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Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

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den Abhängen malerischer Hügel, die hier zu beiden Seiten den Fluß einfassen. Das Tweed-Thal gilt an dieser Stelle für außerordentlich fruchtbar, und um so mehr muß es überraschen, daß das Wort Melrose nicht "Honigrose" (wie man Angesichts so üppiger Landschaft glauben sollte), sondern vielmehr "Kahlenberg" bedeutet. Die alte Schreibart war nämlich "Mullroß", ein Gälisches Wort, das etwa "unfruchtbares Vorgebirge" meint und sich auf der Insel Mull in richtiger Form erhalten hat, wo die südliche Felsenöde der Insel den Namen "Roß of Mull" oder Mullroß führt. Vielleicht daß der alte Theil der Stadt auf einer eingeschobenen Sandscholle errichtet wurde.

Das Städtchen selbst ist im Uebrigen interesselos, und man passirt es ohne Verzug, um erst hinter demselben, an dem Kirchhofsthore Halt zu machen, durch dessen Gitterstäbe man bereits die Abtei erblickt. Melrose-Abbey ward zwischen 1136 und 1146 vom König David I. gegründet, also ungefähr um dieselbe Zeit, wo die Abtei von Holyrood errichtet wurde. Melrose war ein Cisterzienser-Kloster und größer, reicher, schöner als irgend eine andere Abtei im Lande. Drei große Feinde indeß haben an der Zerstörung dieses Baudenkmals gearbeitet: der Krieg, das Puritanerthum und der Vandalismus der letzten Jahrhunderte. Melrose-Abbey wurde zu einem Steinbruch, dessen Wände und Pfeiler man zerschlug, um nachbarliche Stallgebäude aufzuführen. Aber

den Abhängen malerischer Hügel, die hier zu beiden Seiten den Fluß einfassen. Das Tweed-Thal gilt an dieser Stelle für außerordentlich fruchtbar, und um so mehr muß es überraschen, daß das Wort Melrose nicht „Honigrose“ (wie man Angesichts so üppiger Landschaft glauben sollte), sondern vielmehr „Kahlenberg“ bedeutet. Die alte Schreibart war nämlich „Mullroß“, ein Gälisches Wort, das etwa „unfruchtbares Vorgebirge“ meint und sich auf der Insel Mull in richtiger Form erhalten hat, wo die südliche Felsenöde der Insel den Namen „Roß of Mull“ oder Mullroß führt. Vielleicht daß der alte Theil der Stadt auf einer eingeschobenen Sandscholle errichtet wurde.

Das Städtchen selbst ist im Uebrigen interesselos, und man passirt es ohne Verzug, um erst hinter demselben, an dem Kirchhofsthore Halt zu machen, durch dessen Gitterstäbe man bereits die Abtei erblickt. Melrose-Abbey ward zwischen 1136 und 1146 vom König David I. gegründet, also ungefähr um dieselbe Zeit, wo die Abtei von Holyrood errichtet wurde. Melrose war ein Cisterzienser-Kloster und größer, reicher, schöner als irgend eine andere Abtei im Lande. Drei große Feinde indeß haben an der Zerstörung dieses Baudenkmals gearbeitet: der Krieg, das Puritanerthum und der Vandalismus der letzten Jahrhunderte. Melrose-Abbey wurde zu einem Steinbruch, dessen Wände und Pfeiler man zerschlug, um nachbarliche Stallgebäude aufzuführen. Aber

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[318/0335] den Abhängen malerischer Hügel, die hier zu beiden Seiten den Fluß einfassen. Das Tweed-Thal gilt an dieser Stelle für außerordentlich fruchtbar, und um so mehr muß es überraschen, daß das Wort Melrose nicht „Honigrose“ (wie man Angesichts so üppiger Landschaft glauben sollte), sondern vielmehr „Kahlenberg“ bedeutet. Die alte Schreibart war nämlich „Mullroß“, ein Gälisches Wort, das etwa „unfruchtbares Vorgebirge“ meint und sich auf der Insel Mull in richtiger Form erhalten hat, wo die südliche Felsenöde der Insel den Namen „Roß of Mull“ oder Mullroß führt. Vielleicht daß der alte Theil der Stadt auf einer eingeschobenen Sandscholle errichtet wurde. Das Städtchen selbst ist im Uebrigen interesselos, und man passirt es ohne Verzug, um erst hinter demselben, an dem Kirchhofsthore Halt zu machen, durch dessen Gitterstäbe man bereits die Abtei erblickt. Melrose-Abbey ward zwischen 1136 und 1146 vom König David I. gegründet, also ungefähr um dieselbe Zeit, wo die Abtei von Holyrood errichtet wurde. Melrose war ein Cisterzienser-Kloster und größer, reicher, schöner als irgend eine andere Abtei im Lande. Drei große Feinde indeß haben an der Zerstörung dieses Baudenkmals gearbeitet: der Krieg, das Puritanerthum und der Vandalismus der letzten Jahrhunderte. Melrose-Abbey wurde zu einem Steinbruch, dessen Wände und Pfeiler man zerschlug, um nachbarliche Stallgebäude aufzuführen. Aber

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/335>, abgerufen am 29.03.2024.