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Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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in geordneten Reihen an sich vorübergehen zu lassen. Tief zu Füßen flutete der Strom an den jäh abfallenden Felsen heran, jenseits erhob sich im Halbrunde die Stadt, aus der kein Ruf, kein Laut heraustönte, und hüben und drüben ergoß sich der üppige Sommertag. Was ging hinter jenen Mauern vor, die so schweigend, so starr und kalt in die zitternden Lüfte aufstiegen? -- Vorüber, fast am äußersten Ende der langen Häuserreihe, die der Flußwindung folgend sich dahin bog, stand ein breites Haus mit hochragendem Giebel, als müßte er über alle Nachbarn weg weithin das Land überschauen. Aus der Tiefe kletterten Klebebäume an der Mauer empor, deren oberste Zweige noch ein Fenster umrankten. Dort, ja dort lag der Glückstraum seines Lebens, der einen verhüllenden Schleier über allen Schmerz vergangener Tage breitete und das Land der Zukunft in rosigem Morgenschimmer auftauchen ließ; aber er durfte die Hand nicht ausstrecken nach diesem Traume, wenn das süße Bild nicht plötzlich in schwarze Nacht versinken sollte. Und warum darfst du es nicht, Theobald, da sie dir ihre Liebe unverhüllt dargebracht, wie eine reine Opferflamme, die nur für dich angezündet wurde, nur dir leuchtet und dir einzig angehört? Was bist du dem Manne noch schuldig, der unter dem Schilde des Vaterrechtes diese duftige Blüte zertritt, wie er auch dich, dein besseres Theil und deinen freien Willen zertreten möchte? Darfst du diesem Einzelnen gegenüber nicht das nämliche Recht dir nehmen,

in geordneten Reihen an sich vorübergehen zu lassen. Tief zu Füßen flutete der Strom an den jäh abfallenden Felsen heran, jenseits erhob sich im Halbrunde die Stadt, aus der kein Ruf, kein Laut heraustönte, und hüben und drüben ergoß sich der üppige Sommertag. Was ging hinter jenen Mauern vor, die so schweigend, so starr und kalt in die zitternden Lüfte aufstiegen? — Vorüber, fast am äußersten Ende der langen Häuserreihe, die der Flußwindung folgend sich dahin bog, stand ein breites Haus mit hochragendem Giebel, als müßte er über alle Nachbarn weg weithin das Land überschauen. Aus der Tiefe kletterten Klebebäume an der Mauer empor, deren oberste Zweige noch ein Fenster umrankten. Dort, ja dort lag der Glückstraum seines Lebens, der einen verhüllenden Schleier über allen Schmerz vergangener Tage breitete und das Land der Zukunft in rosigem Morgenschimmer auftauchen ließ; aber er durfte die Hand nicht ausstrecken nach diesem Traume, wenn das süße Bild nicht plötzlich in schwarze Nacht versinken sollte. Und warum darfst du es nicht, Theobald, da sie dir ihre Liebe unverhüllt dargebracht, wie eine reine Opferflamme, die nur für dich angezündet wurde, nur dir leuchtet und dir einzig angehört? Was bist du dem Manne noch schuldig, der unter dem Schilde des Vaterrechtes diese duftige Blüte zertritt, wie er auch dich, dein besseres Theil und deinen freien Willen zertreten möchte? Darfst du diesem Einzelnen gegenüber nicht das nämliche Recht dir nehmen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:04:13Z)

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Zitationshilfe: Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/63>, abgerufen am 28.04.2024.