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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr
von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu
der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte,
weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir sie jeden
Dienstag als Gast in unsrem Hause sehn. Sie war
denn auch mit uns in der "Kürche", wo sie, beim
Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholischen
Zeit her, nicht nur beständig auf Ausrottung des
Aberglaubens drang, sondern sich mit eben diesem
Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie
wenn dieser im Konsistorium säße. Und da leg ich
denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend
habe, mir alles gleich leibhaftig vorzustellen) während
des Schreibens die Feder hin, um mich erst herzlich
auszulachen. Au fond freilich ist es viel weniger
lächerlich, als es im ersten Augenblick erscheint. Er
hat etwas konsistorialrätlich Feierliches, und wenn
mich nicht alles täuscht, so ist es gerade dies Feier¬
liche, was Bülow so sehr gegen ihn einnimmt. Viel,
viel mehr als der Unterschied der Meinungen.

Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner
Schilderung Bülow anschlösse. Wirklich, wüßtest Dus
nicht besser, Du würdest dieser Charakteristik unsres
Freundes nicht entnehmen können, wie sehr ich ihn
schätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem
Schmerzlichen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt
man milde sein, sich trösten, verzeihn. Hätt ich es

Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr
von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu
der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte,
weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir ſie jeden
Dienſtag als Gaſt in unſrem Hauſe ſehn. Sie war
denn auch mit uns in der „Kürche“, wo ſie, beim
Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholiſchen
Zeit her, nicht nur beſtändig auf Ausrottung des
Aberglaubens drang, ſondern ſich mit eben dieſem
Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie
wenn dieſer im Konſiſtorium ſäße. Und da leg ich
denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend
habe, mir alles gleich leibhaftig vorzuſtellen) während
des Schreibens die Feder hin, um mich erſt herzlich
auszulachen. Au fond freilich iſt es viel weniger
lächerlich, als es im erſten Augenblick erſcheint. Er
hat etwas konſiſtorialrätlich Feierliches, und wenn
mich nicht alles täuſcht, ſo iſt es gerade dies Feier¬
liche, was Bülow ſo ſehr gegen ihn einnimmt. Viel,
viel mehr als der Unterſchied der Meinungen.

Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner
Schilderung Bülow anſchlöſſe. Wirklich, wüßteſt Dus
nicht beſſer, Du würdeſt dieſer Charakteriſtik unſres
Freundes nicht entnehmen können, wie ſehr ich ihn
ſchätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem
Schmerzlichen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt
man milde ſein, ſich tröſten, verzeihn. Hätt ich es

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[63/0075] Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte, weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir ſie jeden Dienſtag als Gaſt in unſrem Hauſe ſehn. Sie war denn auch mit uns in der „Kürche“, wo ſie, beim Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholiſchen Zeit her, nicht nur beſtändig auf Ausrottung des Aberglaubens drang, ſondern ſich mit eben dieſem Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie wenn dieſer im Konſiſtorium ſäße. Und da leg ich denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend habe, mir alles gleich leibhaftig vorzuſtellen) während des Schreibens die Feder hin, um mich erſt herzlich auszulachen. Au fond freilich iſt es viel weniger lächerlich, als es im erſten Augenblick erſcheint. Er hat etwas konſiſtorialrätlich Feierliches, und wenn mich nicht alles täuſcht, ſo iſt es gerade dies Feier¬ liche, was Bülow ſo ſehr gegen ihn einnimmt. Viel, viel mehr als der Unterſchied der Meinungen. Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner Schilderung Bülow anſchlöſſe. Wirklich, wüßteſt Dus nicht beſſer, Du würdeſt dieſer Charakteriſtik unſres Freundes nicht entnehmen können, wie ſehr ich ihn ſchätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem Schmerzlichen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt man milde ſein, ſich tröſten, verzeihn. Hätt ich es

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/75>, abgerufen am 25.04.2024.