Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

daß ihr das "gnädige" gnädig erlassen ward. Sie
herzte und streichelte mich auch nicht mehr wie sonst,
sondern machte ihren Knix und lief das Herzchen ihr
über, dann küßte sie meine Hand.

Völlig störten die neuen Formen den alten Um¬
gang indessen nicht und ganz und gar nicht das Ver¬
hältniß der Rose zu ihrem Blatt. Es verging kein
Tag, daß die Kleine nicht einmal durch die Hecken¬
lücke geschlüpft, oder in meinem Dachstübchen einge¬
kehrt wäre. Ich blieb ihre Vertraute bei jeglicher Freude,
ihre Ratherin in jeglicher Noth; ja, ich sah die letztere
schärfer und fühlte sie bänglicher als die Kleine selbst.

Ihr Vater hatte das nährende Handwerk an den
Nagel gehängt und war auf dem herkömmlichen Schenken¬
wege hart beim Trunkenbold angelangt. Es stand
übel um den Mann; die Pachtung der herzoglichen
Keller wurde ihm nach abgelaufenem Termine voraus¬
sichtlich entzogen; seine Zukunft war der Spittel.

Diese Verirrungen waren es indessen nicht, welche
die sorglose Dorl überschaut oder gewürdigt haben
sollte. Ihr täglicher Verdruß war das Schenken¬
treiben, für welches der Vater ihre Aushülfe forderte.
Die schöne Kellnerin lachte die Gäste an und die
Gäste wurden nicht gewählt. Da gab es denn Scherz¬

Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. I. 8

daß ihr das „gnädige“ gnädig erlaſſen ward. Sie
herzte und ſtreichelte mich auch nicht mehr wie ſonſt,
ſondern machte ihren Knix und lief das Herzchen ihr
über, dann küßte ſie meine Hand.

Völlig ſtörten die neuen Formen den alten Um¬
gang indeſſen nicht und ganz und gar nicht das Ver¬
hältniß der Roſe zu ihrem Blatt. Es verging kein
Tag, daß die Kleine nicht einmal durch die Hecken¬
lücke geſchlüpft, oder in meinem Dachſtübchen einge¬
kehrt wäre. Ich blieb ihre Vertraute bei jeglicher Freude,
ihre Ratherin in jeglicher Noth; ja, ich ſah die letztere
ſchärfer und fühlte ſie bänglicher als die Kleine ſelbſt.

Ihr Vater hatte das nährende Handwerk an den
Nagel gehängt und war auf dem herkömmlichen Schenken¬
wege hart beim Trunkenbold angelangt. Es ſtand
übel um den Mann; die Pachtung der herzoglichen
Keller wurde ihm nach abgelaufenem Termine voraus¬
ſichtlich entzogen; ſeine Zukunft war der Spittel.

Dieſe Verirrungen waren es indeſſen nicht, welche
die ſorgloſe Dorl überſchaut oder gewürdigt haben
ſollte. Ihr täglicher Verdruß war das Schenken¬
treiben, für welches der Vater ihre Aushülfe forderte.
Die ſchöne Kellnerin lachte die Gäſte an und die
Gäſte wurden nicht gewählt. Da gab es denn Scherz¬

Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0120" n="113"/>
daß ihr das &#x201E;gnädige&#x201C; gnädig erla&#x017F;&#x017F;en ward. Sie<lb/>
herzte und &#x017F;treichelte mich auch nicht mehr wie &#x017F;on&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern machte ihren Knix und lief das Herzchen ihr<lb/>
über, dann küßte &#x017F;ie meine Hand.</p><lb/>
        <p>Völlig &#x017F;törten die neuen Formen den alten Um¬<lb/>
gang inde&#x017F;&#x017F;en nicht und ganz und gar nicht das Ver¬<lb/>
hältniß der Ro&#x017F;e zu ihrem Blatt. Es verging kein<lb/>
Tag, daß die Kleine nicht einmal durch die Hecken¬<lb/>
lücke ge&#x017F;chlüpft, oder in meinem Dach&#x017F;tübchen einge¬<lb/>
kehrt wäre. Ich blieb ihre Vertraute bei jeglicher Freude,<lb/>
ihre Ratherin in jeglicher Noth; ja, ich &#x017F;ah die letztere<lb/>
&#x017F;chärfer und fühlte &#x017F;ie bänglicher als die Kleine &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Ihr Vater hatte das nährende Handwerk an den<lb/>
Nagel gehängt und war auf dem herkömmlichen Schenken¬<lb/>
wege hart beim Trunkenbold angelangt. Es &#x017F;tand<lb/>
übel um den Mann; die Pachtung der herzoglichen<lb/>
Keller wurde ihm nach abgelaufenem Termine voraus¬<lb/>
&#x017F;ichtlich entzogen; &#x017F;eine Zukunft war der Spittel.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Verirrungen waren es inde&#x017F;&#x017F;en nicht, welche<lb/>
die &#x017F;orglo&#x017F;e Dorl über&#x017F;chaut oder gewürdigt haben<lb/>
&#x017F;ollte. Ihr täglicher Verdruß war das Schenken¬<lb/>
treiben, für welches der Vater ihre Aushülfe forderte.<lb/>
Die &#x017F;chöne Kellnerin lachte die Gä&#x017F;te an und die<lb/>&#x017F;te wurden nicht gewählt. Da gab es denn Scherz¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Loui&#x017F;e v. Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>ois, Die letzte Reckenburgerin. <hi rendition="#aq">I</hi>. 8<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0120] daß ihr das „gnädige“ gnädig erlaſſen ward. Sie herzte und ſtreichelte mich auch nicht mehr wie ſonſt, ſondern machte ihren Knix und lief das Herzchen ihr über, dann küßte ſie meine Hand. Völlig ſtörten die neuen Formen den alten Um¬ gang indeſſen nicht und ganz und gar nicht das Ver¬ hältniß der Roſe zu ihrem Blatt. Es verging kein Tag, daß die Kleine nicht einmal durch die Hecken¬ lücke geſchlüpft, oder in meinem Dachſtübchen einge¬ kehrt wäre. Ich blieb ihre Vertraute bei jeglicher Freude, ihre Ratherin in jeglicher Noth; ja, ich ſah die letztere ſchärfer und fühlte ſie bänglicher als die Kleine ſelbſt. Ihr Vater hatte das nährende Handwerk an den Nagel gehängt und war auf dem herkömmlichen Schenken¬ wege hart beim Trunkenbold angelangt. Es ſtand übel um den Mann; die Pachtung der herzoglichen Keller wurde ihm nach abgelaufenem Termine voraus¬ ſichtlich entzogen; ſeine Zukunft war der Spittel. Dieſe Verirrungen waren es indeſſen nicht, welche die ſorgloſe Dorl überſchaut oder gewürdigt haben ſollte. Ihr täglicher Verdruß war das Schenken¬ treiben, für welches der Vater ihre Aushülfe forderte. Die ſchöne Kellnerin lachte die Gäſte an und die Gäſte wurden nicht gewählt. Da gab es denn Scherz¬ Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/120
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/120>, abgerufen am 28.03.2024.