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Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

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Prophezeihung traf nicht völlig ein; die Stuarts regierten noch 150 Jahre und erst abermals 100 Jahre später erlosch das Geschlecht.

Wir verließen Edinburg mit dem ersten Zuge und waren etwa gegen 9 an Ort und Stelle. Die Morgennebel zogen noch in grauen Massen durch's Thal, aber sie sahen aus wie eine Armee auf dem Rückzug, kopfhängerisch, die Sonne mußte über kurz oder lang durchbrechen und der Thau der überall an den Blättern hing verhieß einen klaren Tag. Der Bahnhof liegt am Ostende des Städtchens. Beim Aussteigen, wenn man nicht eine der Eisenbahn-Böschungen erklimmt, sieht man nichts von dem an der Westseite der Stadt gelegenen Palaste, und der Anblick der sich einem unmittelbar bietet, ist so schlicht und anspruchslos wie möglich. Eine dem Bahnhof gegenüber gelegene Sägemühle, nach drei Seiten hin von Bäumen eingeschlossen und nur auf der uns zugekehrten Seite frei und offen, wie ein Bild in einem Rahmen daliegend, unterbricht mit ihren immer gleichen Takten die rings herrschende Stille, und die im Vordergrunde in voller Blüthe stehenden Malven, fügen noch den Reiz der Farbe zu allem Uebrigen und steigern den Eindruck jenes ländlichen Friedens, der dem müde gewordenen Städter so wohl thut, wo immer er ihm begegnen mag.

Vom Bahnhof aus biegt man rechts in die Stadt ein, die eigentlich nur aus einer einzigen Straße besteht. Weder die einzelnen Häuser noch die Lage des Ganzen

Prophezeihung traf nicht völlig ein; die Stuarts regierten noch 150 Jahre und erst abermals 100 Jahre später erlosch das Geschlecht.

Wir verließen Edinburg mit dem ersten Zuge und waren etwa gegen 9 an Ort und Stelle. Die Morgennebel zogen noch in grauen Massen durch’s Thal, aber sie sahen aus wie eine Armee auf dem Rückzug, kopfhängerisch, die Sonne mußte über kurz oder lang durchbrechen und der Thau der überall an den Blättern hing verhieß einen klaren Tag. Der Bahnhof liegt am Ostende des Städtchens. Beim Aussteigen, wenn man nicht eine der Eisenbahn-Böschungen erklimmt, sieht man nichts von dem an der Westseite der Stadt gelegenen Palaste, und der Anblick der sich einem unmittelbar bietet, ist so schlicht und anspruchslos wie möglich. Eine dem Bahnhof gegenüber gelegene Sägemühle, nach drei Seiten hin von Bäumen eingeschlossen und nur auf der uns zugekehrten Seite frei und offen, wie ein Bild in einem Rahmen daliegend, unterbricht mit ihren immer gleichen Takten die rings herrschende Stille, und die im Vordergrunde in voller Blüthe stehenden Malven, fügen noch den Reiz der Farbe zu allem Uebrigen und steigern den Eindruck jenes ländlichen Friedens, der dem müde gewordenen Städter so wohl thut, wo immer er ihm begegnen mag.

Vom Bahnhof aus biegt man rechts in die Stadt ein, die eigentlich nur aus einer einzigen Straße besteht. Weder die einzelnen Häuser noch die Lage des Ganzen

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[122/0136] Prophezeihung traf nicht völlig ein; die Stuarts regierten noch 150 Jahre und erst abermals 100 Jahre später erlosch das Geschlecht. Wir verließen Edinburg mit dem ersten Zuge und waren etwa gegen 9 an Ort und Stelle. Die Morgennebel zogen noch in grauen Massen durch’s Thal, aber sie sahen aus wie eine Armee auf dem Rückzug, kopfhängerisch, die Sonne mußte über kurz oder lang durchbrechen und der Thau der überall an den Blättern hing verhieß einen klaren Tag. Der Bahnhof liegt am Ostende des Städtchens. Beim Aussteigen, wenn man nicht eine der Eisenbahn-Böschungen erklimmt, sieht man nichts von dem an der Westseite der Stadt gelegenen Palaste, und der Anblick der sich einem unmittelbar bietet, ist so schlicht und anspruchslos wie möglich. Eine dem Bahnhof gegenüber gelegene Sägemühle, nach drei Seiten hin von Bäumen eingeschlossen und nur auf der uns zugekehrten Seite frei und offen, wie ein Bild in einem Rahmen daliegend, unterbricht mit ihren immer gleichen Takten die rings herrschende Stille, und die im Vordergrunde in voller Blüthe stehenden Malven, fügen noch den Reiz der Farbe zu allem Uebrigen und steigern den Eindruck jenes ländlichen Friedens, der dem müde gewordenen Städter so wohl thut, wo immer er ihm begegnen mag. Vom Bahnhof aus biegt man rechts in die Stadt ein, die eigentlich nur aus einer einzigen Straße besteht. Weder die einzelnen Häuser noch die Lage des Ganzen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
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  • Silbentrennung: aufgelöst;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/136>, abgerufen am 25.04.2024.