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Fouqué, Caroline de La Motte-: Ueber deutsche Geselligkeit. Berlin, 1814.

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schaffen unter dem lebenden Geschlecht, so schauert
dieses zurück und erkennt nicht mehr das Fleisch
von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein.
Es sind und bleiben doch nur Schatten, die, je
körperlich wahrer sie auftreten, das Leben immer
beklemmender zurückstoßen. Das behende, flüchtige,
verschwimmende Wesen des Menschensinnes stellt
keine Zauberei wieder her, geselliger Conflikt ent-
faltet, Sprache offenbart es, das Leben giebt Leben,
und Nationalität wird nur durch gemeinsamen Ver-
kehr, durch Liebe und Leid, durch Muth und Kraft
und Vollbringen, durch die Echo-Klänge der eigenen
Seele in der Bruderseele ermessen und verstanden.

Frau von Stael selbst sagt sehr wahr: "Une
langue etrangere est toujours, sous beaucoup
de rapports, une langue morte. Il faut avoir
respire l'air d'un pays, pense, joui, souffert
dans sa langue, pour peindre en poesie ce
qu'on eprouve."
["Eine fremde Sprache ist
in mancherlei Beziehungen immer eine todte Sprache.
Um poetisch zu malen was man empfindet, muß

ſchaffen unter dem lebenden Geſchlecht, ſo ſchauert
dieſes zuruͤck und erkennt nicht mehr das Fleiſch
von ſeinem Fleiſch und Bein von ſeinem Bein.
Es ſind und bleiben doch nur Schatten, die, je
koͤrperlich wahrer ſie auftreten, das Leben immer
beklemmender zuruͤckſtoßen. Das behende, fluͤchtige,
verſchwimmende Weſen des Menſchenſinnes ſtellt
keine Zauberei wieder her, geſelliger Conflikt ent-
faltet, Sprache offenbart es, das Leben giebt Leben,
und Nationalitaͤt wird nur durch gemeinſamen Ver-
kehr, durch Liebe und Leid, durch Muth und Kraft
und Vollbringen, durch die Echo-Klaͤnge der eigenen
Seele in der Bruderſeele ermeſſen und verſtanden.

Frau von Stael ſelbſt ſagt ſehr wahr: „Une
langue étrangère est toujours, sous beaucoup
de rapports, une langue morte. Il faut avoir
respiré l’air d’un pays, pensé, joui, souffert
dans sa langue, pour peindre en poésie ce
qu’on eprouve.”
[„Eine fremde Sprache iſt
in mancherlei Beziehungen immer eine todte Sprache.
Um poetiſch zu malen was man empfindet, muß

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[9/0011] ſchaffen unter dem lebenden Geſchlecht, ſo ſchauert dieſes zuruͤck und erkennt nicht mehr das Fleiſch von ſeinem Fleiſch und Bein von ſeinem Bein. Es ſind und bleiben doch nur Schatten, die, je koͤrperlich wahrer ſie auftreten, das Leben immer beklemmender zuruͤckſtoßen. Das behende, fluͤchtige, verſchwimmende Weſen des Menſchenſinnes ſtellt keine Zauberei wieder her, geſelliger Conflikt ent- faltet, Sprache offenbart es, das Leben giebt Leben, und Nationalitaͤt wird nur durch gemeinſamen Ver- kehr, durch Liebe und Leid, durch Muth und Kraft und Vollbringen, durch die Echo-Klaͤnge der eigenen Seele in der Bruderſeele ermeſſen und verſtanden. Frau von Stael ſelbſt ſagt ſehr wahr: „Une langue étrangère est toujours, sous beaucoup de rapports, une langue morte. Il faut avoir respiré l’air d’un pays, pensé, joui, souffert dans sa langue, pour peindre en poésie ce qu’on eprouve.” [„Eine fremde Sprache iſt in mancherlei Beziehungen immer eine todte Sprache. Um poetiſch zu malen was man empfindet, muß

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de La Motte-: Ueber deutsche Geselligkeit. Berlin, 1814, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_geselligkeit_1814/11>, abgerufen am 28.03.2024.