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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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mitgewirkt und ihr früheres Verhältniß zu dem
Grafen, statt ihr schädlich zu sein, gerad umgekehrt
den Ausschlag zum Guten hin gegeben und einfach
den Vollbeweis ihrer Unwiderstehlichkeit erbracht
hatte. Wenn sich dabei mit gutem Grunde von
Ueberschätzung sprechen ließ, so doch freilich nicht
von Seiten Dörr's in Person, für den die Natur,
so weit Aeußerlichkeiten in Betracht kamen, ganz
ungewöhnlich wenig gethan hatte. Mager, mittel¬
groß und mit fünf grauen Haarsträhnen über Kopf
und Stirn, wär' er eine vollkommene Trivial-Er¬
scheinung gewesen, wenn ihm nicht eine zwischen
Augenwinkel und linker Schläfe sitzende braune Pocke
'was Apartes gegeben hätte. Weshalb denn auch
seine Frau nicht mit Unrecht und in der ihr eigenen
ungenierten Weise zu sagen pflegte: "Schrumplig
is er man, aber von links her hat er so was Bors¬
dorfriges"

Damit war er gut getroffen und hätte nach
diesem Signalement überall erkannt werden müssen,
wenn er nicht tagaus tagein eine mit einem großen
Schirm ausgestattete Leinwandmütze getragen hätte,
die, tief ins Gesicht gezogen, sowohl das Alltägliche,
wie das Besondere seiner Physiognomie verbarg.

Und so, die Mütze sammt Schirm ins Gesicht
gezogen, stand er auch heute wieder, am Tage nach
dem zwischen Frau Dörr und Frau Nimptsch ge¬

mitgewirkt und ihr früheres Verhältniß zu dem
Grafen, ſtatt ihr ſchädlich zu ſein, gerad umgekehrt
den Ausſchlag zum Guten hin gegeben und einfach
den Vollbeweis ihrer Unwiderſtehlichkeit erbracht
hatte. Wenn ſich dabei mit gutem Grunde von
Ueberſchätzung ſprechen ließ, ſo doch freilich nicht
von Seiten Dörr's in Perſon, für den die Natur,
ſo weit Aeußerlichkeiten in Betracht kamen, ganz
ungewöhnlich wenig gethan hatte. Mager, mittel¬
groß und mit fünf grauen Haarſträhnen über Kopf
und Stirn, wär' er eine vollkommene Trivial-Er¬
ſcheinung geweſen, wenn ihm nicht eine zwiſchen
Augenwinkel und linker Schläfe ſitzende braune Pocke
'was Apartes gegeben hätte. Weshalb denn auch
ſeine Frau nicht mit Unrecht und in der ihr eigenen
ungenierten Weiſe zu ſagen pflegte: „Schrumplig
is er man, aber von links her hat er ſo was Bors¬
dorfriges“

Damit war er gut getroffen und hätte nach
dieſem Signalement überall erkannt werden müſſen,
wenn er nicht tagaus tagein eine mit einem großen
Schirm ausgeſtattete Leinwandmütze getragen hätte,
die, tief ins Geſicht gezogen, ſowohl das Alltägliche,
wie das Beſondere ſeiner Phyſiognomie verbarg.

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gezogen, ſtand er auch heute wieder, am Tage nach
dem zwiſchen Frau Dörr und Frau Nimptſch ge¬

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[11/0021] mitgewirkt und ihr früheres Verhältniß zu dem Grafen, ſtatt ihr ſchädlich zu ſein, gerad umgekehrt den Ausſchlag zum Guten hin gegeben und einfach den Vollbeweis ihrer Unwiderſtehlichkeit erbracht hatte. Wenn ſich dabei mit gutem Grunde von Ueberſchätzung ſprechen ließ, ſo doch freilich nicht von Seiten Dörr's in Perſon, für den die Natur, ſo weit Aeußerlichkeiten in Betracht kamen, ganz ungewöhnlich wenig gethan hatte. Mager, mittel¬ groß und mit fünf grauen Haarſträhnen über Kopf und Stirn, wär' er eine vollkommene Trivial-Er¬ ſcheinung geweſen, wenn ihm nicht eine zwiſchen Augenwinkel und linker Schläfe ſitzende braune Pocke 'was Apartes gegeben hätte. Weshalb denn auch ſeine Frau nicht mit Unrecht und in der ihr eigenen ungenierten Weiſe zu ſagen pflegte: „Schrumplig is er man, aber von links her hat er ſo was Bors¬ dorfriges“ Damit war er gut getroffen und hätte nach dieſem Signalement überall erkannt werden müſſen, wenn er nicht tagaus tagein eine mit einem großen Schirm ausgeſtattete Leinwandmütze getragen hätte, die, tief ins Geſicht gezogen, ſowohl das Alltägliche, wie das Beſondere ſeiner Phyſiognomie verbarg. Und ſo, die Mütze ſammt Schirm ins Geſicht gezogen, ſtand er auch heute wieder, am Tage nach dem zwiſchen Frau Dörr und Frau Nimptſch ge¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/21>, abgerufen am 25.04.2024.