Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zeihung, da dir Anderes nicht mehr möglich ist, wenn dich nicht sein blutiger Schatten mit ewiger Reue verfolgen soll! O Julia, meine Liebe hat dich theuer erkauft! --

Das waren die Gedanken, die Theobald nach eingebrochener Nacht seit langen Tagen wieder zum erstenmale aus dem Hause trieben. Er war entschlossen, den zum Tode Verurtheilten, den er vor jener Stunde der Gefangennahme kaum gesehen, um Verzeihung anzuflehen; aber seine Schritte wurden unsicher und schwankend, als er dem Gefangenwärter die schmalen Steintreppen des Thurmes hinan nachfolgte, und sein Herz pochte, als ginge er selbst einem hülflosen, gewaltsamen Tode entgegen.

Und leichtern Gemüthes wurde er auch nicht, als sich bei seinem Eintritte in das nur von einem trüben Lämpchen erhellte Gefängniß der Gefangene sogleich erhob, um ihm mit einem wehmüthigen Lächeln auf dem bleich gewordenen feinen Gesichte die Hand entgegenzureichen. Theobald hätte ein augenblickliches Aufflackern wilden Hasses leichter ertragen, als diese milde Ruhe, mit welcher der Gefangene sagte: Ein unerwarteter Besuch, wahrlich; aber darum nicht weniger willkommen, mein Herr.

Ihr kennt mich also, rief Theobald in der tiefsten Seele ergriffen von dem melodischen Klange dieser Stimme und den ruhigen, edlen Gesichtszügen; wollte Gott, wir hätten uns nie gesehen vor diesem Augenblicke!

zeihung, da dir Anderes nicht mehr möglich ist, wenn dich nicht sein blutiger Schatten mit ewiger Reue verfolgen soll! O Julia, meine Liebe hat dich theuer erkauft! —

Das waren die Gedanken, die Theobald nach eingebrochener Nacht seit langen Tagen wieder zum erstenmale aus dem Hause trieben. Er war entschlossen, den zum Tode Verurtheilten, den er vor jener Stunde der Gefangennahme kaum gesehen, um Verzeihung anzuflehen; aber seine Schritte wurden unsicher und schwankend, als er dem Gefangenwärter die schmalen Steintreppen des Thurmes hinan nachfolgte, und sein Herz pochte, als ginge er selbst einem hülflosen, gewaltsamen Tode entgegen.

Und leichtern Gemüthes wurde er auch nicht, als sich bei seinem Eintritte in das nur von einem trüben Lämpchen erhellte Gefängniß der Gefangene sogleich erhob, um ihm mit einem wehmüthigen Lächeln auf dem bleich gewordenen feinen Gesichte die Hand entgegenzureichen. Theobald hätte ein augenblickliches Aufflackern wilden Hasses leichter ertragen, als diese milde Ruhe, mit welcher der Gefangene sagte: Ein unerwarteter Besuch, wahrlich; aber darum nicht weniger willkommen, mein Herr.

Ihr kennt mich also, rief Theobald in der tiefsten Seele ergriffen von dem melodischen Klange dieser Stimme und den ruhigen, edlen Gesichtszügen; wollte Gott, wir hätten uns nie gesehen vor diesem Augenblicke!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <p><pb facs="#f0093"/>
zeihung, da dir Anderes nicht mehr      möglich ist, wenn dich nicht sein blutiger Schatten mit ewiger Reue verfolgen soll! O Julia,      meine Liebe hat dich theuer erkauft! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Das waren die Gedanken, die Theobald nach eingebrochener Nacht seit langen Tagen wieder zum      erstenmale aus dem Hause trieben. Er war entschlossen, den zum Tode Verurtheilten, den er vor      jener Stunde der Gefangennahme kaum gesehen, um Verzeihung anzuflehen; aber seine Schritte wurden      unsicher und schwankend, als er dem Gefangenwärter die schmalen Steintreppen des Thurmes hinan      nachfolgte, und sein Herz pochte, als ginge er selbst einem hülflosen, gewaltsamen Tode      entgegen.</p><lb/>
        <p>Und leichtern Gemüthes wurde er auch nicht, als sich bei seinem Eintritte in das nur von      einem trüben Lämpchen erhellte Gefängniß der Gefangene sogleich erhob, um ihm mit einem      wehmüthigen Lächeln auf dem bleich gewordenen feinen Gesichte die Hand entgegenzureichen.      Theobald hätte ein augenblickliches Aufflackern wilden Hasses leichter ertragen, als diese      milde Ruhe, mit welcher der Gefangene sagte: Ein unerwarteter Besuch, wahrlich; aber darum      nicht weniger willkommen, mein Herr.</p><lb/>
        <p>Ihr kennt mich also, rief Theobald in der tiefsten Seele ergriffen von dem melodischen Klange      dieser Stimme und den ruhigen, edlen Gesichtszügen; wollte Gott, wir hätten uns nie gesehen vor      diesem Augenblicke!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] zeihung, da dir Anderes nicht mehr möglich ist, wenn dich nicht sein blutiger Schatten mit ewiger Reue verfolgen soll! O Julia, meine Liebe hat dich theuer erkauft! — Das waren die Gedanken, die Theobald nach eingebrochener Nacht seit langen Tagen wieder zum erstenmale aus dem Hause trieben. Er war entschlossen, den zum Tode Verurtheilten, den er vor jener Stunde der Gefangennahme kaum gesehen, um Verzeihung anzuflehen; aber seine Schritte wurden unsicher und schwankend, als er dem Gefangenwärter die schmalen Steintreppen des Thurmes hinan nachfolgte, und sein Herz pochte, als ginge er selbst einem hülflosen, gewaltsamen Tode entgegen. Und leichtern Gemüthes wurde er auch nicht, als sich bei seinem Eintritte in das nur von einem trüben Lämpchen erhellte Gefängniß der Gefangene sogleich erhob, um ihm mit einem wehmüthigen Lächeln auf dem bleich gewordenen feinen Gesichte die Hand entgegenzureichen. Theobald hätte ein augenblickliches Aufflackern wilden Hasses leichter ertragen, als diese milde Ruhe, mit welcher der Gefangene sagte: Ein unerwarteter Besuch, wahrlich; aber darum nicht weniger willkommen, mein Herr. Ihr kennt mich also, rief Theobald in der tiefsten Seele ergriffen von dem melodischen Klange dieser Stimme und den ruhigen, edlen Gesichtszügen; wollte Gott, wir hätten uns nie gesehen vor diesem Augenblicke!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:04:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/93
Zitationshilfe: Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/93>, abgerufen am 28.04.2024.