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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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sagt er, hat endlich in den neuern Zeiten die Orgelkunst zu ihrer größten Vollkommenheit gebracht; es ist nur zu wünschen, daß sie nach dessen Absterben wegen geringer Anzahl derjenigen, die noch einigen Fleiß darauf verwenden, nicht wieder verfallen oder gar untergehen möge.

Wenn Joh. Seb. Bach außer den gottesdienstlichen Versammlungen sich an die Orgel setzte, wozu er sehr oft durch Fremde aufgefordert wurde, so wählte er sich irgend ein Thema, und führte es in allen Formen von Orgelstücken so aus, daß es stets sein Stoff blieb, wenn er auch zwey oder mehrere Stunden ununterbrochen gespielt hätte. Zuerst gebrauchte er dieses Thema zu einem Vorspiel und einer Fuge mit vollem Werk. Sodann erschien seine Kunst des Registrirens für ein Trio, ein Quatuor etc. immer über dasselbe Thema. Ferner folgte ein Choral, um dessen Melodie wiederum das erste Thema in 3 oder 4 verschiedenen Stimmen auf die mannigfaltigste Art herum spielte. Endlich wurde der Beschluß mit dem vollen Werke durch eine Fuge gemacht, worin entweder nur eine andere Bearbeitung des erstern Thema herrschte, oder noch eines oder auch nach Beschaffenheit desselben zwey andere beygemischt wurden. Dieß ist eigentlich diejenige Orgelkunst, welche der alte Reinken in Hamburg schon zu seiner Zeit für verloren hielt, die aber, wie er hernach fand, in Joh. Seb. Bach nicht nur noch lebte, sondern durch ihn die höchste Vollkommenheit erreicht hatte.

Theils das Amt, in welchem Joh. Seb. stand, theils auch überhaupt der große Ruf seiner Kunst und Kunstkenntnisse verursachte, daß er sehr häufig zur Prüfung junger Orgel-Candidaten, und zur Untersuchung neu-erbauter Orgelwerke aufgefordert wurde. Er benahm sich in beyden Fällen so gewissenhaft und unpartheyisch, daß die Zahl seiner Freunde selten dadurch vermehrt wurde. Der ehemahlige Dänische Capellmeister Scheibe unterwarf sich in frühern Jahren ebenfalls einmahl seiner Prüfung bey einer Organistenwahl, fand aber dessen Ausspruch so ungerecht, daß er sich nachher in seinem kritischen Musikus durch einen heftigen Ausfall an seinem ehemahligen Richter zu rächen suchte. Mit seinen Orgeluntersuchungen ging es ihm nicht besser. Er konnte es eben so wenig über sich erhalten, ein schlechtes Instrument zu loben, als einen schlechten Organisten. Seine Orgelproben waren daher sehr streng, aber immer gerecht. Da er den Orgelbau so vollkommen verstand, so konnte er in keiner Sache dabey irre geführt werden. Das

sagt er, hat endlich in den neuern Zeiten die Orgelkunst zu ihrer größten Vollkommenheit gebracht; es ist nur zu wünschen, daß sie nach dessen Absterben wegen geringer Anzahl derjenigen, die noch einigen Fleiß darauf verwenden, nicht wieder verfallen oder gar untergehen möge.

Wenn Joh. Seb. Bach außer den gottesdienstlichen Versammlungen sich an die Orgel setzte, wozu er sehr oft durch Fremde aufgefordert wurde, so wählte er sich irgend ein Thema, und führte es in allen Formen von Orgelstücken so aus, daß es stets sein Stoff blieb, wenn er auch zwey oder mehrere Stunden ununterbrochen gespielt hätte. Zuerst gebrauchte er dieses Thema zu einem Vorspiel und einer Fuge mit vollem Werk. Sodann erschien seine Kunst des Registrirens für ein Trio, ein Quatuor etc. immer über dasselbe Thema. Ferner folgte ein Choral, um dessen Melodie wiederum das erste Thema in 3 oder 4 verschiedenen Stimmen auf die mannigfaltigste Art herum spielte. Endlich wurde der Beschluß mit dem vollen Werke durch eine Fuge gemacht, worin entweder nur eine andere Bearbeitung des erstern Thema herrschte, oder noch eines oder auch nach Beschaffenheit desselben zwey andere beygemischt wurden. Dieß ist eigentlich diejenige Orgelkunst, welche der alte Reinken in Hamburg schon zu seiner Zeit für verloren hielt, die aber, wie er hernach fand, in Joh. Seb. Bach nicht nur noch lebte, sondern durch ihn die höchste Vollkommenheit erreicht hatte.

Theils das Amt, in welchem Joh. Seb. stand, theils auch überhaupt der große Ruf seiner Kunst und Kunstkenntnisse verursachte, daß er sehr häufig zur Prüfung junger Orgel-Candidaten, und zur Untersuchung neu-erbauter Orgelwerke aufgefordert wurde. Er benahm sich in beyden Fällen so gewissenhaft und unpartheyisch, daß die Zahl seiner Freunde selten dadurch vermehrt wurde. Der ehemahlige Dänische Capellmeister Scheibe unterwarf sich in frühern Jahren ebenfalls einmahl seiner Prüfung bey einer Organistenwahl, fand aber dessen Ausspruch so ungerecht, daß er sich nachher in seinem kritischen Musikus durch einen heftigen Ausfall an seinem ehemahligen Richter zu rächen suchte. Mit seinen Orgeluntersuchungen ging es ihm nicht besser. Er konnte es eben so wenig über sich erhalten, ein schlechtes Instrument zu loben, als einen schlechten Organisten. Seine Orgelproben waren daher sehr streng, aber immer gerecht. Da er den Orgelbau so vollkommen verstand, so konnte er in keiner Sache dabey irre geführt werden. Das

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[22/0032] sagt er, hat endlich in den neuern Zeiten die Orgelkunst zu ihrer größten Vollkommenheit gebracht; es ist nur zu wünschen, daß sie nach dessen Absterben wegen geringer Anzahl derjenigen, die noch einigen Fleiß darauf verwenden, nicht wieder verfallen oder gar untergehen möge. Wenn Joh. Seb. Bach außer den gottesdienstlichen Versammlungen sich an die Orgel setzte, wozu er sehr oft durch Fremde aufgefordert wurde, so wählte er sich irgend ein Thema, und führte es in allen Formen von Orgelstücken so aus, daß es stets sein Stoff blieb, wenn er auch zwey oder mehrere Stunden ununterbrochen gespielt hätte. Zuerst gebrauchte er dieses Thema zu einem Vorspiel und einer Fuge mit vollem Werk. Sodann erschien seine Kunst des Registrirens für ein Trio, ein Quatuor etc. immer über dasselbe Thema. Ferner folgte ein Choral, um dessen Melodie wiederum das erste Thema in 3 oder 4 verschiedenen Stimmen auf die mannigfaltigste Art herum spielte. Endlich wurde der Beschluß mit dem vollen Werke durch eine Fuge gemacht, worin entweder nur eine andere Bearbeitung des erstern Thema herrschte, oder noch eines oder auch nach Beschaffenheit desselben zwey andere beygemischt wurden. Dieß ist eigentlich diejenige Orgelkunst, welche der alte Reinken in Hamburg schon zu seiner Zeit für verloren hielt, die aber, wie er hernach fand, in Joh. Seb. Bach nicht nur noch lebte, sondern durch ihn die höchste Vollkommenheit erreicht hatte. Theils das Amt, in welchem Joh. Seb. stand, theils auch überhaupt der große Ruf seiner Kunst und Kunstkenntnisse verursachte, daß er sehr häufig zur Prüfung junger Orgel-Candidaten, und zur Untersuchung neu-erbauter Orgelwerke aufgefordert wurde. Er benahm sich in beyden Fällen so gewissenhaft und unpartheyisch, daß die Zahl seiner Freunde selten dadurch vermehrt wurde. Der ehemahlige Dänische Capellmeister Scheibe unterwarf sich in frühern Jahren ebenfalls einmahl seiner Prüfung bey einer Organistenwahl, fand aber dessen Ausspruch so ungerecht, daß er sich nachher in seinem kritischen Musikus durch einen heftigen Ausfall an seinem ehemahligen Richter zu rächen suchte. Mit seinen Orgeluntersuchungen ging es ihm nicht besser. Er konnte es eben so wenig über sich erhalten, ein schlechtes Instrument zu loben, als einen schlechten Organisten. Seine Orgelproben waren daher sehr streng, aber immer gerecht. Da er den Orgelbau so vollkommen verstand, so konnte er in keiner Sache dabey irre geführt werden. Das

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/32>, abgerufen am 25.04.2024.