Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

der böse Landrath krabbelte, auf Papa gestützt, die
steilen Stufen hinab, sein ganzes Gepäck, eine Leder¬
tasche, in der Hand. Wir sahen, wie der junge
Mann auf ihn zutrat, lebhaft mit ihm redete und
dann mit ihm ein anderes Coupe bestieg. "Kinder,
wir sind sie beide los, bleibt nur drinnen!" rief
Papa seelenvergnügt und reichte all' unsere Sachen
wieder herein. "Sonderbar, daß der junge Mensch
mit dem unangenehmen Alten zusammen geblieben
ist!" meinte Mama. Ich sagte nichts, aber ich glaube
fest, er hat sich für uns geopfert -- er sah gar nicht
danach aus! -- Von nun an blieben wir allein bis
zum Brenner! O, meine Geliebten, wie soll ich Euch
mein Entzücken über all' das Schöne schildern. Irene
sagt gewiß wieder: "Na, da haben wir die Con¬
fusionsräthin," aber es ist kein Wunder, es ist auch
zu viel auf mich eingestürmt in diesen letzten Tagen!
Mama sagt auch, wenn auf sie so viel eingestürmt
wäre, als sie sechzehn Jahre war, solch' eine Reise
nach Italien im Frühling, sie wäre ebenso confus
gewesen. O die Berge, die weißen Kuppen, die
fürchterlichen Schlünde und Abgründe, und an den
Felsen herunter ziehen sich in schimmernden Streifen
die Gießbäche und kleinen Wasserfälle, und unten,
denkt Euch, ganz dicht neben den Schienen, im hell¬
grünen Moos und Gras, unter den sprossenden Zwei¬
gen der Birken und Buchen steht es blau, so dunkel¬

der böſe Landrath krabbelte, auf Papa geſtützt, die
ſteilen Stufen hinab, ſein ganzes Gepäck, eine Leder¬
taſche, in der Hand. Wir ſahen, wie der junge
Mann auf ihn zutrat, lebhaft mit ihm redete und
dann mit ihm ein anderes Coupé beſtieg. „Kinder,
wir ſind ſie beide los, bleibt nur drinnen!“ rief
Papa ſeelenvergnügt und reichte all' unſere Sachen
wieder herein. „Sonderbar, daß der junge Menſch
mit dem unangenehmen Alten zuſammen geblieben
iſt!“ meinte Mama. Ich ſagte nichts, aber ich glaube
feſt, er hat ſich für uns geopfert — er ſah gar nicht
danach aus! — Von nun an blieben wir allein bis
zum Brenner! O, meine Geliebten, wie ſoll ich Euch
mein Entzücken über all' das Schöne ſchildern. Irene
ſagt gewiß wieder: „Na, da haben wir die Con¬
fuſionsräthin,“ aber es iſt kein Wunder, es iſt auch
zu viel auf mich eingeſtürmt in dieſen letzten Tagen!
Mama ſagt auch, wenn auf ſie ſo viel eingeſtürmt
wäre, als ſie ſechzehn Jahre war, ſolch' eine Reiſe
nach Italien im Frühling, ſie wäre ebenſo confus
geweſen. O die Berge, die weißen Kuppen, die
fürchterlichen Schlünde und Abgründe, und an den
Felſen herunter ziehen ſich in ſchimmernden Streifen
die Gießbäche und kleinen Waſſerfälle, und unten,
denkt Euch, ganz dicht neben den Schienen, im hell¬
grünen Moos und Gras, unter den ſproſſenden Zwei¬
gen der Birken und Buchen ſteht es blau, ſo dunkel¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <p><pb facs="#f0212" n="196"/>
der bö&#x017F;e Landrath krabbelte, auf Papa ge&#x017F;tützt, die<lb/>
&#x017F;teilen Stufen hinab, &#x017F;ein ganzes Gepäck, eine Leder¬<lb/>
ta&#x017F;che, in der Hand. Wir &#x017F;ahen, wie der junge<lb/>
Mann auf ihn zutrat, lebhaft mit ihm redete und<lb/>
dann mit ihm ein anderes Coup<hi rendition="#aq">é</hi> be&#x017F;tieg. &#x201E;Kinder,<lb/>
wir &#x017F;ind &#x017F;ie beide los, bleibt nur drinnen!&#x201C; rief<lb/>
Papa &#x017F;eelenvergnügt und reichte all' un&#x017F;ere Sachen<lb/>
wieder herein. &#x201E;Sonderbar, daß der junge Men&#x017F;ch<lb/>
mit dem unangenehmen Alten zu&#x017F;ammen geblieben<lb/>
i&#x017F;t!&#x201C; meinte Mama. Ich &#x017F;agte nichts, aber ich glaube<lb/>
fe&#x017F;t, er hat &#x017F;ich für uns geopfert &#x2014; er &#x017F;ah gar nicht<lb/>
danach aus! &#x2014; Von nun an blieben wir allein bis<lb/>
zum Brenner! O, meine Geliebten, wie &#x017F;oll ich Euch<lb/>
mein Entzücken über all' das Schöne &#x017F;childern. Irene<lb/>
&#x017F;agt gewiß wieder: &#x201E;Na, da haben wir die Con¬<lb/>
fu&#x017F;ionsräthin,&#x201C; aber es i&#x017F;t kein Wunder, es i&#x017F;t auch<lb/>
zu viel auf mich einge&#x017F;türmt in die&#x017F;en letzten Tagen!<lb/>
Mama &#x017F;agt auch, wenn auf &#x017F;ie &#x017F;o viel einge&#x017F;türmt<lb/>
wäre, als &#x017F;ie &#x017F;echzehn Jahre war, &#x017F;olch' eine Rei&#x017F;e<lb/>
nach Italien im Frühling, &#x017F;ie wäre eben&#x017F;o confus<lb/>
gewe&#x017F;en. O die Berge, die weißen Kuppen, die<lb/>
fürchterlichen Schlünde und Abgründe, und an den<lb/>
Fel&#x017F;en herunter ziehen &#x017F;ich in &#x017F;chimmernden Streifen<lb/>
die Gießbäche und kleinen Wa&#x017F;&#x017F;erfälle, und unten,<lb/>
denkt Euch, ganz dicht neben den Schienen, im hell¬<lb/>
grünen Moos und Gras, unter den &#x017F;pro&#x017F;&#x017F;enden Zwei¬<lb/>
gen der Birken und Buchen &#x017F;teht es blau, &#x017F;o dunkel¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0212] der böſe Landrath krabbelte, auf Papa geſtützt, die ſteilen Stufen hinab, ſein ganzes Gepäck, eine Leder¬ taſche, in der Hand. Wir ſahen, wie der junge Mann auf ihn zutrat, lebhaft mit ihm redete und dann mit ihm ein anderes Coupé beſtieg. „Kinder, wir ſind ſie beide los, bleibt nur drinnen!“ rief Papa ſeelenvergnügt und reichte all' unſere Sachen wieder herein. „Sonderbar, daß der junge Menſch mit dem unangenehmen Alten zuſammen geblieben iſt!“ meinte Mama. Ich ſagte nichts, aber ich glaube feſt, er hat ſich für uns geopfert — er ſah gar nicht danach aus! — Von nun an blieben wir allein bis zum Brenner! O, meine Geliebten, wie ſoll ich Euch mein Entzücken über all' das Schöne ſchildern. Irene ſagt gewiß wieder: „Na, da haben wir die Con¬ fuſionsräthin,“ aber es iſt kein Wunder, es iſt auch zu viel auf mich eingeſtürmt in dieſen letzten Tagen! Mama ſagt auch, wenn auf ſie ſo viel eingeſtürmt wäre, als ſie ſechzehn Jahre war, ſolch' eine Reiſe nach Italien im Frühling, ſie wäre ebenſo confus geweſen. O die Berge, die weißen Kuppen, die fürchterlichen Schlünde und Abgründe, und an den Felſen herunter ziehen ſich in ſchimmernden Streifen die Gießbäche und kleinen Waſſerfälle, und unten, denkt Euch, ganz dicht neben den Schienen, im hell¬ grünen Moos und Gras, unter den ſproſſenden Zwei¬ gen der Birken und Buchen ſteht es blau, ſo dunkel¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/212
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/212>, abgerufen am 04.12.2024.