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Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Julia bemerkte erst an dem augenblicklichen Zögern der Erwiderung, das sie unbewußt eine verfängliche Frage gethan haben mochte, und schon wollte sich ein Gefühl der Reue regen, daß es wenigstens jetzt schon geschehen; aber alsbald antwortete er ruhig: Ich habe den Beruf erst seit einem halben Jahre erlernt, gnädiges Fräulein, und muß Euch deßhalb nochmals um gütige Nachsicht bitten, wenn Ihr mich langsam und unbehülflich findet.

Seltsam!

Seltsam mag Euch das wohl erscheinen, lautete die Antwort auf diesen nur leise vor sich hin gehauchten Ausruf; kommt es mir doch selbst manchmal vor, wie ein Traum ... wie ein dunkler, schwerer Traum, mein gnädiges Fräulein.

Der wehmüthige Klang der Stimme, mit dem diese Worte gesprochen waren, bebte in Julia's Ohren nach, wie der verschwimmende Ton einer Trauerglocke. Hier stand sie mit einem Schritte an der Enthüllung eines Geheimnisses, das ihr Gemüth so unvermuthet vorbeschäftigt hatte, aber sie wußte ja schon genug und schwieg, während sich ihre Blicke langsam und träumerisch zu Boden senkten. Ja, sie wußte es mit plötzlicher und erschreckender Klarheit, daß noch ein Schritt weiter sie an die Entschleierung eines schmerzvoll empfundenen Unheiles führen würde, und das mochte sie jetzt nicht in seiner deutlichen Gestalt anschauen ... jetzt nicht in diesem Augenblicke. Einmal mußte sie's

Julia bemerkte erst an dem augenblicklichen Zögern der Erwiderung, das sie unbewußt eine verfängliche Frage gethan haben mochte, und schon wollte sich ein Gefühl der Reue regen, daß es wenigstens jetzt schon geschehen; aber alsbald antwortete er ruhig: Ich habe den Beruf erst seit einem halben Jahre erlernt, gnädiges Fräulein, und muß Euch deßhalb nochmals um gütige Nachsicht bitten, wenn Ihr mich langsam und unbehülflich findet.

Seltsam!

Seltsam mag Euch das wohl erscheinen, lautete die Antwort auf diesen nur leise vor sich hin gehauchten Ausruf; kommt es mir doch selbst manchmal vor, wie ein Traum … wie ein dunkler, schwerer Traum, mein gnädiges Fräulein.

Der wehmüthige Klang der Stimme, mit dem diese Worte gesprochen waren, bebte in Julia's Ohren nach, wie der verschwimmende Ton einer Trauerglocke. Hier stand sie mit einem Schritte an der Enthüllung eines Geheimnisses, das ihr Gemüth so unvermuthet vorbeschäftigt hatte, aber sie wußte ja schon genug und schwieg, während sich ihre Blicke langsam und träumerisch zu Boden senkten. Ja, sie wußte es mit plötzlicher und erschreckender Klarheit, daß noch ein Schritt weiter sie an die Entschleierung eines schmerzvoll empfundenen Unheiles führen würde, und das mochte sie jetzt nicht in seiner deutlichen Gestalt anschauen … jetzt nicht in diesem Augenblicke. Einmal mußte sie's

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[0030] Julia bemerkte erst an dem augenblicklichen Zögern der Erwiderung, das sie unbewußt eine verfängliche Frage gethan haben mochte, und schon wollte sich ein Gefühl der Reue regen, daß es wenigstens jetzt schon geschehen; aber alsbald antwortete er ruhig: Ich habe den Beruf erst seit einem halben Jahre erlernt, gnädiges Fräulein, und muß Euch deßhalb nochmals um gütige Nachsicht bitten, wenn Ihr mich langsam und unbehülflich findet. Seltsam! Seltsam mag Euch das wohl erscheinen, lautete die Antwort auf diesen nur leise vor sich hin gehauchten Ausruf; kommt es mir doch selbst manchmal vor, wie ein Traum … wie ein dunkler, schwerer Traum, mein gnädiges Fräulein. Der wehmüthige Klang der Stimme, mit dem diese Worte gesprochen waren, bebte in Julia's Ohren nach, wie der verschwimmende Ton einer Trauerglocke. Hier stand sie mit einem Schritte an der Enthüllung eines Geheimnisses, das ihr Gemüth so unvermuthet vorbeschäftigt hatte, aber sie wußte ja schon genug und schwieg, während sich ihre Blicke langsam und träumerisch zu Boden senkten. Ja, sie wußte es mit plötzlicher und erschreckender Klarheit, daß noch ein Schritt weiter sie an die Entschleierung eines schmerzvoll empfundenen Unheiles führen würde, und das mochte sie jetzt nicht in seiner deutlichen Gestalt anschauen … jetzt nicht in diesem Augenblicke. Einmal mußte sie's

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:04:13Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/30>, abgerufen am 23.04.2024.