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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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witterstimmung am ehesten beschwören. Die Kleine
wag' ich nicht wiederzusehen. Nein, nein! Ich halt's
zwar nur für einen ihrer -- -- Selma's -- ge¬
wohnten Theatercoups, daß sie Dir sagt, sie bewahre
die Briefe zum Hochzeitsgeschenk für meine zukünftige
Frau. Dessen ist sie nicht fähig. Sie ist haltlos,
charakterlos, aber nicht schlecht. Mir selbst wird sie
sie nicht verweigern, es ist mir nur wie der Tod, daß
ich noch einmal zu ihr soll. Ach, das bischen Leben,
wieviel Angst und Qual hat man davon. Und ich
glaubte diese Frau zu lieben.

Dein Freund Eugen.

Klärchen an ihre Geschwister.

Meine geliebten Kleinen! Ganz träg bin ich ge¬
worden im Briefschreiben, nicht wahr? Es muß der
Scirocco sein, der seit unserer Ankunft hier weht und
uns fast täglich ein Gewitter bringt. Im Anfang
war ich wie betäubt von all' den Wundern hier;
kann es noch etwas Schöneres, Märchenhafteres geben,
als diese Wasserstadt? Jetzt aber macht die Luft mir
Kopfweh, und Mama geht es ebenso. Wir sitzen
meistens wie matte Fliegen unter den Prokuratien

witterſtimmung am eheſten beſchwören. Die Kleine
wag' ich nicht wiederzuſehen. Nein, nein! Ich halt's
zwar nur für einen ihrer — — Selma's — ge¬
wohnten Theatercoups, daß ſie Dir ſagt, ſie bewahre
die Briefe zum Hochzeitsgeſchenk für meine zukünftige
Frau. Deſſen iſt ſie nicht fähig. Sie iſt haltlos,
charakterlos, aber nicht ſchlecht. Mir ſelbſt wird ſie
ſie nicht verweigern, es iſt mir nur wie der Tod, daß
ich noch einmal zu ihr ſoll. Ach, das bischen Leben,
wieviel Angſt und Qual hat man davon. Und ich
glaubte dieſe Frau zu lieben.

Dein Freund Eugen.

Klärchen an ihre Geſchwiſter.

Meine geliebten Kleinen! Ganz träg bin ich ge¬
worden im Briefſchreiben, nicht wahr? Es muß der
Scirocco ſein, der ſeit unſerer Ankunft hier weht und
uns faſt täglich ein Gewitter bringt. Im Anfang
war ich wie betäubt von all' den Wundern hier;
kann es noch etwas Schöneres, Märchenhafteres geben,
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[239/0255] witterſtimmung am eheſten beſchwören. Die Kleine wag' ich nicht wiederzuſehen. Nein, nein! Ich halt's zwar nur für einen ihrer — — Selma's — ge¬ wohnten Theatercoups, daß ſie Dir ſagt, ſie bewahre die Briefe zum Hochzeitsgeſchenk für meine zukünftige Frau. Deſſen iſt ſie nicht fähig. Sie iſt haltlos, charakterlos, aber nicht ſchlecht. Mir ſelbſt wird ſie ſie nicht verweigern, es iſt mir nur wie der Tod, daß ich noch einmal zu ihr ſoll. Ach, das bischen Leben, wieviel Angſt und Qual hat man davon. Und ich glaubte dieſe Frau zu lieben. Dein Freund Eugen. Klärchen an ihre Geſchwiſter. Venedig, Bauer-Grünwald, 13. April Nachmittags. Meine geliebten Kleinen! Ganz träg bin ich ge¬ worden im Briefſchreiben, nicht wahr? Es muß der Scirocco ſein, der ſeit unſerer Ankunft hier weht und uns faſt täglich ein Gewitter bringt. Im Anfang war ich wie betäubt von all' den Wundern hier; kann es noch etwas Schöneres, Märchenhafteres geben, als dieſe Waſſerſtadt? Jetzt aber macht die Luft mir Kopfweh, und Mama geht es ebenſo. Wir ſitzen meiſtens wie matte Fliegen unter den Prokuratien

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/255>, abgerufen am 24.04.2024.