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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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erwähnen! Wie ist es möglich, daß der älteste un¬
angenehmste Mann sich noch immer gut genug hält
für das jüngste und liebste Mädchen! Papa war so
zornig, wie ich ihn in den letzten Jahren gar nicht
gesehen habe. Und denkt Euch, der unverschämte
Mann hat Eure Schwester sogar noch beleidigt, hat
gesagt, sie habe ihn aufgemuntert und ihm verliebte
Augen zugemacht! Ihr wißt doch, wie Klärchen ist,
wie sie der ganzen Welt zulächelt und für Jeden ein
freundliches Wort hat, aber daß es so schändlich mi߬
deutet werden könnte, wäre mir nie in den Sinn ge¬
kommen. So lehrt der Verkehr mit Menschen uns
eine Vorsicht, die uns zwar beschützt, aber doch auch
entstellt. Ihr, meine Aeltesten, die Ihr das Glück
habt, mit guten, feinfühlenden Männern verlobt zu
sein, werdet meine Bekümmerniß um das arme Klär¬
chen verstehen, und Du, mein lieber Sohn, mein guter
Rudi, Dich bitt' ich innig, wo Dich das Leben mit
Frauen zusammenführt, sei zart, sei achtsam, wir
sind so leicht verletzlich! Denke nicht, jedes freund¬
liche Mädchen, das Dir zulächelt, weil der liebe Gott
es zum Lächeln geschaffen hat, sei schon bereit, sich in
Dich zu verlieben.

Wir reisen morgen früh direct nach Gossensaß,
wo wir uns noch einige Zeit aufzuhalten gedenken.
Die herbe Gebirgsluft bekommt Klärchen am Besten
und ist auch für Papa so anregend, obgleich gerade

erwähnen! Wie iſt es möglich, daß der älteſte un¬
angenehmſte Mann ſich noch immer gut genug hält
für das jüngſte und liebſte Mädchen! Papa war ſo
zornig, wie ich ihn in den letzten Jahren gar nicht
geſehen habe. Und denkt Euch, der unverſchämte
Mann hat Eure Schweſter ſogar noch beleidigt, hat
geſagt, ſie habe ihn aufgemuntert und ihm verliebte
Augen zugemacht! Ihr wißt doch, wie Klärchen iſt,
wie ſie der ganzen Welt zulächelt und für Jeden ein
freundliches Wort hat, aber daß es ſo ſchändlich mi߬
deutet werden könnte, wäre mir nie in den Sinn ge¬
kommen. So lehrt der Verkehr mit Menſchen uns
eine Vorſicht, die uns zwar beſchützt, aber doch auch
entſtellt. Ihr, meine Aelteſten, die Ihr das Glück
habt, mit guten, feinfühlenden Männern verlobt zu
ſein, werdet meine Bekümmerniß um das arme Klär¬
chen verſtehen, und Du, mein lieber Sohn, mein guter
Rudi, Dich bitt' ich innig, wo Dich das Leben mit
Frauen zuſammenführt, ſei zart, ſei achtſam, wir
ſind ſo leicht verletzlich! Denke nicht, jedes freund¬
liche Mädchen, das Dir zulächelt, weil der liebe Gott
es zum Lächeln geſchaffen hat, ſei ſchon bereit, ſich in
Dich zu verlieben.

Wir reiſen morgen früh direct nach Goſſenſaß,
wo wir uns noch einige Zeit aufzuhalten gedenken.
Die herbe Gebirgsluft bekommt Klärchen am Beſten
und iſt auch für Papa ſo anregend, obgleich gerade

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[249/0265] erwähnen! Wie iſt es möglich, daß der älteſte un¬ angenehmſte Mann ſich noch immer gut genug hält für das jüngſte und liebſte Mädchen! Papa war ſo zornig, wie ich ihn in den letzten Jahren gar nicht geſehen habe. Und denkt Euch, der unverſchämte Mann hat Eure Schweſter ſogar noch beleidigt, hat geſagt, ſie habe ihn aufgemuntert und ihm verliebte Augen zugemacht! Ihr wißt doch, wie Klärchen iſt, wie ſie der ganzen Welt zulächelt und für Jeden ein freundliches Wort hat, aber daß es ſo ſchändlich mi߬ deutet werden könnte, wäre mir nie in den Sinn ge¬ kommen. So lehrt der Verkehr mit Menſchen uns eine Vorſicht, die uns zwar beſchützt, aber doch auch entſtellt. Ihr, meine Aelteſten, die Ihr das Glück habt, mit guten, feinfühlenden Männern verlobt zu ſein, werdet meine Bekümmerniß um das arme Klär¬ chen verſtehen, und Du, mein lieber Sohn, mein guter Rudi, Dich bitt' ich innig, wo Dich das Leben mit Frauen zuſammenführt, ſei zart, ſei achtſam, wir ſind ſo leicht verletzlich! Denke nicht, jedes freund¬ liche Mädchen, das Dir zulächelt, weil der liebe Gott es zum Lächeln geſchaffen hat, ſei ſchon bereit, ſich in Dich zu verlieben. Wir reiſen morgen früh direct nach Goſſenſaß, wo wir uns noch einige Zeit aufzuhalten gedenken. Die herbe Gebirgsluft bekommt Klärchen am Beſten und iſt auch für Papa ſo anregend, obgleich gerade

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/265>, abgerufen am 29.03.2024.