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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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daß der damals regierende Graf von Schwarzburg-Arnstadt es der Mühe werth hielt, sie auf seine Kosten nach Italien, der damahligen hohen Schule der Musik, reisen zu lassen, um sich dort noch mehr zu vervollkommnen. In wie weit sie den Erwartungen ihres Gönners entsprochen haben mögen, kann nicht gesagt werden, da von ihren Werken nichts auf unsere Zeiten gekommen ist. Noch mehr zeichneten sich einige Glieder der vierten Generation aus, von deren Compositionen durch J. Seb. Bachs Sorgfalt mehrere Stücke erhalten worden sind. Die merkwürdigsten darunter waren:

1) Johann Christoph, Hof- und Stadt-Organist in Eisenach. Dieser war vorzüglich glücklich in Erfindung schöner Melodien und im Ausdruck der Texte. Im sogenannten Bachischen Archiv, welches C. Ph. Emanuel in Hamburg besaß, fand sich unter andern eine Motette von seiner Composition, worin er es gewagt hatte, von der übermäßigen Sexte Gebrauch zu machen, ein Wagestück, welches in seinem Zeitalter für ungeheuer groß gehalten wurde. Auch ist er der Vollstimmigkeit außerordentlich mächtig gewesen, wie ein von ihm komponirtes Kirchenstück aufs Michaelisfest über die Worte: Es erhub sich ein Streit etc. beweisen kann, welches 22 obligate Stimmen hat, und doch in Rücksicht auf Harmonie vollkommen rein ist. Ein zweyter Beweis seiner Stärke in der Vollstimmigkeit ist, daß er auf der Orgel und auf dem Clavier niemahls mit weniger als fünf nothwendigen Stimmen gespielt haben soll. C. Ph. Emanuel hielt vorzüglich viel auf ihn. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, wie freundlich der damahls schon alte Mann bey den merkwürdigsten und gewagtesten Stellen mich anlächelte, als er mir einst in Hamburg das Vergnügen machte, mich einige dieser alten Werke hören zu lassen.

2) Johann Michael, Organist und Stadtschreiber im Amte Gehren. Er war ein jüngerer Bruder des vorhergehenden, und gleich ihm ein vorzüglich guter Componist. Im Bachischen Archiv befinden sich von ihm einige Motetten, worunter auch eine doppelchörige für 8 Stimmen ist, nebst verschiedenen einzelnen Kirchenstücken.

3) Johann Bernhard, Kammermusikus und Organist zu Eisenach. Dieser soll vorzüglich schöne Ouvertüren nach französischer Art gemacht haben.

Nicht nur die angeführten, sondern auch noch verschiedene andere vorzügliche Componisten aus den frühern Generationen der Bachischen Familie hätten sich unstreitig weit

daß der damals regierende Graf von Schwarzburg-Arnstadt es der Mühe werth hielt, sie auf seine Kosten nach Italien, der damahligen hohen Schule der Musik, reisen zu lassen, um sich dort noch mehr zu vervollkommnen. In wie weit sie den Erwartungen ihres Gönners entsprochen haben mögen, kann nicht gesagt werden, da von ihren Werken nichts auf unsere Zeiten gekommen ist. Noch mehr zeichneten sich einige Glieder der vierten Generation aus, von deren Compositionen durch J. Seb. Bachs Sorgfalt mehrere Stücke erhalten worden sind. Die merkwürdigsten darunter waren:

1) Johann Christoph, Hof- und Stadt-Organist in Eisenach. Dieser war vorzüglich glücklich in Erfindung schöner Melodien und im Ausdruck der Texte. Im sogenannten Bachischen Archiv, welches C. Ph. Emanuel in Hamburg besaß, fand sich unter andern eine Motette von seiner Composition, worin er es gewagt hatte, von der übermäßigen Sexte Gebrauch zu machen, ein Wagestück, welches in seinem Zeitalter für ungeheuer groß gehalten wurde. Auch ist er der Vollstimmigkeit außerordentlich mächtig gewesen, wie ein von ihm komponirtes Kirchenstück aufs Michaelisfest über die Worte: Es erhub sich ein Streit etc. beweisen kann, welches 22 obligate Stimmen hat, und doch in Rücksicht auf Harmonie vollkommen rein ist. Ein zweyter Beweis seiner Stärke in der Vollstimmigkeit ist, daß er auf der Orgel und auf dem Clavier niemahls mit weniger als fünf nothwendigen Stimmen gespielt haben soll. C. Ph. Emanuel hielt vorzüglich viel auf ihn. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, wie freundlich der damahls schon alte Mann bey den merkwürdigsten und gewagtesten Stellen mich anlächelte, als er mir einst in Hamburg das Vergnügen machte, mich einige dieser alten Werke hören zu lassen.

2) Johann Michael, Organist und Stadtschreiber im Amte Gehren. Er war ein jüngerer Bruder des vorhergehenden, und gleich ihm ein vorzüglich guter Componist. Im Bachischen Archiv befinden sich von ihm einige Motetten, worunter auch eine doppelchörige für 8 Stimmen ist, nebst verschiedenen einzelnen Kirchenstücken.

3) Johann Bernhard, Kammermusikus und Organist zu Eisenach. Dieser soll vorzüglich schöne Ouvertüren nach französischer Art gemacht haben.

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[2/0012] daß der damals regierende Graf von Schwarzburg-Arnstadt es der Mühe werth hielt, sie auf seine Kosten nach Italien, der damahligen hohen Schule der Musik, reisen zu lassen, um sich dort noch mehr zu vervollkommnen. In wie weit sie den Erwartungen ihres Gönners entsprochen haben mögen, kann nicht gesagt werden, da von ihren Werken nichts auf unsere Zeiten gekommen ist. Noch mehr zeichneten sich einige Glieder der vierten Generation aus, von deren Compositionen durch J. Seb. Bachs Sorgfalt mehrere Stücke erhalten worden sind. Die merkwürdigsten darunter waren: 1) Johann Christoph, Hof- und Stadt-Organist in Eisenach. Dieser war vorzüglich glücklich in Erfindung schöner Melodien und im Ausdruck der Texte. Im sogenannten Bachischen Archiv, welches C. Ph. Emanuel in Hamburg besaß, fand sich unter andern eine Motette von seiner Composition, worin er es gewagt hatte, von der übermäßigen Sexte Gebrauch zu machen, ein Wagestück, welches in seinem Zeitalter für ungeheuer groß gehalten wurde. Auch ist er der Vollstimmigkeit außerordentlich mächtig gewesen, wie ein von ihm komponirtes Kirchenstück aufs Michaelisfest über die Worte: Es erhub sich ein Streit etc. beweisen kann, welches 22 obligate Stimmen hat, und doch in Rücksicht auf Harmonie vollkommen rein ist. Ein zweyter Beweis seiner Stärke in der Vollstimmigkeit ist, daß er auf der Orgel und auf dem Clavier niemahls mit weniger als fünf nothwendigen Stimmen gespielt haben soll. C. Ph. Emanuel hielt vorzüglich viel auf ihn. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, wie freundlich der damahls schon alte Mann bey den merkwürdigsten und gewagtesten Stellen mich anlächelte, als er mir einst in Hamburg das Vergnügen machte, mich einige dieser alten Werke hören zu lassen. 2) Johann Michael, Organist und Stadtschreiber im Amte Gehren. Er war ein jüngerer Bruder des vorhergehenden, und gleich ihm ein vorzüglich guter Componist. Im Bachischen Archiv befinden sich von ihm einige Motetten, worunter auch eine doppelchörige für 8 Stimmen ist, nebst verschiedenen einzelnen Kirchenstücken. 3) Johann Bernhard, Kammermusikus und Organist zu Eisenach. Dieser soll vorzüglich schöne Ouvertüren nach französischer Art gemacht haben. Nicht nur die angeführten, sondern auch noch verschiedene andere vorzügliche Componisten aus den frühern Generationen der Bachischen Familie hätten sich unstreitig weit

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/12>, abgerufen am 28.03.2024.