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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das
mich vor keinem Gelübde zurückschrecken läßt."

"Um es zu halten?"

Aber eh er noch antworten konnte, fuhr sie rasch
in wieder scherzhafter werdendem Tone fort: "Ich
glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem Ge¬
wissen. Sonderbar, daß alle historischen Personen,
die den Beinamen des ,Schönen' führen, mir un¬
sympathisch sind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber
die Schönheit, das muß wahr sein, macht selbstisch,
und wer selbstisch ist, ist undankbar und treulos."

Schach suchte zu widerlegen. Er wußte, daß
sich Victoirens Worte, so sehr sie Piquanterien und
Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn ge¬
richtet haben konnten. Und darin traf ers auch. Es
war alles nur jeu d'esprit, eine Nachgiebigkeit
gegen ihren Hang zu philosophieren. Und doch, alles
was sie gesagt hatte, so gewiß es absichtslos gesagt
worden war, so gewiß war es doch auch aus einer
dunklen Ahnung heraus gesprochen worden.

Als ihr Streit schwieg, hatte man den Dorf¬
eingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau
von Carayon und Tante Marguerite, die sich beide
versäumt hatten, zu warten.

Als sie heran waren, bot er der Frau von Carayon
den Arm, und führte diese bis an das Gasthaus
zurück.

mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das
mich vor keinem Gelübde zurückſchrecken läßt.“

„Um es zu halten?“

Aber eh er noch antworten konnte, fuhr ſie raſch
in wieder ſcherzhafter werdendem Tone fort: „Ich
glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem Ge¬
wiſſen. Sonderbar, daß alle hiſtoriſchen Perſonen,
die den Beinamen des ‚Schönen‘ führen, mir un¬
ſympathiſch ſind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber
die Schönheit, das muß wahr ſein, macht ſelbſtiſch,
und wer ſelbſtiſch iſt, iſt undankbar und treulos.“

Schach ſuchte zu widerlegen. Er wußte, daß
ſich Victoirens Worte, ſo ſehr ſie Piquanterien und
Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn ge¬
richtet haben konnten. Und darin traf ers auch. Es
war alles nur jeu d'esprit, eine Nachgiebigkeit
gegen ihren Hang zu philoſophieren. Und doch, alles
was ſie geſagt hatte, ſo gewiß es abſichtslos geſagt
worden war, ſo gewiß war es doch auch aus einer
dunklen Ahnung heraus geſprochen worden.

Als ihr Streit ſchwieg, hatte man den Dorf¬
eingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau
von Carayon und Tante Marguerite, die ſich beide
verſäumt hatten, zu warten.

Als ſie heran waren, bot er der Frau von Carayon
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[59/0071] mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das mich vor keinem Gelübde zurückſchrecken läßt.“ „Um es zu halten?“ Aber eh er noch antworten konnte, fuhr ſie raſch in wieder ſcherzhafter werdendem Tone fort: „Ich glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem Ge¬ wiſſen. Sonderbar, daß alle hiſtoriſchen Perſonen, die den Beinamen des ‚Schönen‘ führen, mir un¬ ſympathiſch ſind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber die Schönheit, das muß wahr ſein, macht ſelbſtiſch, und wer ſelbſtiſch iſt, iſt undankbar und treulos.“ Schach ſuchte zu widerlegen. Er wußte, daß ſich Victoirens Worte, ſo ſehr ſie Piquanterien und Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn ge¬ richtet haben konnten. Und darin traf ers auch. Es war alles nur jeu d'esprit, eine Nachgiebigkeit gegen ihren Hang zu philoſophieren. Und doch, alles was ſie geſagt hatte, ſo gewiß es abſichtslos geſagt worden war, ſo gewiß war es doch auch aus einer dunklen Ahnung heraus geſprochen worden. Als ihr Streit ſchwieg, hatte man den Dorf¬ eingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau von Carayon und Tante Marguerite, die ſich beide verſäumt hatten, zu warten. Als ſie heran waren, bot er der Frau von Carayon den Arm, und führte dieſe bis an das Gaſthaus zurück.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/71>, abgerufen am 28.03.2024.