vor Jahresfriſt noch das Remonte-Depot, 180 Pferde, alle ſchwarz. Und es ſchlug ein? Es ſchlug ein und es gab ein Wetter, wie ich’s hier nicht wieder haben möchte, und doch war es zugleich eine Stunde, daß mir das Herz im Leibe lacht, wenn ich daran denke. Da habe ich geſehen, was ein preußiſcher Futtermeiſter iſt. Ein Futtermeiſter? Ja, ſolch Remonte-Depot, müſſen Sie wiſſen, hat einen Wachtmeiſter von altem Schrot und Korn, der regiert das Ganze; er iſt wie ein kleiner König. Und ich ſage Ihnen, dieſer Futter- meiſter, … nun, der verſtand’s. Das Remonte-Depot hatte 8 Thüren. Als nun das Wetter über uns ſtand und die erſten Blitze herunter fuhren, ſtellte er ſeine acht Knechte an die acht Eingänge, ſich ſelber aber mitten auf dieſen Platz da. Fontane, Wanderungen. III. 4

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/67>, abgerufen am 29.04.2024.