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Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395.

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Nr. 24. Die Gegenwart.
jener Frage, eben weil die Erwerbszweige, die damals zur Be-
hauptung im Kampf ums Dasein ausreichten, heute nicht mehr
genügen. Nun ist aber zudem die Zahl jener Erwerbsbedürftigen
heute eine unendlich größere, weil die Zahl der Männer, die sich
neben der Sorge um die eigene Existenz jene für Weib und Kind
aufbürden wollen und können, in rapider Abnahme begriffen ist.

Diesen traurigen Verhältnissen kann weder der Prediger,
noch der Wohlthätigkeitsverein mit Erfolg begegnen, sondern
einzig der Volkswirth, indem er der Gesellschaft die Erfüllung
ihrer Verpflichtung gegen diese Frauen nahelegt. Diese Ver-
pflichtung besteht darin, den Frauen im erschwerten Kampfe
um die Existenz auch schärfere, zweckdienlichere und vermehrte
Waffen zu gönnen - man braucht sie ihnen nicht einmal in
die Hand zu geben, das werden sie, von der Nothwendigkeit
getrieben, schon selbst besorgen.

Wenn heute diese Verpflichtung so vielen Gebildeten noch
nicht klar ist, so liegt dies hauptsächlich daran, weil von der
Gesellschaft bezüglich des Frauenlooses gewöhnlich in Einem
Athemzuge Vernünftiges und Unvernünftiges gefordert wird,
Nothwendiges und Ueberflüssiges, das tägliche Brod und - das
Wahlrecht für die Reichsvertretung. Gott schütze diese armen,
sorgenbeladenen Geschöpfe vor ihren hysterischen, überspannten,
blaustrümpfelnden Freundinnen, vor ihren Feinden wird sie die
Gerechtigkeit ihrer Sache schützen! Denn sonnenklar ist ihr
Anspruch darauf, daß die Gesellschaft ihnen nicht aus thörichtem
Vorurtheil Hindernisse in den Weg lege, sondern sich einzig auf
die Beantwortung der Fragen beschränke: "Jst der betreffende
Beruf honett? Jst er so geartet, daß Frauen seine Pflichten
vollständig zu erfüllen vermögen?"

Können diese Fragen bejaht werden, so haben alle anderen
Bedenken zu schweigen!

Das wird freilich vielfach bestritten. Der Staat, wendet
man ein, habe die Pflicht, über die Aufrechterhaltung der natür-
lichen Ordnung zu wachen. Schon die Rücksicht der Selbst-
erhaltung zwinge ihn, dafür zu sorgen, daß das Verkehrte, das
Abnorme nicht zur Norm werde. Das Weib sei dazu geboren,
Gattin und Mutter zu sein, nicht etwa Arzt, Professor etc Gebe
man den Frauen die Möglichkeit, sich diesen Berufen zu widmen,
so entfremde man Viele, ja voraussichtlich, kraft des Nachahmungs-
triebes, Unzählige ihrem einzig natürlichen Berufe, und das müsse
schon an sich, ohne Rücksicht auf alle weiteren Folgen, ein großes
Unglück bedeuten.

Wie plausibel derlei klingen mag, es ist in Wahrheit eitel
Dunst. Die natürliche Ordnung bedarf keines besonderen Schutzes,
eben weil sie die natürliche ist. So wenig der Staat sich darum
sorgen darf, daß auf den Winter der Frühling folge, oder daß
die Sonne täglich aufgehe, so wenig darf ihn auch die Furcht
bedrücken, daß jemals ein Tag kommt, wo das Weib vergißt,
daß es sein bestes, ja einzig vorbestimmtes Glück ist, einen ge-
liebten Mann zu beglücken und von ihm beglückt zu werden.
Gegen die Natur, welche das Weib geschaffen, wie es ist, kommt
keine Modenarrheit, kein Nachahmungstrieb auf, und eher könnte
es den "Jndividuen weiblichen Geschlechts" beifallen, die Hände
zum Gehen zu gebrauchen, als zu erklären: "Wir wollen nicht
heirathen, sondern Aerzte werden!"

Alles, nur das nicht! Denn so weit reicht kein menschlicher
Wille, um uns ohne den größten äußeren Zwang zu einem
Bruche mit unseren angeborenen Trieben, mit unserer natür-
lichen Beschaffenheit zu bewegen. Der Wunsch zum Heirathen
wird nie im Mädchenherzen erlöschen, niemals, und jeder Adam
wird seine Eva finden können, so von Anbeginn der Welt bis
heute, so von heute bis in alle Ewigkeit.

Aber jede Eva hat ihren Adam?

Wir wollen nicht sentimental werden und der Tausende ge-
denken, welche suchen und nicht finden, und nicht noch senti-
mentaler, indem wir der Millionen gedenken, die nicht suchen
und einsam dahinwelken. Wir begnügen uns nur zu constatiren,
daß es wirklich Tausende, daß es Millionen sind, die ihren
natürlichen Beruf nicht erfüllen können. Verfehlen müssen sie
ihn also jedenfalls, es fragt sich daher nur: wie?

[Spaltenumbruch]

Zugegeben also, daß es nicht der natürliche Beruf der
Frau ist, Arzt oder Professor zu werden, aber ist es etwa ihr
natürlicher Beruf, als unnütze, verbitterte alte Jungfrau zu
sterben oder zu verhungern, oder von ihrer Schande zu leben?
Doch wohl mindestens ebenso wenig! Nun denn, ist einmal die
Frau genöthigt, ihren Beruf zu verfehlen, so hindere du, Staat,
der du ein Uebereinkommen Aller zu Aller Wohl bist, sie nicht
daran, ihn in einer Form zu verfehlen, welche angenehmer und
menschenwürdiger ist, als die obengenannten bisher üblichen Arten,
welche du stillschweigend geduldet!

Wie der Staat nicht aus Rücksicht auf die "natürliche Ord-
nung" sein Veto einlegen darf, ebenso wenig ist auch der Einzelne
berechtigt, aus dem Umstande, daß Frauen nie vorher den be-
treffenden Weg gegangen, Kapital zur Befriedigung seiner Lach-
lust zu schlagen. Wüßte er, wie bitter ernst oft der Zwang
war, der zu solchem unbegangenen Pfade hingeleitet, ihm würde
das Lachen vergehen. Wir wiederholen: ist der neue Beruf
honett, ist er zweckdienlich, das heißt, vermag er genügenden
Unterhalt zu gewähren, so kommt nur die Frage in Betracht,
ob Frauen seinen Pflichten nachzukommen vermögen.

Unter diesem Gesichtspunkte wollen wir erörtern, welche
Berufe mit gelehrter Vorbildung für die Frauen taugen.

Einer der wichtigsten ist ihnen durch eherne Satzungen ver-
schlossen: Priester, Pastor oder Rabbi kann das Weib nicht werden.
Ein anderer Beruf wieder ist unmöglich, weil er öffentliches Aerger-
niß erregen würde: das ist die unbeschränkte ärztliche Praxis
der Frauen, also auch an Männern geübt. Und endlich sind
die Frauen von allen jenen Berufen ausgeschlossen, bei welchen
es unendlich viel darauf ankommt, daß gegen den Verderbten,
den Rohen oder den Uebermüthigen die Würde des Gesetzes,
die Würde des Wissens gewahrt werde. Es ist kein Vorurtheil,
wenn wir sagen, daß das Weib nicht zum Untersuchungsrichter
taugt, der den Raubmörder zum Geständniß bringen soll, nicht
zum Anwalt, der über Leben oder Tod zu plaidiren hat, nicht
zum Lehrer in einem Knaben-Gymnasium; kein Vorurtheil, sondern
Respectirung jener Grenzen, welche durch die Natur selbst ge-
zogen sind.

Und so ist denn also dem Weibe nur in jenen gelehrten
Berufen zu walten möglich, wo es sich um das geistige oder
leibliche Wohl seiner Schwestern verdient machen kann: als
Lehrerin, als Frauenarzt, ferner als Kinderarzt.

Da wir kein Wort über die Berechtigung des Weibes zum
Lehrberufe zu verlieren haben, so ist nur die praktische Frage
zu erörtern: Welche Chancen hat die akademisch gebildete Lehrerin?

Derzeit höchst geringe! Denn zu einem Posten als Gou-
vernante braucht man keine Universitätsbildung, ja sie könnte
vielleicht hier und da bei der Bewerbung um eine solche Stelle
hinderlich werden. Und Mädchen-Lyceen, an welchen akademisch
gebildete Lehrerinnen nothwendig wären, gibt es kaum.

Werden sich die Chancen erheblich steigern?

Das hängt natürlich von der Richtung ab, welche die Er-
ziehung der weiblichen Jugend nehmen wird. Nach drei Rich-
tungen ist sicherlich eine Aenderung zu erwarten, weil der
gesunde Menschenverstand gebieterisch eine Reform fordert.

Heute gebietet es die Mode, auch das musikalisch total un-
talentirte Mädchen zur Ausübung dieser Kunst anzuhalten - ohne
Rücksicht auf den enormen Zeitverlust, ohne Rücksicht auf die
Qual, welche hieraus dem Mädchen und ihrer Lehrerin erwächst
und nebenbei auch allen Mitmenschen, die in ihre Nähe kommen.
Das muß aufhören, es gibt auch ohnehin genug Dinge auf
Erden, welche Steine erweichen und Menschen rasend machen
können.

Ebenso zählt die unmotivirte Präponderanz (ich sage Prä-
ponderanz und nicht etwa Pflege!) des französischen und eng-
lischen Sprachunterrichts sicherlich nur noch nach Jahren, auch
die französische und englische Gouvernante als alleinige Er-
zieherin dürften ihre Rolle bald ausgespielt haben. Endlich
werden die höheren Töchter unserer derzeitigen höheren Töchter
gewiß nicht so viele Dinge lernen, aber das Wenige dafür gründ-
licher. Ob aber die Richtung der Erziehung eine derartige[Spaltenumbruch]

Nr. 24. Die Gegenwart.
jener Frage, eben weil die Erwerbszweige, die damals zur Be-
hauptung im Kampf ums Dasein ausreichten, heute nicht mehr
genügen. Nun ist aber zudem die Zahl jener Erwerbsbedürftigen
heute eine unendlich größere, weil die Zahl der Männer, die sich
neben der Sorge um die eigene Existenz jene für Weib und Kind
aufbürden wollen und können, in rapider Abnahme begriffen ist.

Diesen traurigen Verhältnissen kann weder der Prediger,
noch der Wohlthätigkeitsverein mit Erfolg begegnen, sondern
einzig der Volkswirth, indem er der Gesellschaft die Erfüllung
ihrer Verpflichtung gegen diese Frauen nahelegt. Diese Ver-
pflichtung besteht darin, den Frauen im erschwerten Kampfe
um die Existenz auch schärfere, zweckdienlichere und vermehrte
Waffen zu gönnen – man braucht sie ihnen nicht einmal in
die Hand zu geben, das werden sie, von der Nothwendigkeit
getrieben, schon selbst besorgen.

Wenn heute diese Verpflichtung so vielen Gebildeten noch
nicht klar ist, so liegt dies hauptsächlich daran, weil von der
Gesellschaft bezüglich des Frauenlooses gewöhnlich in Einem
Athemzuge Vernünftiges und Unvernünftiges gefordert wird,
Nothwendiges und Ueberflüssiges, das tägliche Brod und – das
Wahlrecht für die Reichsvertretung. Gott schütze diese armen,
sorgenbeladenen Geschöpfe vor ihren hysterischen, überspannten,
blaustrümpfelnden Freundinnen, vor ihren Feinden wird sie die
Gerechtigkeit ihrer Sache schützen! Denn sonnenklar ist ihr
Anspruch darauf, daß die Gesellschaft ihnen nicht aus thörichtem
Vorurtheil Hindernisse in den Weg lege, sondern sich einzig auf
die Beantwortung der Fragen beschränke: „Jst der betreffende
Beruf honett? Jst er so geartet, daß Frauen seine Pflichten
vollständig zu erfüllen vermögen?“

Können diese Fragen bejaht werden, so haben alle anderen
Bedenken zu schweigen!

Das wird freilich vielfach bestritten. Der Staat, wendet
man ein, habe die Pflicht, über die Aufrechterhaltung der natür-
lichen Ordnung zu wachen. Schon die Rücksicht der Selbst-
erhaltung zwinge ihn, dafür zu sorgen, daß das Verkehrte, das
Abnorme nicht zur Norm werde. Das Weib sei dazu geboren,
Gattin und Mutter zu sein, nicht etwa Arzt, Professor ꝛc Gebe
man den Frauen die Möglichkeit, sich diesen Berufen zu widmen,
so entfremde man Viele, ja voraussichtlich, kraft des Nachahmungs-
triebes, Unzählige ihrem einzig natürlichen Berufe, und das müsse
schon an sich, ohne Rücksicht auf alle weiteren Folgen, ein großes
Unglück bedeuten.

Wie plausibel derlei klingen mag, es ist in Wahrheit eitel
Dunst. Die natürliche Ordnung bedarf keines besonderen Schutzes,
eben weil sie die natürliche ist. So wenig der Staat sich darum
sorgen darf, daß auf den Winter der Frühling folge, oder daß
die Sonne täglich aufgehe, so wenig darf ihn auch die Furcht
bedrücken, daß jemals ein Tag kommt, wo das Weib vergißt,
daß es sein bestes, ja einzig vorbestimmtes Glück ist, einen ge-
liebten Mann zu beglücken und von ihm beglückt zu werden.
Gegen die Natur, welche das Weib geschaffen, wie es ist, kommt
keine Modenarrheit, kein Nachahmungstrieb auf, und eher könnte
es den „Jndividuen weiblichen Geschlechts“ beifallen, die Hände
zum Gehen zu gebrauchen, als zu erklären: „Wir wollen nicht
heirathen, sondern Aerzte werden!“

Alles, nur das nicht! Denn so weit reicht kein menschlicher
Wille, um uns ohne den größten äußeren Zwang zu einem
Bruche mit unseren angeborenen Trieben, mit unserer natür-
lichen Beschaffenheit zu bewegen. Der Wunsch zum Heirathen
wird nie im Mädchenherzen erlöschen, niemals, und jeder Adam
wird seine Eva finden können, so von Anbeginn der Welt bis
heute, so von heute bis in alle Ewigkeit.

Aber jede Eva hat ihren Adam?

Wir wollen nicht sentimental werden und der Tausende ge-
denken, welche suchen und nicht finden, und nicht noch senti-
mentaler, indem wir der Millionen gedenken, die nicht suchen
und einsam dahinwelken. Wir begnügen uns nur zu constatiren,
daß es wirklich Tausende, daß es Millionen sind, die ihren
natürlichen Beruf nicht erfüllen können. Verfehlen müssen sie
ihn also jedenfalls, es fragt sich daher nur: wie?

[Spaltenumbruch]

Zugegeben also, daß es nicht der natürliche Beruf der
Frau ist, Arzt oder Professor zu werden, aber ist es etwa ihr
natürlicher Beruf, als unnütze, verbitterte alte Jungfrau zu
sterben oder zu verhungern, oder von ihrer Schande zu leben?
Doch wohl mindestens ebenso wenig! Nun denn, ist einmal die
Frau genöthigt, ihren Beruf zu verfehlen, so hindere du, Staat,
der du ein Uebereinkommen Aller zu Aller Wohl bist, sie nicht
daran, ihn in einer Form zu verfehlen, welche angenehmer und
menschenwürdiger ist, als die obengenannten bisher üblichen Arten,
welche du stillschweigend geduldet!

Wie der Staat nicht aus Rücksicht auf die „natürliche Ord-
nung“ sein Veto einlegen darf, ebenso wenig ist auch der Einzelne
berechtigt, aus dem Umstande, daß Frauen nie vorher den be-
treffenden Weg gegangen, Kapital zur Befriedigung seiner Lach-
lust zu schlagen. Wüßte er, wie bitter ernst oft der Zwang
war, der zu solchem unbegangenen Pfade hingeleitet, ihm würde
das Lachen vergehen. Wir wiederholen: ist der neue Beruf
honett, ist er zweckdienlich, das heißt, vermag er genügenden
Unterhalt zu gewähren, so kommt nur die Frage in Betracht,
ob Frauen seinen Pflichten nachzukommen vermögen.

Unter diesem Gesichtspunkte wollen wir erörtern, welche
Berufe mit gelehrter Vorbildung für die Frauen taugen.

Einer der wichtigsten ist ihnen durch eherne Satzungen ver-
schlossen: Priester, Pastor oder Rabbi kann das Weib nicht werden.
Ein anderer Beruf wieder ist unmöglich, weil er öffentliches Aerger-
niß erregen würde: das ist die unbeschränkte ärztliche Praxis
der Frauen, also auch an Männern geübt. Und endlich sind
die Frauen von allen jenen Berufen ausgeschlossen, bei welchen
es unendlich viel darauf ankommt, daß gegen den Verderbten,
den Rohen oder den Uebermüthigen die Würde des Gesetzes,
die Würde des Wissens gewahrt werde. Es ist kein Vorurtheil,
wenn wir sagen, daß das Weib nicht zum Untersuchungsrichter
taugt, der den Raubmörder zum Geständniß bringen soll, nicht
zum Anwalt, der über Leben oder Tod zu plaidiren hat, nicht
zum Lehrer in einem Knaben-Gymnasium; kein Vorurtheil, sondern
Respectirung jener Grenzen, welche durch die Natur selbst ge-
zogen sind.

Und so ist denn also dem Weibe nur in jenen gelehrten
Berufen zu walten möglich, wo es sich um das geistige oder
leibliche Wohl seiner Schwestern verdient machen kann: als
Lehrerin, als Frauenarzt, ferner als Kinderarzt.

Da wir kein Wort über die Berechtigung des Weibes zum
Lehrberufe zu verlieren haben, so ist nur die praktische Frage
zu erörtern: Welche Chancen hat die akademisch gebildete Lehrerin?

Derzeit höchst geringe! Denn zu einem Posten als Gou-
vernante braucht man keine Universitätsbildung, ja sie könnte
vielleicht hier und da bei der Bewerbung um eine solche Stelle
hinderlich werden. Und Mädchen-Lyceen, an welchen akademisch
gebildete Lehrerinnen nothwendig wären, gibt es kaum.

Werden sich die Chancen erheblich steigern?

Das hängt natürlich von der Richtung ab, welche die Er-
ziehung der weiblichen Jugend nehmen wird. Nach drei Rich-
tungen ist sicherlich eine Aenderung zu erwarten, weil der
gesunde Menschenverstand gebieterisch eine Reform fordert.

Heute gebietet es die Mode, auch das musikalisch total un-
talentirte Mädchen zur Ausübung dieser Kunst anzuhalten – ohne
Rücksicht auf den enormen Zeitverlust, ohne Rücksicht auf die
Qual, welche hieraus dem Mädchen und ihrer Lehrerin erwächst
und nebenbei auch allen Mitmenschen, die in ihre Nähe kommen.
Das muß aufhören, es gibt auch ohnehin genug Dinge auf
Erden, welche Steine erweichen und Menschen rasend machen
können.

Ebenso zählt die unmotivirte Präponderanz (ich sage Prä-
ponderanz und nicht etwa Pflege!) des französischen und eng-
lischen Sprachunterrichts sicherlich nur noch nach Jahren, auch
die französische und englische Gouvernante als alleinige Er-
zieherin dürften ihre Rolle bald ausgespielt haben. Endlich
werden die höheren Töchter unserer derzeitigen höheren Töchter
gewiß nicht so viele Dinge lernen, aber das Wenige dafür gründ-
licher. Ob aber die Richtung der Erziehung eine derartige[Spaltenumbruch]

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[381/0006] Nr. 24. Die Gegenwart. jener Frage, eben weil die Erwerbszweige, die damals zur Be- hauptung im Kampf ums Dasein ausreichten, heute nicht mehr genügen. Nun ist aber zudem die Zahl jener Erwerbsbedürftigen heute eine unendlich größere, weil die Zahl der Männer, die sich neben der Sorge um die eigene Existenz jene für Weib und Kind aufbürden wollen und können, in rapider Abnahme begriffen ist. Diesen traurigen Verhältnissen kann weder der Prediger, noch der Wohlthätigkeitsverein mit Erfolg begegnen, sondern einzig der Volkswirth, indem er der Gesellschaft die Erfüllung ihrer Verpflichtung gegen diese Frauen nahelegt. Diese Ver- pflichtung besteht darin, den Frauen im erschwerten Kampfe um die Existenz auch schärfere, zweckdienlichere und vermehrte Waffen zu gönnen – man braucht sie ihnen nicht einmal in die Hand zu geben, das werden sie, von der Nothwendigkeit getrieben, schon selbst besorgen. Wenn heute diese Verpflichtung so vielen Gebildeten noch nicht klar ist, so liegt dies hauptsächlich daran, weil von der Gesellschaft bezüglich des Frauenlooses gewöhnlich in Einem Athemzuge Vernünftiges und Unvernünftiges gefordert wird, Nothwendiges und Ueberflüssiges, das tägliche Brod und – das Wahlrecht für die Reichsvertretung. Gott schütze diese armen, sorgenbeladenen Geschöpfe vor ihren hysterischen, überspannten, blaustrümpfelnden Freundinnen, vor ihren Feinden wird sie die Gerechtigkeit ihrer Sache schützen! Denn sonnenklar ist ihr Anspruch darauf, daß die Gesellschaft ihnen nicht aus thörichtem Vorurtheil Hindernisse in den Weg lege, sondern sich einzig auf die Beantwortung der Fragen beschränke: „Jst der betreffende Beruf honett? Jst er so geartet, daß Frauen seine Pflichten vollständig zu erfüllen vermögen?“ Können diese Fragen bejaht werden, so haben alle anderen Bedenken zu schweigen! Das wird freilich vielfach bestritten. Der Staat, wendet man ein, habe die Pflicht, über die Aufrechterhaltung der natür- lichen Ordnung zu wachen. Schon die Rücksicht der Selbst- erhaltung zwinge ihn, dafür zu sorgen, daß das Verkehrte, das Abnorme nicht zur Norm werde. Das Weib sei dazu geboren, Gattin und Mutter zu sein, nicht etwa Arzt, Professor ꝛc Gebe man den Frauen die Möglichkeit, sich diesen Berufen zu widmen, so entfremde man Viele, ja voraussichtlich, kraft des Nachahmungs- triebes, Unzählige ihrem einzig natürlichen Berufe, und das müsse schon an sich, ohne Rücksicht auf alle weiteren Folgen, ein großes Unglück bedeuten. Wie plausibel derlei klingen mag, es ist in Wahrheit eitel Dunst. Die natürliche Ordnung bedarf keines besonderen Schutzes, eben weil sie die natürliche ist. So wenig der Staat sich darum sorgen darf, daß auf den Winter der Frühling folge, oder daß die Sonne täglich aufgehe, so wenig darf ihn auch die Furcht bedrücken, daß jemals ein Tag kommt, wo das Weib vergißt, daß es sein bestes, ja einzig vorbestimmtes Glück ist, einen ge- liebten Mann zu beglücken und von ihm beglückt zu werden. Gegen die Natur, welche das Weib geschaffen, wie es ist, kommt keine Modenarrheit, kein Nachahmungstrieb auf, und eher könnte es den „Jndividuen weiblichen Geschlechts“ beifallen, die Hände zum Gehen zu gebrauchen, als zu erklären: „Wir wollen nicht heirathen, sondern Aerzte werden!“ Alles, nur das nicht! Denn so weit reicht kein menschlicher Wille, um uns ohne den größten äußeren Zwang zu einem Bruche mit unseren angeborenen Trieben, mit unserer natür- lichen Beschaffenheit zu bewegen. Der Wunsch zum Heirathen wird nie im Mädchenherzen erlöschen, niemals, und jeder Adam wird seine Eva finden können, so von Anbeginn der Welt bis heute, so von heute bis in alle Ewigkeit. Aber jede Eva hat ihren Adam? Wir wollen nicht sentimental werden und der Tausende ge- denken, welche suchen und nicht finden, und nicht noch senti- mentaler, indem wir der Millionen gedenken, die nicht suchen und einsam dahinwelken. Wir begnügen uns nur zu constatiren, daß es wirklich Tausende, daß es Millionen sind, die ihren natürlichen Beruf nicht erfüllen können. Verfehlen müssen sie ihn also jedenfalls, es fragt sich daher nur: wie? Zugegeben also, daß es nicht der natürliche Beruf der Frau ist, Arzt oder Professor zu werden, aber ist es etwa ihr natürlicher Beruf, als unnütze, verbitterte alte Jungfrau zu sterben oder zu verhungern, oder von ihrer Schande zu leben? Doch wohl mindestens ebenso wenig! Nun denn, ist einmal die Frau genöthigt, ihren Beruf zu verfehlen, so hindere du, Staat, der du ein Uebereinkommen Aller zu Aller Wohl bist, sie nicht daran, ihn in einer Form zu verfehlen, welche angenehmer und menschenwürdiger ist, als die obengenannten bisher üblichen Arten, welche du stillschweigend geduldet! Wie der Staat nicht aus Rücksicht auf die „natürliche Ord- nung“ sein Veto einlegen darf, ebenso wenig ist auch der Einzelne berechtigt, aus dem Umstande, daß Frauen nie vorher den be- treffenden Weg gegangen, Kapital zur Befriedigung seiner Lach- lust zu schlagen. Wüßte er, wie bitter ernst oft der Zwang war, der zu solchem unbegangenen Pfade hingeleitet, ihm würde das Lachen vergehen. Wir wiederholen: ist der neue Beruf honett, ist er zweckdienlich, das heißt, vermag er genügenden Unterhalt zu gewähren, so kommt nur die Frage in Betracht, ob Frauen seinen Pflichten nachzukommen vermögen. Unter diesem Gesichtspunkte wollen wir erörtern, welche Berufe mit gelehrter Vorbildung für die Frauen taugen. Einer der wichtigsten ist ihnen durch eherne Satzungen ver- schlossen: Priester, Pastor oder Rabbi kann das Weib nicht werden. Ein anderer Beruf wieder ist unmöglich, weil er öffentliches Aerger- niß erregen würde: das ist die unbeschränkte ärztliche Praxis der Frauen, also auch an Männern geübt. Und endlich sind die Frauen von allen jenen Berufen ausgeschlossen, bei welchen es unendlich viel darauf ankommt, daß gegen den Verderbten, den Rohen oder den Uebermüthigen die Würde des Gesetzes, die Würde des Wissens gewahrt werde. Es ist kein Vorurtheil, wenn wir sagen, daß das Weib nicht zum Untersuchungsrichter taugt, der den Raubmörder zum Geständniß bringen soll, nicht zum Anwalt, der über Leben oder Tod zu plaidiren hat, nicht zum Lehrer in einem Knaben-Gymnasium; kein Vorurtheil, sondern Respectirung jener Grenzen, welche durch die Natur selbst ge- zogen sind. Und so ist denn also dem Weibe nur in jenen gelehrten Berufen zu walten möglich, wo es sich um das geistige oder leibliche Wohl seiner Schwestern verdient machen kann: als Lehrerin, als Frauenarzt, ferner als Kinderarzt. Da wir kein Wort über die Berechtigung des Weibes zum Lehrberufe zu verlieren haben, so ist nur die praktische Frage zu erörtern: Welche Chancen hat die akademisch gebildete Lehrerin? Derzeit höchst geringe! Denn zu einem Posten als Gou- vernante braucht man keine Universitätsbildung, ja sie könnte vielleicht hier und da bei der Bewerbung um eine solche Stelle hinderlich werden. Und Mädchen-Lyceen, an welchen akademisch gebildete Lehrerinnen nothwendig wären, gibt es kaum. Werden sich die Chancen erheblich steigern? Das hängt natürlich von der Richtung ab, welche die Er- ziehung der weiblichen Jugend nehmen wird. Nach drei Rich- tungen ist sicherlich eine Aenderung zu erwarten, weil der gesunde Menschenverstand gebieterisch eine Reform fordert. Heute gebietet es die Mode, auch das musikalisch total un- talentirte Mädchen zur Ausübung dieser Kunst anzuhalten – ohne Rücksicht auf den enormen Zeitverlust, ohne Rücksicht auf die Qual, welche hieraus dem Mädchen und ihrer Lehrerin erwächst und nebenbei auch allen Mitmenschen, die in ihre Nähe kommen. Das muß aufhören, es gibt auch ohnehin genug Dinge auf Erden, welche Steine erweichen und Menschen rasend machen können. Ebenso zählt die unmotivirte Präponderanz (ich sage Prä- ponderanz und nicht etwa Pflege!) des französischen und eng- lischen Sprachunterrichts sicherlich nur noch nach Jahren, auch die französische und englische Gouvernante als alleinige Er- zieherin dürften ihre Rolle bald ausgespielt haben. Endlich werden die höheren Töchter unserer derzeitigen höheren Töchter gewiß nicht so viele Dinge lernen, aber das Wenige dafür gründ- licher. Ob aber die Richtung der Erziehung eine derartige

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-09-22T15:58:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-09-22T15:58:55Z)

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Zitationshilfe: Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395, hier S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/franzos_studenten_1881/6>, abgerufen am 25.04.2024.