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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Stall oder einer Scheune geboren zu sein," sagte
Schach spitz.

"Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein sehr
verehrter Herr v. Schach, auch auf diesem Gebiete
widersprechen. Der Unterschied, den Sie bezweifeln,
ist wenigstens nach meinen Erfahrungen thatsächlich
vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen
gestatten wollen, zu Nicht-Gunsten von Serenissimus.
In der Welt der kleinen Leute steht das Urteil an
und für sich nicht höher, aber die verlegene Bescheiden¬
heit, darin sichs kleidet und das stotternde Schlechte-
Gewissen, womit es zu Tage tritt, haben allemal
etwas Versöhnendes. Und nun spricht der Fürst!
Er ist der Gesetzgeber seines Landes in all und jedem,
in Großem und Kleinem, also natürlich auch in Ästhe¬
ticis. Wer über Leben und Tod entscheidet, sollte
der nicht auch über ein Gedichtchen entscheiden können?
Ah, bah! Er mag sprechen was er will, es sind
immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe solche
zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören, und
weiß seitdem was es heißt: regarder dans le Neant."

"Und doch stimm' ich der Mama bei," bemerkte
Victoire, der daran lag das Gespräch auf seinen An¬
fang, auf das Stück und seinen Dichter also zurückzuführen.
"Es wäre mir wirklich eine Freude gewesen, den
,tagesberühmten Herrn', wie Mama ihn einschränkend
genannt hat, kennen zu lernen. Sie vergessen, Herr

Stall oder einer Scheune geboren zu ſein,“ ſagte
Schach ſpitz.

„Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein ſehr
verehrter Herr v. Schach, auch auf dieſem Gebiete
widerſprechen. Der Unterſchied, den Sie bezweifeln,
iſt wenigſtens nach meinen Erfahrungen thatſächlich
vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen
geſtatten wollen, zu Nicht-Gunſten von Sereniſſimus.
In der Welt der kleinen Leute ſteht das Urteil an
und für ſich nicht höher, aber die verlegene Beſcheiden¬
heit, darin ſichs kleidet und das ſtotternde Schlechte-
Gewiſſen, womit es zu Tage tritt, haben allemal
etwas Verſöhnendes. Und nun ſpricht der Fürſt!
Er iſt der Geſetzgeber ſeines Landes in all und jedem,
in Großem und Kleinem, alſo natürlich auch in Äſthe¬
ticis. Wer über Leben und Tod entſcheidet, ſollte
der nicht auch über ein Gedichtchen entſcheiden können?
Ah, bah! Er mag ſprechen was er will, es ſind
immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe ſolche
zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören, und
weiß ſeitdem was es heißt: regarder dans le Néant.“

„Und doch ſtimm' ich der Mama bei,“ bemerkte
Victoire, der daran lag das Geſpräch auf ſeinen An¬
fang, auf das Stück und ſeinen Dichter alſo zurückzuführen.
„Es wäre mir wirklich eine Freude geweſen, den
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[14/0026] Stall oder einer Scheune geboren zu ſein,“ ſagte Schach ſpitz. „Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein ſehr verehrter Herr v. Schach, auch auf dieſem Gebiete widerſprechen. Der Unterſchied, den Sie bezweifeln, iſt wenigſtens nach meinen Erfahrungen thatſächlich vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen geſtatten wollen, zu Nicht-Gunſten von Sereniſſimus. In der Welt der kleinen Leute ſteht das Urteil an und für ſich nicht höher, aber die verlegene Beſcheiden¬ heit, darin ſichs kleidet und das ſtotternde Schlechte- Gewiſſen, womit es zu Tage tritt, haben allemal etwas Verſöhnendes. Und nun ſpricht der Fürſt! Er iſt der Geſetzgeber ſeines Landes in all und jedem, in Großem und Kleinem, alſo natürlich auch in Äſthe¬ ticis. Wer über Leben und Tod entſcheidet, ſollte der nicht auch über ein Gedichtchen entſcheiden können? Ah, bah! Er mag ſprechen was er will, es ſind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe ſolche zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören, und weiß ſeitdem was es heißt: regarder dans le Néant.“ „Und doch ſtimm' ich der Mama bei,“ bemerkte Victoire, der daran lag das Geſpräch auf ſeinen An¬ fang, auf das Stück und ſeinen Dichter alſo zurückzuführen. „Es wäre mir wirklich eine Freude geweſen, den ‚tagesberühmten Herrn‘, wie Mama ihn einſchränkend genannt hat, kennen zu lernen. Sie vergeſſen, Herr

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/26>, abgerufen am 25.04.2024.