Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
Dieselbe an Dieselben.

Liebe Evy, liebe Irene und mein armer,
süßer Rudi!

Papa und Mama schlafen noch, aber ich habe
die ganze Nacht gewacht, glaub' ich -- ich bin zu
glücklich, daß ich mitgekommen bin. Denkt Euch,
hier ist schon ganz Frühling! Alle Obstbäume blü¬
hen, rosenroth und weiß und grün ist Alles. O, und
was hab' ich unterwegs Alles gesehen. Zuerst 'mal
Innsbruck. Aber Ihr könnt es Euch nicht denken,
weil Ihr es nicht gesehen habt, und beschreiben kann
ich es Euch nicht, aber es ist großartig und liegt um¬
geben von einem Kranz der wundervollsten Berge.
Wir stiegen dort aus und aßen zu Mittag. Ich aß
in Gedanken drei Brötchen zur Suppe, so daß Mama
über mich lachte, aber Papa sagte, das sei immer so,
Freude mache Appetit. Es war mir aber doch zu
schade um die Zeit, die man da in dem Bahnhofs¬
restaurant versitzt -- ich nahm den armen Putzi, der
schon ganz steif und wirr sein mußte vom langen
Sitzen und Schütteln, aus dem Körbchen und ließ
ihn ein bißchen auf dem Perron laufen. Wie dank¬
bar er mich ansah, wie er seinen kleinen schwarzen
Zottelpelz schüttelte, es war rührend! Ich glaube,

Dieſelbe an Dieſelben.

Liebe Evy, liebe Irene und mein armer,
ſüßer Rudi!

Papa und Mama ſchlafen noch, aber ich habe
die ganze Nacht gewacht, glaub' ich — ich bin zu
glücklich, daß ich mitgekommen bin. Denkt Euch,
hier iſt ſchon ganz Frühling! Alle Obſtbäume blü¬
hen, roſenroth und weiß und grün iſt Alles. O, und
was hab' ich unterwegs Alles geſehen. Zuerſt 'mal
Innsbruck. Aber Ihr könnt es Euch nicht denken,
weil Ihr es nicht geſehen habt, und beſchreiben kann
ich es Euch nicht, aber es iſt großartig und liegt um¬
geben von einem Kranz der wundervollſten Berge.
Wir ſtiegen dort aus und aßen zu Mittag. Ich aß
in Gedanken drei Brötchen zur Suppe, ſo daß Mama
über mich lachte, aber Papa ſagte, das ſei immer ſo,
Freude mache Appetit. Es war mir aber doch zu
ſchade um die Zeit, die man da in dem Bahnhofs¬
reſtaurant verſitzt — ich nahm den armen Putzi, der
ſchon ganz ſteif und wirr ſein mußte vom langen
Sitzen und Schütteln, aus dem Körbchen und ließ
ihn ein bißchen auf dem Perron laufen. Wie dank¬
bar er mich anſah, wie er ſeinen kleinen ſchwarzen
Zottelpelz ſchüttelte, es war rührend! Ich glaube,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <pb facs="#f0207" n="191"/>
        </div>
        <div type="letter" n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Die&#x017F;elbe an Die&#x017F;elben.</hi><lb/>
          </head>
          <opener>
            <dateline rendition="#right">Bozen, 26. März 89.<lb/>
H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel Greif, 7 Uhr Morgens.</dateline><lb/>
            <salute> <hi rendition="#c">Liebe Evy, liebe Irene und mein armer,<lb/>
&#x017F;üßer Rudi!</hi> </salute>
          </opener><lb/>
          <p>Papa und Mama &#x017F;chlafen noch, aber ich habe<lb/>
die ganze Nacht gewacht, glaub' ich &#x2014; ich bin zu<lb/>
glücklich, daß ich mitgekommen bin. Denkt Euch,<lb/>
hier i&#x017F;t &#x017F;chon ganz Frühling! Alle Ob&#x017F;tbäume blü¬<lb/>
hen, ro&#x017F;enroth und weiß und grün i&#x017F;t Alles. O, und<lb/>
was hab' ich unterwegs Alles ge&#x017F;ehen. Zuer&#x017F;t 'mal<lb/>
Innsbruck. Aber Ihr könnt es Euch nicht denken,<lb/>
weil Ihr es nicht ge&#x017F;ehen habt, und be&#x017F;chreiben kann<lb/>
ich es Euch nicht, aber es i&#x017F;t großartig und liegt um¬<lb/>
geben von einem Kranz der wundervoll&#x017F;ten Berge.<lb/>
Wir &#x017F;tiegen dort aus und aßen zu Mittag. Ich aß<lb/>
in Gedanken drei Brötchen zur Suppe, &#x017F;o daß Mama<lb/>
über mich lachte, aber Papa &#x017F;agte, das &#x017F;ei immer &#x017F;o,<lb/>
Freude mache Appetit. Es war mir aber doch zu<lb/>
&#x017F;chade um die Zeit, die man da in dem Bahnhofs¬<lb/>
re&#x017F;taurant ver&#x017F;itzt &#x2014; ich nahm den armen Putzi, der<lb/>
&#x017F;chon ganz &#x017F;teif und wirr &#x017F;ein mußte vom langen<lb/>
Sitzen und Schütteln, aus dem Körbchen und ließ<lb/>
ihn ein bißchen auf dem Perron laufen. Wie dank¬<lb/>
bar er mich an&#x017F;ah, wie er &#x017F;einen kleinen &#x017F;chwarzen<lb/>
Zottelpelz &#x017F;chüttelte, es war rührend! Ich glaube,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0207] Dieſelbe an Dieſelben. Bozen, 26. März 89. Hôtel Greif, 7 Uhr Morgens. Liebe Evy, liebe Irene und mein armer, ſüßer Rudi! Papa und Mama ſchlafen noch, aber ich habe die ganze Nacht gewacht, glaub' ich — ich bin zu glücklich, daß ich mitgekommen bin. Denkt Euch, hier iſt ſchon ganz Frühling! Alle Obſtbäume blü¬ hen, roſenroth und weiß und grün iſt Alles. O, und was hab' ich unterwegs Alles geſehen. Zuerſt 'mal Innsbruck. Aber Ihr könnt es Euch nicht denken, weil Ihr es nicht geſehen habt, und beſchreiben kann ich es Euch nicht, aber es iſt großartig und liegt um¬ geben von einem Kranz der wundervollſten Berge. Wir ſtiegen dort aus und aßen zu Mittag. Ich aß in Gedanken drei Brötchen zur Suppe, ſo daß Mama über mich lachte, aber Papa ſagte, das ſei immer ſo, Freude mache Appetit. Es war mir aber doch zu ſchade um die Zeit, die man da in dem Bahnhofs¬ reſtaurant verſitzt — ich nahm den armen Putzi, der ſchon ganz ſteif und wirr ſein mußte vom langen Sitzen und Schütteln, aus dem Körbchen und ließ ihn ein bißchen auf dem Perron laufen. Wie dank¬ bar er mich anſah, wie er ſeinen kleinen ſchwarzen Zottelpelz ſchüttelte, es war rührend! Ich glaube,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/207
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/207>, abgerufen am 19.04.2024.