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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Ansturm von Karrikaturen, und in Angst gesetzt durch
einen Schatten, eine Erbsenblase, greift er zu dem alten
Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre.

Da haben Sie das Wesen der falschen Ehre.
Sie macht uns abhängig von dem Schwankendsten
und Willkürlichsten, was es giebt, von dem auf Trieb¬
sand aufgebauten Urteile der Gesellschaft, und ver¬
anlaßt uns, die heiligsten Gebote, die schönsten und
natürlichsten Regungen eben diesem Gesellschaftsgötzen
zum Opfer zu bringen. Und diesem Kultus einer
falschen Ehre, die nichts ist als Eitelkeit und Ver¬
schrobenheit, ist denn auch Schach erlegen, und Größeres
als er wird folgen. Erinnern Sie sich dieser Worte.
Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand
gesteckt, um nicht zu hören und nicht zu sehen. Aber
diese Straußenvorsicht hat noch nie gerettet. Als es
mit der Mingdynastie zur Neige ging und die sieg¬
reichen Mandschuheere schon in die Palastgärten von
Peking eingedrungen waren, erschienen immer noch
Boten und Abgesandte, die dem Kaiser von Siegen
und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ,den Ton'
der guten Gesellschaft und des Hofes war, von Nieder¬
lagen zu sprechen. O, dieser gute Ton! Eine Stunde
später war ein Reich zertrümmert und ein Thron
gestürzt. Und warum? weil alles Geschraubte zur
Lüge führt und alle Lüge zum Tod.

Entsinnen Sie sich des Abends in Frau von

Anſturm von Karrikaturen, und in Angſt geſetzt durch
einen Schatten, eine Erbſenblaſe, greift er zu dem alten
Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre.

Da haben Sie das Weſen der falſchen Ehre.
Sie macht uns abhängig von dem Schwankendſten
und Willkürlichſten, was es giebt, von dem auf Trieb¬
ſand aufgebauten Urteile der Geſellſchaft, und ver¬
anlaßt uns, die heiligſten Gebote, die ſchönſten und
natürlichſten Regungen eben dieſem Geſellſchaftsgötzen
zum Opfer zu bringen. Und dieſem Kultus einer
falſchen Ehre, die nichts iſt als Eitelkeit und Ver¬
ſchrobenheit, iſt denn auch Schach erlegen, und Größeres
als er wird folgen. Erinnern Sie ſich dieſer Worte.
Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand
geſteckt, um nicht zu hören und nicht zu ſehen. Aber
dieſe Straußenvorſicht hat noch nie gerettet. Als es
mit der Mingdynaſtie zur Neige ging und die ſieg¬
reichen Mandſchuheere ſchon in die Palaſtgärten von
Peking eingedrungen waren, erſchienen immer noch
Boten und Abgeſandte, die dem Kaiſer von Siegen
und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ‚den Ton‘
der guten Geſellſchaft und des Hofes war, von Nieder¬
lagen zu ſprechen. O, dieſer gute Ton! Eine Stunde
ſpäter war ein Reich zertrümmert und ein Thron
geſtürzt. Und warum? weil alles Geſchraubte zur
Lüge führt und alle Lüge zum Tod.

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[222/0234] Anſturm von Karrikaturen, und in Angſt geſetzt durch einen Schatten, eine Erbſenblaſe, greift er zu dem alten Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre. Da haben Sie das Weſen der falſchen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem Schwankendſten und Willkürlichſten, was es giebt, von dem auf Trieb¬ ſand aufgebauten Urteile der Geſellſchaft, und ver¬ anlaßt uns, die heiligſten Gebote, die ſchönſten und natürlichſten Regungen eben dieſem Geſellſchaftsgötzen zum Opfer zu bringen. Und dieſem Kultus einer falſchen Ehre, die nichts iſt als Eitelkeit und Ver¬ ſchrobenheit, iſt denn auch Schach erlegen, und Größeres als er wird folgen. Erinnern Sie ſich dieſer Worte. Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand geſteckt, um nicht zu hören und nicht zu ſehen. Aber dieſe Straußenvorſicht hat noch nie gerettet. Als es mit der Mingdynaſtie zur Neige ging und die ſieg¬ reichen Mandſchuheere ſchon in die Palaſtgärten von Peking eingedrungen waren, erſchienen immer noch Boten und Abgeſandte, die dem Kaiſer von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ‚den Ton‘ der guten Geſellſchaft und des Hofes war, von Nieder¬ lagen zu ſprechen. O, dieſer gute Ton! Eine Stunde ſpäter war ein Reich zertrümmert und ein Thron geſtürzt. Und warum? weil alles Geſchraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod. Entſinnen Sie ſich des Abends in Frau von

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/234>, abgerufen am 24.04.2024.